Geld als soziale Technologie wiederentdecken
Viele Menschen verlieren heute den Glauben, dass unser Wirtschaftssystem für Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit sorgen kann. Das Problem, sagt Felix Martin, ist aber nicht der Kapitalismus, sondern unser Verständnis von Geld. Hatte Geld noch bis vor gut 300 Jahren stets eher eine ordnende Funktion, hat es sich seither fatalerweise als Wirtschaftsgut durchgesetzt und einen eigenen Wert bekommen. Das große Missverständnis hält bis heute an – und war auch Schuld an der Weltwirtschaftskrise.
Ein ungewöhnliches Literatur-Genre ist dem britischen Ökonomen Felix Martin da geglückt: Mit seinem neuen Buch „Geld – die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck im Kapitalismus“ legt er eine Mischung aus Fachlektüre, Roman und platonischem Dialog vor. Zunächst führt er den Leser in die Historie des Geldes ein – angefangen in Mesopotamien übers Mittelalter bis in die Neuzeit. Doch vor allem am Beispiel von Yap, einer Inselgruppe im Pazifik, 1.300 Kilometer von Neuguinea entfernt, zeigt er, dass Geld ursprünglich ein soziales Instrument war, das den Tausch von Waren für die Menschen organisierte: Die Einwohner auf Yap benutzten einst die „fei“ als eine Art Geld. Die „fei“ waren große, massive Steinscheiben mit einem Loch in der Mitte, um sie an Holzstangen zu transportieren. Nicht die „fei“ aber waren das Geld auf Yap, „sondern das zugrunde liegende System von Kredit- und Verrechnungskosten. Die fei halfen den Bewohnern lediglich dabei, den Überblick zu behalten. Die fei waren nur Zeichen, mit deren Hilfe diese Konten geführt wurden“, erklärt der Autor.
Oft waren die „fei“ viel zu schwer, um sie zu transportieren. Wenn also zwei Insulaner ein Geschäft verabredeten, blieb der „fei“ häufig beim Käufer. Es genügte, dass alle am Geschäft Beteiligten wussten: Egal, wo dieser „fei“ steht, er gehört dem Verkäufer – ein sehr solides Zahlungsmittel also.
John Lockes und das Ende des guten Geldes
Ursprünglich hatte Geld also die Aufgabe, das Schuldenverhältnis zwischen verschiedenen Parteien zu bestimmen und dafür ein bestimmtes Maß zu sein. Spätestens, so meint Felix Martin, beginnt vor gut 300 Jahren mit dem englischen Philosophen John Lockes der große Irrtum – nämlich, dass wir Geld nur noch einfaches Tauschmittel begreifen. Geld hatte einen Wert an sich bekommen. Geld sei seitdem ein Gut geworden, mit dem man handeln kann wie mit Weizen, Gerste oder Mais. Das jedoch sei falsch. Wie sich an Yap zeigt, habe Geld früher als soziales Instrument oder wie Martin sagt als „soziale Technologie“ fungiert. Geld bedeutet von seiner Geburt her „eine Gesamtheit von Ideen und Praktiken, die das, was wir produzieren und konsumieren und die Art unseres Zusammenlebens“ organisiert, meint der Autor. Geld ist für ihn im ursprünglichen Sinn eine Form des Kredits.
Viele Ökonomen und Historiker haben seiner Meinung nach im Laufe der Geschichte des Geldes die Rolle von Kreditbeziehungen unterschätzt. Es entstand die Ansicht, die Finanzwirtschaft habe keinen Einfluss auf die Realwirtschaft. Dies ist für Martin der „blinde Fleck im Kapitalismus“. Es gelte: Menschen stünden über Geld- und Kreditbeziehungen in einem Austausch. Menschen gingen finanzielle Schuldverhältnisse ein – und diese seien nie sicher, schreibt Martin. Darum könne Geld auch Finanzkrisen auslösen, die letztlich auf die reale Wirtschaft wirkten und diese in Gefahr brächte.
Karl Marx, Ayn Rand und die Gebrüder Grimm
Martins Forderung: „Wir müssen die Volkswirtschaftslehre so umformulieren, dass sie von einem realistischen Verständnis des Geldes ausgeht.“ Das Ziel von Geldpolitik müsse nicht unbedingt nur Geldwertstabilität sein, sondern auch eine gerechtere Gesellschaft. Dass der Autor deswegen vorschlägt, das Geldwesen konsequent zu verstaatlich, ist – harmlos formuliert – ein wenig radikal. Martins Idee: Auf der einen Seite müsse es dann sogenannte Scheckbanken (narrow banking) geben, die die volle Rückendeckung durch den Staat genössen. Und auf der anderen Seite könnten sich alle, die dort nicht mitmachen wollten – Privatpersonen, Körperschaften, Firmen – dann anders organisieren, allerdings ohne jede staatliche Garantie. Nun ja, eine zweifellos etwas provokante Sicht, die Martin selbst humorvoll als „Kreuzung aus Karl Marx, Ayn Rand und den Gebrüdern Grimm“ bezeichnet.
Ein Bewusstseinswandel müsse dennoch in die Wege geleitet werden, meint der Autor. Am besten gleich an der Quelle der Bildung – der Universität: „Die praktischen finanz- und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, die heute an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten vermittelt werden, und das detaillierte Verständnis von Institutionen und ihre Entwicklung, das an den geschichtswissenschaftlichen Fakultäten gelehrt wird, müssen wieder in die volkswirtschaftliche Lehre integriert werden“, schreibt Martin. Ein Ökonom müsse heute Mathematiker, Historiker, Staatsmann und Philosoph sein. Guter Vorschlag!
Fazit
Martins 430-Seiten-Wälzer ist ebenso unterhaltsam wie radikal. Wer sich für die Ideen- und Realgeschichte des Geldes in den verschiedenen Epochen, seitdem Menschen Waren austauschen, interessiert, ist hier ebenso gut aufgehoben wie alle, die sich provokante Ideen zur Geldtheorie anhören wollen.
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Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.