Justierung bei demografischem Wandel: Eine Idee für die Gesetzliche Rentenversicherung
Wie beeinflusst die Demografie die Gesetzliche Rentenversicherung? Eine neue Studie zeigt, wie sich durch eine stärkere Gewichtung der demografischen Lasten Beitragssatz und Sicherungsniveau steuern lassen.
Die Corona-Pandemie überschattet derzeit alles und fordert nicht nur die politisch Handelnden, sondern alle Bürger in besonderem Maße. Da mag es fehl am Platz wirken, wenn zum Beispiel die Reformkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ dieser Tage ihren Abschlussbericht vorstellt. Doch werden die Fragen, mit denen sich die Kommissionsmitglieder im Auftrag der Bundesregierung befasst haben, über die aktuellen Ereignisse hinaus unsere Gesellschaft prägen. Denn von allen Faktoren, die unser wirtschaftliches und soziales Leben künftig beeinflussen, ist einer relativ sicher vorhersehbar: die Demografie.
Mit der Alterung der Bevölkerung steigen in der Gesetzlichen
Rentenversicherung die Zahl der Ruheständler und damit die Rentenausgaben
insgesamt – besonders rasch ab Mitte des Jahrzehnts, wenn die Mitglieder der geburtenstarken
Jahrgänge dann nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Die
Finanzierungslast verteilt sich aber auf weniger Schultern, weil die folgenden
Jahrgänge aufgrund der niedrigen Geburtenraten der Vergangenheit weniger stark
besetzt sind. Im Kern geht es also um eine generationengerechte Verteilung der zusätzlichen
Finanzierungslasten, die aus der längeren Lebenserwartung, vor allem aber den
niedrigen Geburtenraten der Vergangenheit resultieren. Grundsätzlich gibt es
vier Stellschrauben, um in der umlagefinanzierten Rentenversicherung den
Auswirkungen des demografischen Wandels Rechnung zu tragen:
- Entweder steigt der Beitragssatz, den die aktiven Versicherten zahlen müssen,
- und/oder das Sicherungsniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung sinkt, auch
- eine Anhebung der Regelaltersgrenze kann dabei einen Beitrag leisten, den Anstieg des Rentnerquotienten zu verlangsamen, und
- schließlich kann der Steuerzuschuss erhöht werden. Dieser Schritt würde aber einen Systembruch darstellen, werden die Zuweisungen aus dem Bundesetat doch bislang mit versicherungsfremden Leistungen begründet und eben nicht mit der Finanzierung beitragsbezogener Rentenansprüche.
Bislang hat die Bundesregierung eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze nach 2031 kategorisch ausgeklammert, auch wenn zum Beispiel der Generationencheck im Herbst 2019 deutlich gemacht hat, dass mit einer systematischen Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein Beitrag geleistet werden kann, den Anstieg des Beitragssatzes sowie das Absinken des Sicherungsniveaus zu bremsen. Aber auch ohne diese Stellschraube bietet das bestehende Rentenrecht Möglichkeiten, die Verteilung der demografisch bedingten Zusatzlasten zu gestalten.
Im Mittelpunkt steht dabei die Rentenanpassungsformel. Zwei Parameter hat das IW jetzt dazu in seinem aktuellen Generationencheck im Auftrag der INSM genauer unter die Lupe genommen: die Standardrentnerbiografie und die Gewichtung des Nachhaltigkeitsfaktors. Beides sind technische Größen, die Einfluss auf die jährliche Rentenanpassung und damit auf die langfristige Entwicklung des Sicherungsniveaus haben. Das wiederum beeinflusst die Entwicklung des Beitragssatzes.
Bislang wird die Modellbiografie eines Standardrentners unverändert mit
45 Beitragsjahren und jeweils durchschnittlichen Verdiensten unterstellt, wenn
es um die Berechnung des künftigen Sicherungsniveaus in der Gesetzlichen
Rentenversicherung geht. Aus Gründen der Vergleichbarkeit mag das sinnvoll
erscheinen. Aber diese Modellbiografie reflektiert nicht, dass der Gesetzgeber
mit der Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre offenkundig eine
Verlängerung der Lebensarbeitszeit anstrebt. Deshalb müsste die
Standardrentnerbiografie ab 2031 eigentlich um zwei Jahre auf dann 47
Beitragsjahre verlängert werden.
Zum anderen wird in der Rentenanpassungsformel zwar bereits heute der
demografischen Entwicklung Rechnung getragen, genauer: der Veränderung der
Anzahl fiktiver Standardrentner im Verhältnis zur Anzahl fiktiver
Durchschnittsverdiener. Die Veränderung dieses Nachhaltigkeitsfaktors fließt
bislang aber nur zu einem Viertel in die Berechnung der jährlichen
Rentenanpassung ein.
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Mit einer stärkeren Gewichtung lassen sich – in Kombination mit der
angepassten Standardrentnerbiografie – die Entwicklung der Beitragssätze und
des Sicherungsniveaus steuern und damit auch die Verteilung der demografisch
bedingten Zusatzlasten in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Würde die
Veränderung des Nachhaltigkeitsfaktors zum Beispiel künftig statt zu einem
Viertel nun zu einem Drittel auf die jährliche Rentenanpassung durchwirken,
läge der Beitragssatz im Jahr 2060 mit 22,6 Prozent um 1,1 Punkte unter dem
Niveau, das sich bei unveränderter Rentenanpassungsformel einstellen würde.
Gleichzeitig würde das Sicherungsniveau stärker sinken – statt auf 43,7 Prozent
bis auf 43,1 Prozent im Jahr 2060. Das ursprünglich bis 2030 definierte
Mindest-Leistungsversprechen der Gesetzlichen Rentenversicherung könnte also dauerhaft
eingehalten werden.
Zur Klarstellung: Das bedeutet nicht, dass eine einmal festgestellte
Rente gekürzt wird, davor schützt die gesetzliche Rentengarantie. Vielmehr
bleibt die jährliche Rentenerhöhung etwas weiter hinter der Entwicklung der
Durchschnittsentgelte zurück als nach geltendem Recht. Gleichzeitig gewinnen
die aktiven Beitragszahler, die ohnehin künftig durch deutlich steigende
Beitragssätze besonders gefordert werden, etwas Spielraum, um für ihre eigene
Alterssicherung ergänzend vorsorgen zu können.
Bei dem Austarieren der Lastverteilung zwischen den Generationen können
Ökonomen Zusammenhänge offenlegen und die Wirkungen einzelner Stellschrauben
beschreiben. Die Entscheidung über die künftige Rentenpolitik ist aber vom
Souverän und der demokratisch legitimierten Bundesregierung zu treffen. Dabei ist
zu bedenken, dass eine nachhaltige Sicherung der umlagefinanzierten
Alterssicherung nicht allein von der Höhe des Leistungsversprechens abhängt,
sondern auch von der Zustimmung der zukünftig aktiven Beitragszahler.
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Autor:
R. Fischer und Prof. G. Schnabl Prof. Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Raphael Fischer ist Diplom-Volkswirt und Forschungsassistent am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.