Grundrente: Respekt vor der Lebensleistung oder reines Polit-Marketing?
Eines muss man der deutschen Sozialdemokratie lassen – im Taufen von Reformvorschlägen ist sie immer noch führend. Ob nun „Bürgerversicherung“, „Gute-Kita-Gesetz“ oder nun die „Respekt-Rente“ – es klingt erst mal immer gut. Doch schaut man sich die Reformen genauer an, bleibt es oft beim guten Marketing, das Produkt selbst kann hingegen selten überzeugen. Dies gilt insbesondere bei der sog. Respekt-Rente, welche sich bei genauerer Ansicht eher als respektlos gegenüber den erfolgreichen Grundprinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft und seiner in weiten Teilen sehr erfolgreichen Alterssicherungssysteme präsentiert.
Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil möchte kleinere Renten aufwerten, sofern diese mit mindestens 35 Jahren „Grundrentenzeiten“ erworben wurden (eine Beschreibung der Eckpunkte zur Grundrente findet sich beispielsweise hier). Im Gegensatz zu der bereits im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD skizzierten Grundrente verzichtet die Respekt-Rente auf eine Bedürftigkeitsprüfung, also auf die Zusammenrechnung aller Einkünfte eines Haushaltes und der Prüfung, ob diese in Summe über der Grundsicherung liegen. Zudem soll es einen Freibetrag für die Respekt-Rente geben, 25 Prozent der individuellen Rente bis zu einem Maximalbetrag von 106 Euro sollen nicht bei der Grundsicherung angerechnet werden. Hinzu kommt noch ein Freibetrag beim Wohngeld, hier muss allerdings noch Bundesinnenminister Seehofer zustimmen.
Insgesamt betrachtet kann das Konzept der Respekt-Rente von vorn bis hinten nicht überzeugen. Im Wesentlichen liegt das an den folgenden drei Gründen:
1.) Warum legt man der Rentenkommission eine weitere Kette an?
Nach den Koalitionsverhandlungen rief das Haus von Hubertus Heil die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ins Leben, vulgo die Rentenkommission. Diese muss bereits jetzt die Quadratur des Kreises hinbekommen, denn wie ein stabiler Generationenvertrag bei festgeschriebenem Rentenniveau, mit festem Beitragssatz, ohne Steuererhöhungen und ohne eine Erhöhung des Renteneintrittsalters zu erreichen sein soll, bleibt schleierhaft. Mit jeder weiteren Rentenreform macht die Bundesregierung die Arbeit der Kommission schwerer oder obsolet, je nach Perspektive. Die Milliarden, die nun Hubertus Heil mit der Respekt-Rente ausgibt, sind für eine Kompromissfindung an anderer Stelle verloren, wenn man nicht den Steuerzahler als Goldesel betrachtet.
2.) Äquivalenz ist Respekt vor der Lebensleistung
Die Respekt-Rente folgt ja vermeintlich der Logik: „Wer länger eingezahlt hat, soll am Ende auch mehr rausbekommen.“ Dies wird aber vielen Lebensläufen nicht gerecht. Sind 35 Jahre Teilzeit wirklich eine höhere Lebensleistung als 30 Jahre Vollzeit? Denn diese gelten, aus welchen Gründen auch immer, nicht als aufwertungswürdig. Warum bekommt jemand, der sagen wir über 35 Jahre Beiträge von X Euro in die Rentenversicherung eingezahlt hat nun mehr als jemand, der diese Leistung über 20 Jahre erbracht hat? Bisher ist es uns (fast) egal, wie lange eingezahlt wurde. Es kommt auf den Betrag an. Ob dieser in kurzer oder langer Zeit erbracht wurde, ist dabei egal: Das Äquivalenzprinzip rechnet die Lebensleistung aus Zeit und Geld (Lohnhöhe) in eine entsprechende Rente um. Wo bleibt der Respekt vor dem Rentner / der Rentnerin, der/die es aus eigenen Stücken geschafft hat, auf 960,90 Euro (die maximale Respekt-Rente) zu kommen?
3.) Keine Bedürftigkeitsprüfung: Arztgattinnen aller Länder, wählt SPD
Der ordnungspolitische Tiefschlag der Respekt-Rente ist jedoch, dass sie ohne eine Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden soll. Damit verlässt das Konzept den Grundkonsens der sozialen Marktwirtschaft. Warum soll der (junge) Steuerzahler die Einkünfte einer Arztgattin in Rente auffrischen, welche sie im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung erworben hat, obwohl mehr als genug sonstiges Haushaltseinkommen vorhanden sein dürfte? Paradoxerweise werden durch diesen Vorschlag dann Haushalte bessergestellt, die besonders wenig in die Rentenversicherung eingezahlt haben – im Vergleich zu denen, die das System mit ihren höheren Beiträgen stabilisiert haben.
Fazit: Keine Diskriminierung von Armutstatbeständen
Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum bestimmte Haushalte, die Grundsicherung im Alter beziehen, überhaupt positiv diskriminiert werden sollten. Unsere Sozialgesetzgebung fragt aus guten Gründen (mit ein paar wenigen Ausnahmen wie etwa Behinderungen etc.) nicht nach dem Grund oder der „Schuld“ für Armut (das Gesetz kennt auch hier die Ausnahme des grob schuldhaften Verhaltens, von welcher wir abstrahieren wollen) – sie wird lediglich festgestellt und den Betroffenen dann geholfen. Ob diese Armut durch Pech, Krankheit, gesamtwirtschaftliche oder individuelle Umstände verursacht ist oder wie lange jemand gearbeitet hat, spielt keine Rolle. Das ist eine humanistische Errungenschaft, an die man sich erinnern sollte und die wirklich Respekt verdient.
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Autor:
Prof. Dr. Christian Hagist ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Otto Beisheim School of Management Vallendar.