Griechische Naturkatastrophe

Ist der Euro in Gefahr? Die Schuldenkrise in Europa wird zur Belastungsprobe für die Gemeinschaftswährung

Ein Rechtsgutachten des Bundestages hat nun festgestellt, dass der Artikel 122 des AEUV eine rechtliche Grundlage für eine Hilfsverpflichtung Deutschlands an Griechenland bildet, denn es handele sich bei der griechischen Haushaltskrise um einen Notfall. Wörtlich sagt der entsprechende Passus aus, dass einem Staat geholfen werden kann “der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist” (Art 122 (2) AEUV). Der Politiker Dr. Schick sprach von spekulativen Attacken, denen Griechenland ausgesetzt sei, als einem typischen Fall für eine solche Notlage.

Allerdings fällt es dem weniger phantasiebegabten Betrachter doch schwer, das langjährige Fälschen von Statistiken unter aktiver Zuhilfenahme des fachkundigen Rates der Banken als Naturkatastrophe zu sehen. Auch muss der Fälscher selber aktiv werden, d.h. er hat die Kontrolle. Drittens ist die Reaktion der Finanzmärkte wohl auch endogen, sofern man unterstellt, dass die Fälschungen den Anlegern bei der Vergabe der Kredite oder dem Erwerb der Anleihen nicht bekannt waren. Viertens bleibt den Griechen ja noch die Möglichkeit, Kontrolle auszuüben, indem sie jetzt sparen und länger arbeiten, eventuell auch für weniger Gehalt als vorher.

Wird diese Situation jetzt als Schicksalsschlag für Griechenland betrachtet und von der EU zum Anlass genommen, die Steuergelder der Mitgliedsstaaten zugunsten Griechenlands umzuverteilen, wäre dies nicht nur ein Rechtsbruch, denn der Artikel 125 AEUV, der das “Bail-out“ untersagt, sollte hier doch wohl schlagend sein. Es zeigte auch ein sehr eigentümliches Rechtsverständnis in Europa, das die Bürger von der europäischen Integration zu entfremden droht. Warum sollten Steuerzahler noch bereit sein, ihren Verpflichtungen nachzukommen? Warum sollten Arbeitnehmer hierzulande bereit sein, bis 67 zu arbeiten, wenn den Griechen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch unsere Zahlungen erspart bliebe? Warum sollten Transferempfänger bereit sein, Einbußen in Kauf zu nehmen? Irgendeiner wird schon zahlen! Es kommt nur darauf an, schneller mit dem Geldausgeben zu sein als die anderen Europäer! Im Ernst: Sollte diese absurde Interpretation der europäischen Integration Schule machen und andere Länder mit selbstverschuldeten Problemen, z.B. Italien, Spanien, Irland oder die baltischen Staaten sich ebenfalls darauf berufen, droht ein schnelles ende nicht nur des Euros, sondern der gesamten europäischen Integration! Das ist die echte Katastrophe, sie wäre aber nicht eine natürliche!

Autor:

Prof. Dr. Andreas Freytag ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist zudem als Honoraprofessor an der Universität Stellenbosch und am Institute for international Trade der Universität Adelaide tätig. Neben den Fragen zur deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik interessieren ihn außenwirtschaftliche und entwicklungspolitische Themen.

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