Freibeträge in der Sozialversicherung: Nicht zielführend
SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel will Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen entlasten. Da eine niedrigere Einkommensteuerlast bei den Geringverdienern kaum greift, sollen Freibeträge bei den Sozialabgaben für eine Umverteilung von oben nach unten sorgen. Davon profitieren aber längst nicht alle Haushalte am unteren Ende der Verteilung, wohl aber mach einer, der gar keiner Entlastung bedarf.
Die Bundestagswahl ist zwar noch etwas hin, aber in den Parteien wird schon heute über die Grundlinien nachgedacht, mit denen sie kommendes Jahr um die Wählergunst kämpfen möchten. Manche Idee wirkt da wie ein medialer Testballon, sie als politisches Sommertheater abzutun, wäre aber leichtfertig. Deshalb stellt sich die Frage, was eigentlich dran ist an der jüngsten Idee des SPD-Vizechefs Schäfer-Gümbel, Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen über Freibeträge bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu entlasten.
Gerechte oder ungerechte Verteilung?
Wer nun eine Auseinandersetzung mit der Frage erwartet, ob denn die Einkommensverteilung gerecht oder ungerecht sei, den muss ich enttäuschen. Als Ökonom kann ich zwar trefflich über Methoden der Verteilungsmessung streiten. Ob die Gesellschaft am Ende aber einer stärkeren Umverteilung bedarf oder nicht, dazu habe ich zwar eine persönliche Meinung. In meiner Eigenschaft als Wissenschaftler kann ich aber kein Urteil über Fragen der Verteilungsgerechtigkeit treffen. Sehr wohl kann ich aber die ökonomischen Wirkungen einer solchen Maßnahme analysieren. Wie ist also der Vorschlag zu bewerten, wenn man sich die Umverteilungspräferenz des Sozialdemokraten zu eigen macht?
Der stellvertretende SPD-Chef hat zunächst einmal Recht, wenn er darauf hinweist, dass insbesondere Bezieher niedriger Einkommen über Entlastungen bei der Einkommensteuer kaum erreicht werden können. Denn das Gros der Steuerlast stemmen andere. Gut Dreiviertel des Einkommensteueraufkommens wird von dem obersten Viertel der Einkommensverteilung gezahlt, fast 95 Prozent von der oberen Hälfte. Eine alternative Entlastungsmöglichkeit ergibt sich aber bei Rentenversicherung und Co. Denn während Geringverdiener ab dem ersten Euro den gleichen Prozentsatz zur gesetzlichen Sozialversicherung wie alle anderen Mitglieder zahlen, werden Gutverdienende relativ besser gestellt, weil Einkommensbestandteile jenseits der Bemessungsgrenze beitragsfrei bleiben.
Die ersten Euro beitragsfrei – nur die halbe Wahrheit
Ein Freibetrag müsste dann so konstruiert sein, dass die ersten Euro des Arbeitsentgelts beitragsfrei bleiben und die Beitragspflicht später (gegebenenfalls in Stufen ansteigend) eintritt. Da das zu erheblichen Ausfällen in den Haushalten der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung führen würde, wären höhere Beitragssätze, eine Anhebung und/oder Abschaffung der Bemessungsgrenzen und/oder eine Ausweitung der Beitragspflicht auf weitere Einkommensbestandteile unvermeidbar. Dies gilt umso mehr, je großzügiger die Freibetragsgrenzen gewählt werden.
Allerdings würden damit die Arbeitskosten und so auch die Beschäftigungschancen vor allem der hochqualifizierten Arbeitnehmer mit hohen Einkommenserwartungen belastet. Denn die besonders nachgefragten Fachkräfte werden kaum auf Nettolohn verzichten. Also muss der Arbeitgeber höhere Sozialabgaben drauflegen.
Gegen die Familienversicherung
Aber könnte die Freibetragsregelung nicht den Arbeitsanreiz gerade in Familien verbessern? Denn wenn bisher beitragsfrei Familienversicherte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, müssen sie mit einem Mal eigene Beiträge an die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung zahlen, ohne dass sich daraus (abgesehen vom Krankengeldanspruch) zusätzliche Leistungsansprüche ergeben. Die Sozialabgabenpflicht kann dann wie eine Steuer auf die Beschäftigung wirken. (Das Argument gilt allerdings nicht für die Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge, weil dort der Beitrag den Leistungsanspruch beeinflusst.) Dieser Einwand taugt aber nicht zur Begründung einer Freibetragsregelung, denn er spricht grundsätzlich gegen eine beitragsfreie Mitversicherung erwachsener Familienangehöriger. Und dies gilt umso mehr, als mit den Mini- und Midi-Jobregeln bereits ein gleitender Übergang von der Beitragsfreiheit zur vollen Beitragspflicht besteht.
Wenig treffsicher und unerwünschte Mitnahmeeffekte
Gerade am unteren Ende der Einkommensverteilung rangieren nicht nur Geringverdiener, sondern auch Bezieher von Transfereinkommen. Sofern diese als Arbeitslose oder Hartz IV-Empfänger keine eigenen Sozialbeiträge zahlen beziehungsweise wie Rentner nur in der Kranken- und Pflegeversicherung beitragspflichtig sind, bleiben sie von einer zusätzlichen Umverteilung von oben nach unten ausgeschlossen. Damit der Freibetrag alle Haushalte erreicht, müssen diese zunächst einmal sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein. Gerade bei Langzeitarbeitslosen fehlt aber oft die Qualifikation, um in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, und nicht so sehr ein Anreiz, wie er aus der Sozialabgabenpflicht resultiert.
Das Instrument ist also nicht nur wenig treffsicher, es drohen auch unerwünschte Mitnahmeeffekte. So können Personen von einem Freibetrag profitieren, die möglicherweise gar keiner Entlastung bedürfen. Denn eine Freibetragsregelung begünstigt auch jene, die zum Beispiel aufgrund einer Ausbildung oder familiärer Verpflichtungen freiwillig in Teilzeit arbeiten, aber im Haushaltskontext gut abgesichert sind.
Fazit: Eine Idee, die ihr Ziel verfehlt
Selbst wenn man die Umverteilungspräferenzen der Sozialdemokratie teilen möchte, macht es wenig Sinn, diese über Freibeträge bei den Sozialabgaben anzustreben. Dies gilt umso mehr, als die Finanzierung der gesetzlichen Sozialversicherung damit zunehmend einen steuerähnlichen Charakter bekäme, der Zusammenhang von Beitragszahlung und Leistungsanspruch weiter aufgelöst würde und deshalb insbesondere in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung Chancen auf eine effizientere Steuerung der Versorgung vertan würden.
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Autor:
R. Fischer und Prof. G. Schnabl Prof. Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Raphael Fischer ist Diplom-Volkswirt und Forschungsassistent am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.