Kann regionale Wirtschaftspolitik helfen, die Lebensverhältnisse in Deutschland anzugleichen, Herr Ragnitz?

Wir müssen Zuwanderung in den Osten organisieren. – Prof. Dr. Joachim Ragnitz vom ifo Dresden über die Möglichkeiten und Grenzen regionaler Wirtschaftspolitik im Videoformat Wirtschaftspolitik verstehen.

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Dieses Interview entstand beim ECONWATCH-Meeting “Möglichkeiten und Grenzen regionaler Wirtschaftspolitik” mit Prof. Dr. Joachim Ragnitz am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Das Paper zur Veranstaltung gibt es hier. Im Folgenden lesen Sie das Transkript des Videointerviews.

 

Kann regionale Wirtschaftspolitik helfen, die Lebensverhältnisse in Deutschland anzugleichen?

Joachim Ragnitz: Die Regionalpolitik setzt darauf, Standortbedingungen in den Regionen zu verbessern. Das wäre also Infrastrukturausbau oder aktuell auch Breitbandausbau. Damit erreicht man, dass diese Regionen überhaupt erst mal wettbewerbsfähig werden können. Allerdings findet so was dann immer dort statt, wo der Bedarf am größten ist. Das sind häufig eben nicht die strukturschwachen Regionen, und um das zu kompensieren, versucht man darüber hinaus zusätzliche Anreize zu schaffen. Also quasi einen Nachteilsausgleich zu erreichen über die Gemeinschaftsaufgaben, das wären vor allem Investitionsanreize, aber auch EU-Förderprogramme.

Man muss sehen: Bei einem Großteil dieser Programme wird sehr viel Geld umverteilt, aber sie bringen nicht wirklich viel für die Regionalentwicklung. Das liegt häufig daran, dass die Ursachen einfach ganz woanders liegen. Nämlich darin, dass Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels fehlen oder weil die Unternehmen technologisch nicht besonders leistungsfähig sind, oder weil sie keine Innovationen haben – dann nützt es wenig, wenn man dort zusätzlich Geld hineingibt, aber nicht gezielt versucht, diese Ursachen der wirtschaftlichen Schwäche zu beheben. So gesehen muss man da schon ziemlich skeptisch sein.

Wie beeinflusst die Alterung der Gesellschaft die Angleichung der Lebensverhältnisse?

Joachim Ragnitz: Die demografische Entwicklung, also Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung ist das größte regionalpolitische Problem, das wir in Zukunft haben werden. Das wird dazu führen, dass in vielen Regionen das Arbeitskräftepotenzial ganz massiv zurückgehen wird – also die erwerbsfähige Bevölkerung. Das heißt, dass dort teilweise die wirtschaftliche Entwicklung auch dadurch gehemmt wird, dass nicht mehr ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Das betrifft dann vor allem die Regionen, die wirtschaftlich sowieso schon schwach sind, weil die Leute abwandern. Das heißt also: Ostdeutschland ist sehr stark betroffen, aber auch peripher gelegene Regionen im Westen.

Das Problem ist jetzt: Mit regionalpolitischen Maßnahmen kann man da nicht wirklich gut entgegenwirken, denn die Leute fehlen einfach. Letzen Endes geht es also darum, dass man Zuwanderung organisiert.

Die Zuwanderung, die wir in der Vergangenheit gehabt haben, die ganze Migration aus Flüchtlingsgründen, hilft uns in wirtschaftlicher Hinsicht relativ wenig, weil die Leute einfach nicht die entsprechenden Qualifikationen mitbringen und wenn sie Freizügigkeit genießen, können sie im Bundesgebiet ja auch wandern. Das heißt die gehen dann auch eher in die Zentren. Das heißt, da muss man vor allem mit zuwanderungspolitischen Aktivitäten versuchen entgegenzuwirken.

Wird der Ausstieg aus der Kohle in Deutschland gut abgefangen werden können?

Joachim Ragnitz: In der Kohlekommission waren ja im Grunde alle Interessenvertreter mit drin. Da sieht man auch sehr deutlich in diesem Kommissionsbericht, den die abgegeben haben. Das sind sehr viele Maßnahmen drin, die sinnvoll sind, also Standortbedingungen verbessern und Infrastruktur ausbauen. Auch Umschulungsprogramme für die betroffenen Beschäftigten, die möglicherweise ihren Arbeitsplatz verlieren. Auf der anderen Seite sind aber auch ganz viele Bestandteile darin, die quasi ein Wunschzettel sind von den regionalen Akteuren, von den Gewerkschaften, die sich da auch sehr stark eingebracht haben, und da bin ich sehr im Zweifel, ob das die richtigen Maßnahmen sind. Sie werden häufig nicht dazu führen, dass die regionale Entwicklung wirklich vorangetrieben wird, und mein Eindruck ist, es sind Programme, die man gerne hat. Also dass man irgendwelche Kulturzentren macht oder Modellregion für bestimmte Technologien werden will, was aber nicht zu den Regionen passt. Da wäre ich sehr skeptisch, dass das wirklich so funktioniert. Da muss man also wirklich genau hinschauen, was der Bund dann letzten Endes davon durchfinanziert.

Was ist die beste Methode, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen?

Joachim Ragnitz:Wir haben in der Bundesrepublik die Vorstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die auch im Grundgesetz vorgeschrieben ist, und das bedeutet in wirtschaftlicher Hinsicht, dass sich die Regionen ungefähr gleichartig entwickeln sollen, dass es also zu einer Konvergenz  zu einem Zusammenwachsen von Regionen kommt. Wenn man das so akzeptiert, bedeutet das auch, dass man dort eine regionale Strukturpolitik machen muss. Die Frage ist dann aber, wie macht man das sinnvoll umsetzt. Man kann entweder Standortpolitik machen, also Straßen bauen oder Breitbandverbindungen dorthin bringen. Das hat aber eher langfristige Auswirkungen. Man kann darüber hinaus versuchen, Investitionsanreize zu geben, um Standortdefizite zu kompensieren.

Was aber, glaube ich, ganz wichtig ist oder der bessere Weg ist ist, dass man die regionalen Akteure in die Lage versetzt, selber Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung zu übernehmen. Das bedeutet, dass man dort meinetwegen Innovationszentren aufbauen muss und Vernetzung vorantreiben muss. Politisch würde das bedeuten, dass man die Kommunen beispielsweise in die Lage versetzen muss, entsprechende Mittel dafür aufbringen zu können – also sie müssten irgendwie finanziell entlastet werden. Das bedeutet aber auch, dass man auf die Einheitlichkeit rechtlicher Rahmenbedingungen verzichtet, denn nicht alles ist für alle Regionen gleich gut geeignet.

Prof. Dr. Joachim Ragnitz  ist seit 2007 stellvertretender Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Lehrbeauftragter an der TU Dresden, wo er 2011 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Er ist Mitglied in verschiedenen Beratungskommissionen auf Bundes- und Landesebene. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland. Einen Überblick über seine aktuellen Aktivitäten und Veranstaltungen finden Sie hier.

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Autor:

INSM Redaktion Hier schreibt die Redaktion der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

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