Erreicht Deutschland sein CO2-Ziel für 2020?
Die CO2-Emissionen in Deutschland sinken vor allen in jenen Bereichen, die dem Emissionshandel unterliegen. Zusammen mit dem Einbruch infolge der Corona-Krise rückt das Emissionsziel für 2020 plötzlich in greifbare Nähe.
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 den Treibhausgasausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Dieses Ziel galt bis vor Kurzem als kaum mehr erreichbar. Aus diesem Grund hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag stillschweigend davon verabschiedet. Tatsächlich konnte Deutschland seine Treibhausgasemissionen zwischen 1990 und 2018 lediglich um 30,8 Prozent reduzieren (UBA 2019). Im Jahr 2018 war man damit noch rund 115 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalente vom Emissionsziel von 866 Millionen Tonnen für das Jahr 2020 entfernt.
Ein wesentlicher Grund für den großen Abstand zum Klimaziel für das Jahr 2020 ist die Stagnation der Emissionen des Verkehrssektors seit dem Jahr 1990. Betrugen die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs damals 161,9 Millionen Tonnen, stiegen sie bis zum Jahr 2016 gar auf 165,0 Millionen Tonnen, ehe sie sich bis zum Jahr 2018 wieder auf 162,0 Millionen Tonnen verringerten (UBA 2019). Die Hauptgründe für diese Stagnation waren die Zunahme des Güterverkehrs sowie der Anstieg der Anzahl an Kraftfahrzeugen, die die Energieeffizienzverbesserungen beim spezifischen Kraftstoffverbrauch je Kilometer konterkarierten. So stieg die Zahl der Autos in Deutschland allein zwischen 2007 und 2018 um über 14 Prozent, von 41,2 auf 47,1 Millionen (KBA 2019).
Im Gegensatz zum Verkehrssektor hatten die seit dem Jahr 2005 in den europäischen Handel mit Emissionszertifikaten integrierten Sektoren Energiewirtschaft und Industrie maßgeblichen Anteil an der Verringerung der Treibhausgasemissionen in Deutschland: Deren Emissionen sanken zwischen 1990 und 2018 um 33,3 bzw. 31,0 Prozent (UBA 2019) − trotz steigenden industriellen Outputs und wachsenden Stromverbrauchs, welcher zwischen 1990 und 2018 von 550,7 auf 588,5 Mrd. kWh um knapp 7 Prozent gestiegen ist.
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Neben der teuren Förderung der Erneuerbaren Energien-Technologien mittels des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), mit dessen Hilfe der Anteil an grünem Strom am Bruttostromverbrauch in Deutschland seit seiner Einführung im Jahr 2000 von unter 7 auf knapp 43 Prozent gestiegen ist (Agora Energiewende 2020), ist der Rückgang der Emissionen vor allem auf den EU-Emissionshandel zurückzuführen: Die Emissionsobergrenze der darin integrierten Sektoren in den Sektoren Energiewirtschaft und Industrie wird kontinuierlich um 1,74 Prozent pro Jahr gesenkt, indem die Anzahl der jährlich ausgegebenen Zertifikate entsprechend um 1,74 Prozent verringert wird.
Im Gegensatz zur Erneuerbaren-Förderung mittels des EEG, mit der Emissionsvermeidungskosten von mehreren 100 Euro je Tonne Kohlendioxid (CO2) verbunden sind, etwa im Falle der vormals hohen Einspeisevergütungen für Photovoltaik, können mit dem EU-Emissionshandel die Emissionen in kosteneffizienter Weise reduziert werden. Ein Indikator dafür ist der Preis für Emissionszertifikate, der derzeit bei rund 25 Euro je Tonne CO2 liegt und bislang nie nennenswert die Marke von 30 Euro überschritt.
Die
seit dem Jahr 2017 deutlich gestiegenen Zertifikatpreise, die davor lange Zeit
unter 10 Euro lagen, sich aber im Jahr 2019 zwischen 20 und 30 Euro bewegten, waren
laut Agora Energiewende (2020) neben dem Zuwachs bei den Erneuerbaren und dem gesunkenen
Stromverbrauch der wesentliche Grund für die im Jahr 2019 deutlich gesunkenen
Treibhausgasemissionen. Diese sanken im Vergleich zum Jahr 2018 um über 50 Millionen
Tonnen bzw. gut 6 Prozent und liegen nun mit insgesamt 811 Millionen Tonnen
etwa 35 Prozent unter dem Niveau von 1990 (Agora Energiewende 2020). Diese
Minderung um über 50 Millionen Tonnen geht überwiegend auf den Stromsektor
zurück. Dort sind die CO2-Emissionen allein im Jahr 2019 um rund 49 Millionen
Tonnen zurückgegangen. In den Sektoren Verkehr und Gebäude hingegen war ein
steigender Bedarf an Diesel, Erdgas, Benzin und Heizöl verantwortlich dafür,
dass die Emissionen im Gebäudesektor nicht gesunken und im Verkehrssektor sogar
angestiegen sind.
Die deutlich gestiegenen CO2-Preise im EU-Emissionshandel haben neben dem um 3,3 Prozent geringeren Stromverbrauch dafür gesorgt, dass die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohlekraftwerken im Jahr 2019 einen deutlichen Rückgang verzeichnete. So ging die Stromproduktion der Braunkohlekraftwerke um 21,7 Prozent zurück, von 145,6 Mrd. kWh im Jahr 2018 auf 114,0 Mrd. kWh im Jahr 2019, die der Steinkohlekraftwerke sogar um 31,1 Prozent, von 82,6 auf 56,9 Mrd. kWh (Agora Energiewende 2020: 9).
Die Lücke zur Erreichung des Klimaschutzziels für 2020 beträgt nun noch rund 65 Millionen Tonnen. Es erscheint angesichts des deutlichen Emissionsrückgangs in den beiden vergangenen Jahren und aufgrund der gegenwärtigen durch das Coronavirus ausgelösten weltweiten Pandemie-Krise nicht unwahrscheinlich, dass Deutschland sein Klimaziel für 2020 doch noch erreicht. Ein solcher ökologischer Erfolg wäre allerdings ökonomisch und gesellschaftlich extrem teuer erkauft. Daher bleibt zu hoffen, dass die Krise doch schneller als befürchtet zu Ende geht und die Treibhausgasemissionen wieder vor allem durch das dafür vorgesehene und prädestinierte Klimaschutzinstrument, den Emissionshandel, gesenkt werden, und nicht durch einen sehr schmerzhaften Niedergang der wirtschaftlichen Aktivität in Deutschland.
Referenzen:
Agora Energiewende (2020) Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2019 − Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2020. Agora Energiewende, Januar 2020.
KBA (2019) Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Januar 2019. Kraftfahrzeugbundesamt.
UBA (2019) Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland in der Abgrenzung nach den Sektoren des Klimaschutzplans. 4.4.2019. Umweltbundesamt.
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Autor:
Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.