In Zeiten von Corona: Warum aktuelle Börsenkurse nicht gegen kapitalgedeckte Altersvorsorge sprechen
Die Entwicklung der Börsenkurse in den vergangenen Tagen scheint die Kritiker kapitalgedeckter Altersvorsorge zu bestätigen. Doch sie liegen falsch. Kluge Anlagepolitik fürs Alter ist weitgehend gewappnet gegen kurzfristige Schwankungen – selbst wenn sie so gravierend sind wie zuletzt.
Natürlich haben aktuell der Gesundheitsschutz und der Versuch der Eindämmung der Pandemie oberste Priorität. Jedoch stellt sich jeden Tag auch mehr und mehr heraus, dass neben der gesundheitlichen Dimension die wirtschaftlichen Implikationen der Krise dramatisch sind.
Abzulesen ist dies beispielsweise an den Talfahrten der internationalen Finanzmärkte. Die vergangenen und kommenden Tage werden mit Sicherheit in die Börsengeschichte eingehen.
Da COVID-19 keine Grenzen kennt und sich zudem ein Anbieterstreit am Ölmarkt abzeichnet, sind auch alle Handelsplätze für Wertpapiere von den aktuellen Unsicherheiten betroffen. Innerhalb weniger Handelstage büßte der deutsche Leitindex DAX die Gewinne von fast sieben Jahren positiver Kursentwicklung ein und verlor so viele Punkte wie noch nie in seiner Geschichte. Kenneth Rogoff und andere ziehen schon Vergleiche zur Weltwirtschaftskrise 1929. Es sind ernste Zeiten, hier besteht kein Zweifel.
Diese traurige Entwicklung ist Wasser auf die Mühlen derer, welche einer kapitalgedeckten Vorsorge schon immer eher skeptisch gegenüberstanden und diese im besten Fall für eine Idee aus neoliberalen Elfenbeintürmen und im schlechtesten Fall für eine böse Verschwörung halten. Das ist zu bedauern, denn die gute Idee einer stärker kapitalgedeckten Altersvorsorge angesichts unserer Demografie ist immer noch überzeugend – auch wenn die aktuelle Entwicklung die Argumentation dafür nicht einfacher macht. Hoffentlich hält also auch die aktuelle Entwicklung am Kapitalmarkt die zunehmende parteiübergreifende Einsicht für ein Mehr an Kapitaldeckung bei der Altersvorsorge nicht auf.
Wie ich im letzten Beitrag an dieser Stelle gezeigt habe, handelt es sich mitnichten um ein rein „neoliberales“ Projekt, sondern es gibt hier einen breiten Konsens von der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Verbraucherschützer bis zu einigen grünen Landesverbänden. Auch bei der Union finden sich hierfür Stimmen und bei der FDP ist ein solcher Vorschlag Teil des Programms.
Frage des Planungshorizonts
Natürlich werden die vergangenen Tage auch Altersvorsorgevermögen verringern. Denn selbstverständlich unterliegt kapitalgedecktes Vorsorgen oder Sparen den Wirrungen und Risiken der Finanzmärkte. Der Effekt solcher Börseneinbrüche lässt sich aber einigermaßen beherrschen, und zwar erstens durch einen entsprechenden Planungshorizont und zweitens durch ein Umschichten von ertragreicheren, aber auch risikoreicheren Anlageklassen in solche mit niedrigerer Rendite und geringerem Risiko vor Renteneintritt.
Das heißt, die Sparvermögen der 25-bis 50-Jährigen hätten in den letzten Tagen besonders gelitten, aber das muss uns, ganz nüchtern betrachtet, nicht weiter interessieren. Dieser Effekt wird über die kommenden 15 bis 40 Jahre aufgefangen werden. Das Vorsorgevermögen eines kurz vor Renteneintritt stehenden 65-Jährigen sollte hingegen kaum berührt worden sein, da sein Kapital fast vollständig in relativ sicheren Anleihen stecken müsste.
Der 65-Jährige hätte über die letzten 10 Jahre, in welchen seine Aktien verkauft wurden, ordentliche Gewinne eingefahren. Das heißt nicht, dass es nicht glücklichere oder unglücklichere Rentnerkohorten geben kann, doch wie viel Glück ein bestimmtes Geburtsjahr bringt, ist sowieso eher eine philosophische als eine ökonomische Frage. Schlussendlich lässt sich festhalten: Gut gemachte kapitalgedeckte Altersvorsorge mit einem langen Planungshorizont übersteht auch den Sturm der vergangenen Tage.
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Zudem verlangt kaum ein Fürsprecher von mehr Kapitaldeckung in der Altersvorsorge eine komplette Ablösung des Umlageverfahrens der gesetzlichen Rentenversicherung und sozusagen ein 100-prozentiges Sparen in Aktien fürs Alter. Vielmehr gilt auch hier die alte Bauernregel: Nicht alle Eier in einen Korb. Will heißen, sowohl Kapitaldeckung als auch Umlageverfahren unterliegen ganz speziellen Risiken und daher kommt es auf die Mischung an. Aktien und ähnliche Anlagen haben ein Marktrisiko, welches in den letzten Tagen zu beobachten war.
Die gesetzliche Rentenversicherung unterliegt demografischen Risiken wie etwa der zurückgehenden Geburtenrate, der Zuwanderung und einem politischen Risiko. Bei beiden Systemen gilt, dass bei höherer Lebenserwartung mehr gespart (Kapitaldeckung) oder länger gearbeitet (Umlageverfahren) werden muss.
Umlageverfahren hängt an Wirtschaftsentwicklung
Zudem darf daran erinnert werden, dass zumindest die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland ebenfalls von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen – Arbeitnehmer und Rentner sitzen sozusagen in einem Boot. Wenn es Lohnerhöhungen und viel Beschäftigung wie in den vergangenen Jahren gibt, profitieren auch die Rentner über entsprechende Rentenerhöhungen. Steigt die Arbeitslosigkeit und Löhne stagnieren, dann kommt es zumindest zu Nullrunden, auch bei Rentnern und Rentnerinnen. Eine Krise wie derzeit, die über einen Angebot- und Nachfrageschock die wirtschaftliche Entwicklung mittelfristig signifikant verändern wird, hat also auch auf das Umlageverfahren Auswirkungen. Es gibt ergo keine risikolose Form der Altersvorsorge, sondern, wie bei einer guten Ernährung, nur eine Ausgewogenheit der Zutaten, die zum Ziel führt.
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Autor:
Prof. Dr. Christian Hagist ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Otto Beisheim School of Management Vallendar.