Grundrentenpläne der Regierung: Es gibt bessere Lösungen

Die Grundrentenpläne der Regierung müssen wohl tatsächlich als verfassungswidrig, ineffizient und ungerecht bezeichnet werden, schreibt Prof. Dr. Joachim Ragnitz. Im Folgenden seine Begründung.

Die Grundrente soll zum 1.1.2021 kommen: Vorgesehen ist die Einführung eines Zuschlags für langjährig Versicherte (wenigstens 33 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung) mit niedrigen Rentenanwartschaften; allerdings nur dann, wenn zusammen mit etwaigen weiteren Einkommen bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden.

Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz (GruReG) Leistungsverbesserungen aber auch bei der Grundsicherung im Alter vor, die für bedürftige Personen (nach Definition des SGB XII) das soziokulturelle Existenzminimum sichern soll.

Letzteres wird häufig übersehen, ist aber für die betroffenen Personengruppen weitaus bedeutsamer als die Grundrente an sich. Die Kosten der Grundrente werden von der Bundesregierung auf 1,4 Milliarden Euro im Einführungsjahr taxiert; dies entspricht einem monatlichen Zahlbetrag pro Grundrentenempfänger von 83 Euro. Schon hieran wird klar, dass die von vielen Rentnerinnen und Rentnern erhofften Einkommensverbesserungen wohl kaum eintreten werden.

Tatsächlich ist aber nichts am jetzt vereinbarten Grundrentenkompromiss der Großen Koalition wirklich gut.[1] Gegen Altersarmut hilft sie nicht, denn wichtige Ursachen niedriger Renteneinkünfte (geringe Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, lange Zeiten der Arbeitslosigkeit wie auch Zeiten der Beschäftigung in einem Minijob) bleiben bei der Ermittlung des Anspruchs auf Grundrente unberücksichtigt.

Wer wirklich bedürftig ist, also Anspruch auf Grundsicherung im Alter hat, erhält zwar Grundrente, doch diese wird im Gegenzug mit den jeweiligen Grundsicherungsleistungen verrechnet, so dass sich am Gesamteinkommen nichts ändert. Gleichzeitig ist die vorgesehene Einkommensprüfung so lasch, dass auch hohe anderweitige Einkommen (zum Beispiel aus Vermietung oder einer Hinterbliebenenrente) beziehungsweise eine Absicherung über den Ehepartner den Bezug von Grundrente in vielen Fällen nicht einschränken dürfen.

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Von der Grundrente profitieren insoweit nur Personen, die sie nach gängigen Maßstäben sozialer Bedürftigkeit nicht nötig haben. Und dass damit das grundlegende Prinzip der Gesetzlichen Rentenversicherung, nämlich die Äquivalenz zwischen gezahlten Beiträgen und Rentenansprüchen, aufgehoben wird, ist nur noch ein weiteres Ärgernis – was man aber zumindest dann noch hinnehmen könnte, wenn die Grundrente wirklich zielorientiert (mit Blick auf die Verhinderung von Altersarmut) und sozial gerecht (mit Blick auf die Bedürftigkeit der Bezieher) wäre. Das ist es aber alles nicht, sodass die Grundrentenpläne der Regierung wohl tatsächlich als „verfassungswidrig, ineffizient und ungerecht“ bezeichnet werden müssen.[2]

Mit der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII existiert bereits ein Instrument der Absicherung gegen (existenzielle) Armut, mit dem die Rente bedürftiger Personen unabhängig von der Höhe des individuellen, durch Beitragsleistungen erworbenen Rentenanspruchs auf durchschnittlich 820 Euro/Monat (Regelbedarf zuzüglich regional unterschiedlicher Kosten für Unterkunft und Heizung) angehoben wird (blaue Linie in Abb. 1 unten). Sinnvoll ist insoweit nur die im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum GruReG vorgesehene Einführung eines Freibetrags in der Grundsicherung in Höhe von maximal 216 Euro/Monat. Dieser führt dazu, dass sich die Einkommenssituation für bedürftige Rentner gegenüber dem geltenden System tatsächlich verbessert (rote Linie in Abb. 1). Da die Grundrente (graue Linie in Abb. 1) jedoch immer unter dem Grundsicherungsniveau verbleibt, ist sie überflüssig. Anders ist es nur, wenn ein bestehender Anspruch auf Grundsicherung von den Berechtigten nicht wahrgenommen würde; dann aber gäbe es bessere Möglichkeiten als die Einführung eines insgesamt wenig zielgenauen und zudem teuren Instruments.

