Innovationstreiber Digitalisierung – Ungenutztes Potenzial
Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) gewinnen für den Industriestandort Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit mehr und mehr an Bedeutung. Insgesamt 36 Prozent der Industrieunternehmen hierzulande haben seit Anfang 2013 Innovationen eingeführt, für die IKT ausschlaggebend waren. Doch sind die Innovationspotenziale, die sich aus neuen Anwendungen wie Big Data, Cloud Computing oder Industrie 4.0 ergeben, noch stark ausbaufähig. Vor allem, wenn die Bundesrepublik auf diesem Gebiet in Zukunft international Schritt halten will.
Schon seit Jahren genießen IKT den Ruf als Innovationstreiber. Sie digitalisieren Produkte, Dienste und Prozesse und sind Grundlage für neue Geschäftsmodelle. Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, erfährt die Digitalisierung seit etwa zwei Jahren erheblichen Aufwind. Quelle dieses Schwungs sind die zunehmende Leistungsfähigkeit der IKT als Treiber der Digitalisierung und die Vernetzung, die es ermöglicht, einzelne digitale Insellösungen miteinander zu verbinden und konzertiert einzusetzen.
Informationen sind seit je her Grundlage für Entscheidungen. Doch ist es mit Big Data möglich Informationen aus Daten großen Umfangs, unterschiedlicher Quellen und in Echtzeit zu destillieren und auszuwerten, um gezielt Entscheidungen über Materialbestellungen, Produktionsprozesse oder Werbemaßnahmen zu treffen. Daten in einem lokalen Rechenzentrum zu speichern und bei Bedarf abzurufen wird von vielen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen seit Jahren praktiziert. Über Cloud-Dienste können diese Daten bei Fremdanbietern kostengünstig gelagert und flexibel genutzt werden, ohne in eigene Infrastruktur zu investieren.
Schon seit Jahrzehnten arbeitet die Industrie mit computergesteuerten Maschinen und Robotern. Doch sind die Maschinen, Roboter und Bauteile inzwischen in der Lage, miteinander zu kommunizieren. Mit Industrie 4.0 wird die industrielle Produktion zur Smart Factory, digital unterstützte Dienstleistungen werden zu Smart Services. So weit so faszinierend. Inwieweit hat die deutsche Wirtschaft die Potenziale der Digitalisierung als Quelle ihrer Innovationskraft erkannt?
Eine bundesweite Erhebung, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung im Juni 2014 im Zuge des Projekts „Monitoring Digitale Wirtschaft“ durchgeführt hat, liefert hierfür repräsentative Zahlen. Befragt wurden im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mehr als 1.200 Unternehmen der IKT-Branche (IKT-Hardware und IKT-Dienstleister), Mediendienstleister, wissensintensive Dienstleister sowie Unternehmen aus der Industrie (Druckerzeugnisse, Chemie und Pharma, Metallerzeugnisse, Instrumententechnik, Elektrotechnik, Maschinenbau und Fahrzeugbau).
Sowohl in der IKT-Branche, die als Vorreiter der Digitalisierung gilt, als auch in der Industrie, erweisen sich Software und Internet beziehungsweise Telekommunikation als die wichtigsten digitalen Innovationstreiber – nicht ohne Grund: Sie sind Voraussetzung für die Anwendung vieler anderer IKT-Komponenten. Der Abstand zu den nachfolgenden Anwendungen ist dennoch groß: Nur acht Prozent der Industrieunternehmen mit IKT-getriebenen Innovationen sprechen Cloud-Diensten eine hohe Bedeutung im Innovationsprozess zu, nur ein Prozent sieht in Big Data eine Quelle von Innovationen. Selbst bei der Vernetzung von Prozessen wie sie für Industrie 4.0 charakteristisch ist, liegen die Industrieunternehmen deutlich hinter der IKT-Branche. Hingegen halten 71 Prozent der IKT-innovativen Industrieunternehmen Software für wichtig im Innovationsprozess, 70 Prozent sind es im Falle des Internets und der Telekommunikation. Das Potenzial neuer digitaler Anwendungen als Impulsgeber für Innovationen in Anwenderbranchen ist also bei weitem noch nicht ausgereizt.
Ein Blick in die nahe Zukunft zeigt, dass die Bedeutung neuer IKT-Trends in der Industrie bis Ende 2015 zumindest verhalten zunehmen wird. Vergleichsweise hoch sind die Zuwachsraten der Unternehmen, die diese Trends als bedeutend im Innovationsprozess ansehen, bei den Cloud-Diensten und bei der Vernetzung von Prozessen wie sie sich im Kontext von Industrie 4.0 vollzieht. Die höchsten Wachstumsraten sind, ausgehend von sehr niedrigem Niveau, bei Big Data zu verzeichnen. Bis Ende 2015 soll bei sechs Prozent der Industrieunternehmen mit IKT-getriebenen Innovationen Big Data eine zentrale Rolle für Innovationen spielen.
Wenn Deutschland bei der vierten industriellen Revolution in der ersten Liga spielen möchte, ist es wichtig, die Innovationspotenziale dieser neuen Technologien möglichst rasch auszuschöpfen und in Produktivitätssteigerungen umzusetzen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen tun sich damit noch deutlich schwerer als große. Gleichwohl gilt es im Einzelfall Kosten und Nutzen abzuwägen, nicht für alle Unternehmen wird die vollumfängliche Digitalisierung und Vernetzung der Königsweg sein. Um geeignete Rahmenbedingungen für die Ausschöpfung der wirtschaftlichen Potenziale von Digitalisierung und Vernetzung zu schaffen, sind Investitionen in die Internetinfrastruktur und in IT-Sicherheit sowie die Verabschiedung EU-weiter Datenschutzrichtlinien die dringlichsten Aufgaben, die es zu lösen gilt.
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Autor:
Prof. Dr. Irene Bertschek leitet am ZEW Mannheim den Forschungsbereich "Informations- und Kommunikationstechnologien". Seit Februar 2011 ist sie Professorin für Angewandte Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Mannheim.