EU-Wachstumspakt: Who cares?
Wie kommt die Konjunktur in Europa wieder ans Laufen? Welche Wachstumsimpulse helfen, die Staatsschuldenkrise zu überwinden? Welchen Beitrag kann dabei die Europäische Union spielen? Wie verbindlich ist der erst kürzlich ausgehandelte „EU-Wachstumspakt“? Der Autor empfiehlt, die langfristige Strategie „Europa 2020“ umzusetzen.
Die Ökonomenzunft dies- und jenseits des Atlantiks ist derzeit nicht gut aufeinander zu sprechen. Der Grund: Die Eurokrise. Die einen wollen eine expansive ‚Geldpolitik ohne Wiederkehr‘ und die anderen ‚Austerität ohne Morgengrauen‘. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Europa muss wieder wachsen! Ansonsten geht nicht nur der alte Kontinent den Bach runter, sondern die ganze Weltwirtschaft macht den Abgang.
Bleibt also die Frage, woher das Wachstum kommen soll? Wachstum ist das Ergebnis von Marktbeziehungen und Zukunftsaussichten. In Europa kamen die Marktbeziehungen lange nicht auf Hochtouren, die Zukunft erscheint daher eher unsicher als rosig. Für kurzsichtige Antizykliker gibt es dann nur noch eine Lösung: Expansive Fiskal- und Geldpolitik. Der Staat soll‘s richten!
Allerdings sind die meisten Nationalstaaten in Europa zu klein, um bedeutende Wachstumsschübe in Gesamteuropa auszulösen. Zahlmeister Deutschland sträubt sich gegen noch mehr fiskalische Interventionen und hält an der Autonomie der EZB fest. Und der Rest der „big five“ ist entweder krisengeschüttelt (Italien und Spanien), politisch isoliert (Großbritannien) oder stellt sich in Deutschlands Schatten (Frankreich). Mit letzter Hoffnung fällt der Fokus nun auf die EU als Wachstumstreiber.
Tatsächlich kam es am 30. Januar 2012 zu einer Absichtserklärung der Staats- und Regierungschefs: „Towards Growth-Friendly Consolidation and Job-Friendly Growth“ heißt die Erklärung des Europäischen Rates. Man wolle die Finanzierungsmöglichkeiten der Wirtschaft erweitern, vor allem für KMUs. Des Weiteren soll endlich der Binnenmarkt vervollständigt und die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden. Nach konkreten Maßnahmen sucht man auf dem Statement allerdings vergebens. Immerhin sollen dafür rund 82 Mrd. € aus den EU-Strukturfonds neu zugeteilt werden. Das alleine wird sich als schwieriger erweisen als gedacht. Schließlich steckt ein Großteil der im Sozialfonds und im Fonds für regionale Entwicklung noch zur Verfügung stehenden Mittel schon in den Ländern mit Finanzierungsbedarf, ist von diesen aber noch nicht ausgegeben worden: Griechenland 374 Mio. €, Portugal 3 Mrd. €, Italien 8 Mrd. €, Spanien 10,7 Mrd. €. Abgesehen davon können lediglich die Mittel für Deutschland, Frankreich und Großbritannien (zusammen: 11,4 Mrd. €) geschröpft werden, ohne den Aufholprozess der osteuropäischen Mitgliedsstaaten zu gefährden.
Die EU hat also weder ausreichende fiskalische Mittel, noch einen konkreten Maßnahmenkatalog parat, um kurzerhand einen Wachstumsimpuls geben zu können. Die Absichtserklärung wird also voraussichtlich ohne viel Schall und Rauch in Brüsseler Schubladen verschwinden.
Ist auch gar nicht tragisch, denn die Regierungschefs scheinen übersehen zu haben, dass sie bereits eine zwar ebenso phrasenüberladene, aber viel ausgewogenere und facettenreichere Wachstumsstrategie für Europa unterschrieben haben. „Europa 2020“ wurde im Juni 2010 verabschiedet und stellte Initiativen auf, deren Erfolg sogar anhand eines eigenen Indikatorensystems ablesbar sein sollte. Die Ziele sind ambitionierter als die der jetzigen Erklärung und waren bereits als langfristige Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise gedacht.
Kurz nach der Verabschiedung der „Europa 2020“-Strategie sagten viele EU-Bürger in einer Umfrage allerdings „Who cares?“ Damit stehen sie nicht alleine da: Denn auch die Regierungen müssen niemandem ernsthaft Rechenschaft ablegen, weder bei „Europa 2020“, noch bei der Absichtserklärung vom 30. Januar. Natürlich überwacht die Kommission die Fortschritte, aber Sanktionen bei Nicht-Erfüllung der Wachstumsziele sind nicht vorgesehen. Dabei sind es vor allem Strukturreformen Wert umgesetzt zu werden. Die Erreichung der Ziele ist auf die Kooperation der Länder angewiesen und fördert somit die Europäische Integration. Man kann Brüssel nur ans Herz legen, „Europa 2020“ wieder aus den Schubladen zu ziehen und beherzt auf die Agenda zu setzen.
Die Wachstumsstrategie 2020 der Europäischen Kommission finden Sie hier.
Die Absichtserklärung der Staats- und Regierungschef finden Sie hier.
Einen weiteren Text des Autors zum Thema Wachstumsstrategie – Europa 2020 finden Sie hier.
Dies ist ein Beitrag aus der Reihe “WachstumsBlog”. In einem bis zwei Beiträgen pro Woche beschäftigen sich Wirtschaftsexperten im ÖkonomenBlog mit Themen rund um nachhaltiges Wachstum.
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Autor:
Dr. Matthias Heider ist Abgeordneter des Deutschen Bundestags und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie.