Kein Paternalismus am Arbeitsmarkt

Durch immer mehr Verordnungen sollen die Arbeitnehmer vor sich selbst geschützt werden. Doch starre Vorschriften über Arbeitsplatz und Arbeitszeit sind längst nicht mehr zeitgemäß. Statt immer neuer Verordnungen, brauchen Arbeitnehmer und Arbeitgeber mehr Freiheit.

Soziale Marktwirtschaft ist tief verwurzelt in einem Gesellschaftsbild, das den mündigen Bürger in den Mittelpunkt stellt. Das klingt nur scheinbar wie ein Satz aus einer Sonntagsrede, leiten sich doch daraus ganz fundamentale Leitsätze der Wirtschaftspolitik direkt ab: Ein solcher Grundsatz ist das Subsidiaritätsprinzip, wonach der Staat nur dann das Recht hat, direkt lenkend in den Marktprozess oder das Marktergebnis einzugreifen, wenn Lösungen nicht subsidiär, also durch die Akteure selbst, erreichbar sind. Um es einmal konkret zu machen: Der Vorschlag einer Anti-Stress-Verordnung, die darauf abzielt, Beschäftigte vom Arbeitsstress zu befreien, ist eben nicht nur eine absurde Utopie. Es verstößt auch klar gegen unsere Grundprinzipien, wenn Arbeitnehmer staatlich diktiert bekommen sollen was gute Arbeit ist. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Immer häufiger beobachten wir im politischen Diskurs eine Erosion unserer Leitbilder hin zu einem nur scheinbar verlockenden Paternalismus: Der „unmündige“ Arbeitnehmer soll vor „sich selbst geschützt werden“.

So auch bei vielen gut gemeinten Vorschlägen zur Zukunft der Arbeit, der Arbeitswelt 4.0. Die Debatte ist selbstredend wichtig, aber was viele dabei verkennen ist, dass wir bereits heute fatale Weichenstellungen vornehmen. Es ist deshalb die Arbeitswelt 1.0 die uns Sorgen bereitet. Denn: Die digitale Transformation ist längst voll im Gange. 46 Millionen Deutsche nutzen ein Smartphone. Damit ist die Erwerbsbevölkerung längst im digitalen Zeitalter angekommen. Unternehmen, die sich der Digitalisierung vollständig verschlossen haben, existieren faktisch nicht mehr. Auch die Demografie entfaltet bereits heute ihre Wirkung: 2016 scheiden fast 300.000 Menschen mehr aus dem Erwerbsleben aus, als Junge nachrücken, Tendenz steigend. Mindestens im Bereich der Facharbeiter und Akademiker hat sich der Arbeitsmarkt bereits von einem Nachfrage- zu einem Anbietermarkt umgewälzt: Der Kampf um die besten Arbeitsplätze ist zu einem Ringen um die klügsten Köpfe geworden.

Der wahre Vorteil unserer Wirtschaftsverfassung ist, dass die Antworten darauf bereits in der sozialen Marktwirtschaft verankert sind. Denn dieses Konzept beruht nicht etwa auf der Wirtschaftslage der 50er oder 60er Jahre. Die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft sind unabhängig vom konjunkturellen Umfeld oder technischen Trends, da sie am Menschen orientiert ist. Wir alle streben nach gesellschaftlicher Teilhabe und kämpfen für das persönliche Glück der eigenen Familie. Wir wollen Verantwortung tragen und in uns ist die Neugier nach Wissen und Innovation, auch im Wettbewerb mit anderen, angelegt. Aus diesen konstituierenden Eigenschaften der Menschen leiten sich Euckens berühmte Grundsätze der Wirtschaftspolitik ab. Seine Ideen sind nur vermeintlich abstrakt, denn sie wirken auf ganz konkrete Sachverhalte direkt durch: Vor dem Hintergrund des gerade skizzierten Leitgedankens wirken aktuelle Debatten geradezu aberwitzig: Letztes Jahr hat beispielsweise Deutschland über eine neue Arbeitsstättenverordnung gestritten. Der Entwurf liegt im Kabinett auf Eis, soll jedoch – wie man hört – demnächst über den Bundesrat aus der Versenkung hervorgehoben werden. Der Plan sieht vor, Betriebstoiletten ohne Tageslichteinfall zu verbieten, die Arbeitshöhe beim Heimarbeitsplatz – z. B. vom Schreibtisch oder Küchentisch zu Hause – soll normiert werden, usw. Dies und mehr soll obendrein vom Arbeitgeber in der Privatwohnung kontrolliert werden: Paternalismus pur!