Die im Entwurf des GruReG vorgesehene Freibetragsregelung löst jedoch nicht das Problem, dass die Ausgestaltung der Grundsicherung vielfach als „unfair“ angesehen wird, weil höhere Beitragsleistungen in der Erwerbsphase nicht zu höheren Alterseinkünften führen. Die „Transferentzugsrate“ beträgt nämlich wegen der Deckelung des Freibetrags bei maximal 216 Euro für viele Empfänger von Grundsicherung im Alter auch im reformierten System weiterhin 100 Prozent.

Dies spricht dafür, den Freibetrag in der Grundsicherung in seiner Höhe nicht zu begrenzen, sondern ihn variabel auszugestalten. Denkbar wäre beispielsweise, in Analogie zu den Hinzuverdienstgrenzen beim ALG II zusätzlich erworbene Rentenansprüche nur zu einem Teil auf die Grundsicherung anzurechnen. Ein solches Modell ist in Abbildung 2 (siehe unten) dargestellt, wobei hier beispielhaft ein Freibetrag von 18 Prozent[3] der eigenen Renteneinkünfte unterstellt wurde.

Es ist erkennbar, dass grundsicherungsberechtigte Rentner gegenüber dem Status quo in jedem Fall bessergestellt werden; gleichzeitig werden höhere Beitragsleistungen während der Erwerbsphase auch durch höhere Grundsicherungsansprüche belohnt. Weiterhin sollte die Mindestversicherungszeit von 33 Jahren für die Inanspruchnahme des Freibetrags in der Grundsicherung entfallen, damit auch Personen mit kürzerer Beitragsdauer bei Bedürftigkeit hiervon profitieren können.

Allerdings würden bei solch einer Lösung – je nach Ausgestaltung – nicht nur das Niveau der Grundsicherung höher ausfallen, sondern es würden auch deutlich mehr Personen potenziell Grundsicherungsleistungen[4] empfangen als derzeit. Eine Umsetzung dieses Vorschlags wäre insoweit nicht unbedingt billiger als die aktuellen Pläne der Bundesregierung – aber auf jeden Fall in sich konsistenter.

[1] Vgl. zu einer detaillierten Analyse: Ragnitz, J., Der Koalitionskompromiss zur Grundrente: Gut gemeint, schlecht gemacht, in: ifo Schnelldienst, Heft 3/2020, S. 48-52.

[2] So das Fazit von Ruland, F., Vorschlag zur Grundrente: Ungerecht, ineffizient und teuer, in: Wirtschaftsdienst, Heft 3/2019, S. 189-195; ders.: Der Kompromiss der Koalition zur Grundrente – der Vorschlag bleibt ver­fas­sungs­widrig, ineffizient und ungerecht, Gutachten im Auftrag der INSM, November 2019

[3]  Dieser Wert wurde gewählt, weil dann im Maximum genau die gleiche Höhe des Freibetrags wie im Vorschlag des GruReG erreicht wird. Will man auch Empfänger mit weniger als 33 Jahren Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung einbeziehen, wird man den Anrechnungssatz schon aus fiskalischen Gründen eher niedriger setzen müssen.

[4] In dem hier gewählten Beispiel (Freibetrag 0,18%) würden alle Rentner grundsicherungsberechtigt, die (unabhängig von der individuellen Beitragszeit) weniger als 35,1 Entgeltpunkte aufweisen; aktuell liegt diese Schwelle bei 27,8 Entgeltpunkten.

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Autor:

Prof. Dr. Joachim Ragnitz ist Wirtschaftswissenschaftler, stellvertretender Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und Lehrbeauftragter an der TU Dresden.

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