Gefangen in der Niedrigzins- und Exportfalle
Der deutsche Export boomt und sorgt im europäischen Binnenmarkt regelmäßig für Ärger. Vor allem die Krisenstaaten hätten darunter zu leiden. Wie berechtigt ist die Kritik am deutschen Geschäftsmodell?
Seit Ausbruch der Eurokrise steht Deutschland wegen seiner Handelsbilanzüberschüsse am Pranger. Die hohen Überschüsse gehen zu Lasten der Krisenstaaten, heißt es. Auch im vergangenen Jahr ist der Wert der exportierten Waren und Dienstleistungen weiter gewachsen und hat im November die 1-Billion-Euro-Marke überschritten. Mit dem Handelsbilanzüberschuss ist ebenfalls die Kritik aus dem Ausland gewachsen.
Theoretisch gilt: Handelsbilanzüberschüsse sind das Ergebnis privater Konsum-, Spar- und Investitionsentscheidungen, die dezentral getroffen werden. Sie spiegeln unterschiedliche Präferenzen bezüglich heutigem und zukünftigem Konsum in einzelnen Volkswirtschaften wider. Richtig ist aber auch, dass die restriktive Haushaltspolitik Deutschlands gepaart mit der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank seit der Jahrtausendwende ihren Teil zu den exzessiv hohen Überschüssen beigetragen hat.
Seit der Jahrtausendwende war in Deutschland durch öffentliche Ausgabenzurückhaltung und Restrukturierungen im Unternehmenssektor die Nachfrage nach Kapital gering, während die Europäische Zentralbank (EZB) durch Zinssenkungen die Kreditvergabe begünstigte. Die wachsenden deutschen Sparüberschüsse flossen über deutsche Banken ins Ausland ab. Die Kredite wurden insbesondere in den späteren europäischen Krisenländern und den USA zum Kauf deutscher Güter genutzt. So konnte der deutsche Export seit der Jahrtausendwende einen Rekord nach dem anderen erklimmen.
Dies hat zwar Arbeitsplätze geschaffen, aber die Anlage der deutschen Ersparnisse im Ausland war risikoreich. Denn die deutschen Ersparnisse haben beflügelt von billigem Zentralbankgeld spekulative Blasen und Konsum angeheizt. Mit dem Platzen dieser Blasen wurde ein Großteil der deutschen Ersparnisse entwertet – bis heute mind. 426 Milliarden Euro. Viele Banken, insbesondere Landesbanken, mussten durch Steuergelder und billige Liquidität der Europäischen Zentralbank gerettet werden.
Es ist ein Teufelskreis: Denn die erneute Liquiditätsausweitung der EZB gepaart mit einer weiterhin vergleichsweise restriktiven deutschen Finanzpolitik, erhält die deutschen Kapitalabflüsse und damit Handelsüberschüsse aufrecht. Zwar haben die Reformen in den Krisenländern Konsum, Importe und damit deren Handelsbilanzdefizite drastisch reduziert, doch werden die deutschen Kapitalexporte nun insbesondere nach Frankreich, USA und Großbritannien umgeleitet.
In Frankreich dämpfen die Kapitalzuflüsse vor allem den Reformeifer. Das Land zeigt bereits ähnliche Strukturmerkmale wie die Euro-Krisenländer vor der Krise. Wohin die deutschen Ersparnisse von den New Yorker und Londoner Kapitalmärkten aus fließen, ist ungewiss. Doch zeichnet sich eine Blase auf den globalen Aktienmärkten und den Märkten für oft risikoreiche Unternehmensanleihen ab. Die Gefahr neuer Verluste für deutsche Banken und Sparer steigt. 2013 wurden ca. 126 Milliarden Euro ins Ausland geschafft, die im Fall einer Krise eher als Transfer als als Kredit zu betrachten sind. Für 2014 wird voraussichtlich eine ähnliche Summe ins Ausland fließt.
Der Ausweg führt nur über höhere Leitzinsen der EZB, die das Risiko der spekulativen Blasen auf den globalen Finanzmärkten reduzieren würden. Da dies mit Blick auf die Wirtschaftslage in den Eurokrisenländern politisch unmöglich erscheint (Niedrigzinsfalle), können die deutschen Ersparnisse als zweitbeste Lösung nur über vermehrte staatliche Investitionen gesichert werden. Die Sanierung von Straßen, der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes für Züge oder die Sanierung von Stadtkernen nach französischem Muster würden dem deutschen Sparer und Steuerzahler langfristig Nutzen stiften.
Dem stehen jedoch die Prinzipien deutscher Sparsamkeit und der verschärften europäischen Schuldenüberwachung gegenüber. In einer Welt im Überfluss verfügbarer Zentralbankliquidität scheint das Verfeuern deutscher Ersparnisse deshalb das einzig politisch mögliche Wachstumsmodell – auch wenn es für eine alternde Gesellschaft wenig sinnvoll erscheint (Exportfalle). Vielmehr könnte es die bessere Lösung für die Kritiker deutscher Handelsüberschüsse sein. Denn würden beispielsweise in Frankreich die deutschen Kapitalzuflüsse ausbleiben, würde das Land wie die heutigen Krisenländer in die Austerität gestürzt.
Eine auführlichere Analyse können Sie hier downloaden.
Autor:
Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.