Die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeiten von in der Regel acht Stunden sind auch so ein Thema. Jeder Tag, den ein Beschäftigter, auch wenn es sich um den Geschäftsführer selbst handelt, länger als acht Stunden arbeitet, muss penibel dokumentiert und ggf. ausgeglichen werden. Sonst drohen Geldstrafen. Ist das noch zeitgemäß?

Bereitschaftszeiten sind Arbeitszeit und Rufbereitschaft ist es immer dann, wenn das Handy auch tatsächlich klingelt. Doch wie verhält es sich mit dem kurzen Blick in die eMails nach Dienstschluss, was wenn die Kollegen aus der Nachtschicht eine kurze Frage per SMS schicken? All das ist nach derzeitigem Recht ein Verstoß gegen die Ruhepausen, denn zwischen zwei Arbeitseinsätzen müssen mindestens elf Stunden Ruhe liegen. Folgerichtig müsste man nach geltendem Recht, den Schichtleiter am Abend in Kenntnis setzen, dass man am nächsten Tag bspw. nicht um sechs, sondern erst um zehn kommt, nur weil ein Kollege am späten Abend eine kurze WhatsApp geschickt hat. Ist das noch zeitgemäß?

Entkopplung von Arbeitserzeugnis und Arbeitsort ermöglicht heute viele Freiräume, auch für die familiäre Organisation. Wer nachmittags die Kinder betreut und sich dafür abends, wenn der Partner daheim ist, nochmal an den Schreibtisch setzt, empfindet die neue Freiheit als Chance. Das Arbeitszeitgesetz sieht darin in erster Linie einen Verstoß: Paternalismus pur!

Franz Müntefering sagte schon: „Wir leben immer länger, arbeiten aber immer kürzer. Wir steigen später in den Beruf ein und früher wieder aus. Das ist verkehrte Welt.“ Dennoch tut sich seine SPD schwer, etwas für die Menschen zu tun, die freiwillig länger arbeiten wollen, für all diejenigen, die auch im Rentenalter nach Sinnstiftung und Teilhabe über den Arbeitsmarkt suchen. Der richtige Weg, ist deshalb die Flexi-Rente, durch die schwerwiegende Hürden für die Beschäftigung im Alter beiseite geräumt werden. Leider wurden vor allem “Rentenpakete” geschnürt und einer Rente mit 60 das Wort geredet. Doch niemand muss den freiwillig arbeitenden Rentner vor sich selber schützen, auch das ist Paternalismus pur.

Es sind aber auch ganz praktische Felder in denen wir dringend mehr Freiheit wagen müssten: – Warum lässt bspw. das Betriebsverfassungsrecht keinen flexiblen und wechselnden Austausch der Beschäftigten zwischen Betriebsteilen zu? Projektarbeit ist so oft nicht möglich!

– Warum erfüllt eine signierte und verifizierte eMail nicht die Schriftformerfordernis, ein völlig unsicheres Fax zuweilen schon? Schnelle Prozesse sind so oft nicht möglich!

– Warum bereiten Bildungsinhalte, Bildungspersonal und die Infrastruktur von Bildungseinrichtungen nur selten gut auf die digitalen Anforderungen der Arbeitswelt vor? Der schnelle Berufseinstieg ist so oft nicht möglich!

– Warum dürfen Daten, die Beschäftigte völlig freigiebig an Google, Facebook oder WhatsApp weitergeben, nicht auch unternehmensintern, bspw. per Einwilligungserklärungen zur Datennutzung oder Betriebsvereinbarungen, verarbeitet werden? Internes Wissensmanagement ist so oft nicht möglich!

All diese Einzelfälle zeigen doch, dass wir die Herausforderungen in weiten Teilen weder verstanden haben, noch gut für die Zukunft aufgestellt sind. Schlimmer noch: Es liegt im Trend, die Zukunft als Risiko und nicht als Chance zu vermitteln. Die Politik ist gefordert zu einem Kompass zurückzufinden, der sich am Menschen ausrichtet, der Mut und Zutrauen vermittelt und der bei der Bewältigung der Aufgaben auf den mündigen Bürger setzt. Dann wäre soziale Marktwirtschaft nicht mehr nur eine Sonntagsrede, sondern gelebte Wirklichkeit. Deshalb: Schluss mit dem Paternalismus in der Arbeitswelt!

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Autor:

Thomas Köster und Justus Lenz Thomas Köster ist Koordinator Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Justus Lenz ist Leiter Haushaltspolitik bei "Die Familienunternehmer".

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