Haushaltsüberschuss: Warum Wolfgang Schäuble recht hat
Zum zweiten Mal in Folge erzielte der Staat im vergangenen Jahr einen Milliarden-Überschuss. Nun ist in der großen Koalition ein Streit entbrannt, wofür das Geld verwendet werden soll: investieren, Schulden tilgen oder Steuern senken?
Angesichts 6,2 Milliarden Euro an Überschüssen im Bundeshaushalt 2016 und rund 19 Milliarden Euro im Staatshaushalt insgesamt, ist wieder mal die klassische Diskussion aufgeflammt: Stecken wir mehr Geld in öffentliche Investitionen, senken wir die Steuern oder zahlen wir alte Schulden zurück? Befänden sich die öffentlichen Haushalte tatsächlich in einer nachhaltig gesunden Position, könnte man sich im Lexikonformat trefflich über die beste Alternative streiten. Aber das würde den Umfang eines Blogeintrages sprengen. Deshalb hier die Frage: Gibt es überhaupt etwas zu verteilen?
Betrachten wir zum Beispiel den Bundeshaushalt: Die Steuerquote lag im letzten Jahr rund einen Prozentpunkt über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung 1990. Das heißt, rund 31 Milliarden Euro der Steuereinnahmen im Jahr 2016 sind auf heimliche und offene Steuererhöhungen zurückzuführen. Davon entfallen rund 14 Milliarden Euro auf den Bund. Um diesen Betrag ist also der Budgetsaldo des Bundes zum Positiven verzerrt, wenn man davon ausgeht, dass steigenden Steuern und Abgaben auf Dauer dem Wohlstand eines Landes schaden.
Niemand weiß, was ein angemessener und nachhaltiger Zinssatz auf öffentliche Schulden ist. Das der Staat bei Kreditaufnahme auch noch Geld für seine Anleihen bekommt, statt Zinsen zu zahlen, ist jedenfalls weder angemessen noch nachhaltig, sondern Folge italienischer Geldpolitik. Plausibel wäre auf Dauer ein Zinssatz, der sich aus Inflationserwartung und langfristigem Wirtschaftswachstum zusammensetzt. Dafür seien das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent und ein mittelfristiges Wachstum von 1,5 Prozent angesetzt, macht 3,5 Prozent als durchschnittlicher Zinssatz. Heute beträgt der Durchschnittszins für die Bundesschuld 1,84 Prozent. Die Zinslücke zum langfristig zu erwarteten Niveau macht also 1,66 Prozent oder in Euro rund 18 Milliarden aus. Aus übermäßiger Besteuerung und unterirdischen Kapitalmarktzinsen folgt ein Risikopotential für den Bund von insgesamt 32 Milliarden Euro. Und so wird aus einem Überschuss von 6,2 Milliarden Euro eine potentielle Lücke von rund 26 Milliarden Euro.
Bekanntlich ist die Zinslast des Bundes das Produkt von Schuldenstand (S) und Zinssatz(i). Will man diese Zinslast stabilisieren, gilt: dS/dt = -di/dt *S/i. In Worten: Der für die Stabilisierung der Zinsausgaben notwendige Schuldenabbau entspricht dem Produkt von Zinsänderung und Schuldenstand, geteilt durch die Zinshöhe. Nehmen wir ein numerisches Beispiel: Schulden des Bundes (2016): 1101 Milliarden Euro, Zinssatz: 1,84 Prozent, angenommene Veränderung des Zinssatzes um 0,16 Prozentpunkte auf 2 Prozent. In diesem Fall müsste der Schuldenstand durch Tilgung um 96 Milliarden Euro verringert werden, um die Zinslast konstant zu halten. Selbst wenn man zugesteht, dass die Zinsausgaben so schnell wachsen können, wie die Gesamtausgaben, betrüge der Schuldenabbau bedarf immer noch 63 Milliarden Euro. Es würde also bei der derzeitigen Höhe des Überschusses zehn Jahre dauern, bis einer solcher Zinsanstieg durch Schuldenabbau ausgeglichen wäre.
Diese Größen beschreiben das Gesamtrisiko im Bundeshaushalt – und das Schäuble recht hat mit seine Schuldentilgungsforderung.
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Autor:
Dr. Walther Otremba ist Vorsitzender des Bundesverbands Briefdienste. Von 2006 bis 2011 war er Staatssekretär in den Bundesministerien für Wirtschaft, der Finanzen und der Verteidigung.