Immer weniger MINT-Fachkräfte durch Rente mit 63

Seit Juli 2014 gilt die Rente mit 63 – eines der umstrittensten Arbeitsmarktprojekte der großen Koalition. Doch was die Bundesregierung nicht bedacht hat, zeigt sich jetzt immer deutlicher: Der subventionierte Vorruhestand entzieht dem deutschen Arbeitsmarkt naturwissenschaftliche Facharbeiter – bisher mindestens 10.000! Und das macht alle früheren Bemühungen zunichte, ältere Mitarbeiter länger im Berufsleben zu halten und Fachkräfteengpässen vorzubeugen.

Sie werden nach wie gesucht: Mechatroniker, Zerspanungsmechaniker und andere MINT-Facharbeiter (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Die Bundesagentur für Arbeit hatte im September 2015 immerhin 105 offene Stellen je 100 Arbeitslose im Bereich Metallerzeugung/-bearbeitung/Metallbau im Angebot, bei Mechatronik, Energie- und Elektrotechnik lag das Verhältnis sogar bei 185 zu 100. In diesen Berufen gibt es also nicht einmal theoretisch genügend Arbeitslose, um alle offenen Stellen zu besetzen. Und der Blick auf die Praxis zeigt: Die tatsächliche Arbeitsmarktnachfrage liegt noch deutlich höher, denn die Unternehmen melden die Hälfte aller offenen Facharbeiterstellen gar nicht erst, sondern schreiben sie direkt im Internet oder in Zeitungen aus.

Verheerende Auswirkungen – fast 100.000 Vakanzen in Technik und Naturwissenschaften

Im September 2015 gab es mindestens 78.000 offene, unbesetzte Stellen in technisch-naturwissenschaftlichen Facharbeiterberufen, 10.000 Ausbildungsstellen in MINT-Facharbeiterberufen blieben vakant. Dies sind Zahlen, die für sich sprechen. Es ist völlig unverständlich, warum die Regierung mit der Rente mit 63 ein Instrument eingeführt hat, das dem Arbeitsmarkt in einem so großen Umfang MINT-Facharbeiter entzieht. Kaum war die Regelung in Kraft, brach die Beschäftigung von MINT-Facharbeitern der Altersklasse 63plus regelrecht ein: Im dritten Quartal 2014 ging die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten MINT-Facharbeiter gegenüber dem Vorquartal um 8,5 Prozent zurück, im vierten Quartal waren es nochmal drei Prozent weniger. In den übrigen rentennahen Jahrgängen setzten sich die Beschäftigungsgewinne dagegen fort. Insgesamt sind dem Arbeitsmarkt in den ersten drei Quartalen nach Einführung der Rente mit 63 mindestens 10.000 MINT-Facharbeiter im Alter 63plus entzogen worden.

Unternehmen, die vorgebeugt hatten, sehen alt aus

Benachteiligt sind nun vor allem jene Firmen, die in den vergangenen Jahren durch verschiedene Maßnahmen versucht haben, ältere Arbeitnehmer länger im Job zu halten. Durch die Rente mit 63 sind die Früchte dieser Investitionen zum großen Teil verdorben. Und die Hoffnung auf Besserung ist gering: Angesichts der akuten Nachwuchssorgen wird sich das Problem in Zukunft noch verschärfen.

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Autor:

Dr. Oliver Koppel ist Senior Econimist beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) und forscht in den Bereichen Bildung, Zuwanderung und Innovation.

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