Große Koalition: 100 Tage im Rückwärtsgang
Angela Merkel und ihre Große Koalition regieren jetzt knapp hundert Tage. Es ist also an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Obwohl solche Kurzzeitbilanzen in aller Regel wenig aussagekräftig und oft auch unfair sind, weil die Qualität politischer Führung erst in längeren Zeithorizonten ehrlich beurteilt werden kann, erscheint es diesmal extrem leicht, ein eindeutiges und hartes Urteil zu fällen.
SPD und Union gefährden mit ihrem Rentenpaket und mit dem gesetzlichen Mindestlohn die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes auf brutale Weise. In einer Zeit, in der die Babyboomer in Ruhestand gehen und diesen immer länger erleben, spielt die deutsche Rentenpolitik verrückt. Die paradoxe Berliner Botschaft lautet: Wir leben zwar länger, aber wir gehen jetzt wieder früher in Rente. Nichts anderes signalisiert doch die abschlagsfreie Rente mit 63. Haben wir Deutschen eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Vor acht Jahren hat die letzte Große Koalition die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 beschlossen – mit einer langen Übergangszeit bis zum Jahr 2029. Und jetzt diese Rolle rückwärts! Sehen weder die Kanzlerin noch die Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, wie gefährlich dieser Kurswechsel ist – mental und finanziell? Der vermeintliche „Überschuss“ in der Rentenkasse schmilzt ruckzuck, weil gleichzeitig auch noch die teure Mütterrente eingeführt wird. Der gesetzlichen Rentenversicherung in den kommenden fünfzehn Jahren mit diesem Paket Mehrausgaben von knapp 250 Milliarden Euro aufzuhalsen, ist unverantwortlich. Mit Beitragssatzsteigerungen des Rentenbeitrags ist bald zu rechnen und auch mit Steuererhöhungen zur Finanzierung des höheren Bundeszuschusses an die Rentenversicherung. Auch der ausgeglichene Bundeshaushalt im Jahr 2015, für den sich Finanzminister Wolfgang Schäuble schon loben lässt, ist bei dieser Politik alles andere als garantiert.
Das folgende Zitat aus dem Europawahlprogramm-Entwurf der CDU, der Anfang April von einem Bundesparteitag verabschiedet werden soll, stellt die aktuelle Rentenpolitik der CDU unfreiwillig bloß: „Deutschland hat mit der Rente mit 67 einen wichtigen Schritt für ein stabiles und generationengerechtes Rentensystem gemacht. Wir ermutigen die anderen Staaten der Europäischen Union, ihre Systeme zur Alterssicherung ebenso zukunftssicher aufzustellen und längere Lebensarbeitszeiten in Betracht zu ziehen. Das Ziel muss sein, die jüngere und ältere Generation gleichermaßen im Arbeitsmarkt zu integrieren.“ (Zeilen 2430 – 2437 im Programmentwurf der CDU zur Europawahl)
Auch die Risiken und Nebenwirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, den Andrea Nahles und Sigmar Gabriel für „Meilensteine der Gerechtigkeit“ halten, wird der deutsche Arbeitsmarkt schon bald spüren. Wir steuern Geringqualifizierte aus dem Arbeitsmarkt aus, weil vor allem im Osten Deutschlands ein Stundenlohn von 8,50 Euro wie eine unüberwindbare Beschäftigungsbarriere Wirkung entfalten wird. Wir verteuern die unteren Tarif-Lohngruppen in den Betrieben ganz schnell, weil die Gewerkschaften den Lohnabstand von oben durch hohe Sockelbeträge wieder herstellen werden. Die aktuelle Tarifrunde von Verdi im Öffentlichen Dienst lässt diese Strategie schon erkennen. Wir führen Lohnkostenzuschüsse für Betriebe ein, die Langzeitarbeitslosen eine Chance geben wollen, weil selbst die Arbeitsministerin fürchtet, dass diese schwer vermittelbare Zielgruppe zu den Konditionen des gesetzlichen Mindestlohns keine Arbeitsmarktchance erhält. Und wir politisieren die Lohnpolitik in Deutschland, die bisher Sache der Tarifparteien und nicht Wahlkampfthema der politischen Parteien war. Was für eine grandiose Leistung? Das alles macht mich fassungslos.
Autor:
Oswald Metzger ist Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Von 1994 bis 2002 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Er ist Geschäftsführer des Konvent für Deutschland.