Einkommen aus Arbeit: Die Achillesferse der Alterssicherung

Die Rentendebatte verengt sich meist auf das Thema Demographie, viel wichtiger ist jedoch die Verbesserung der Erwerbssituation der Jüngeren. Ein
Essay von Alexander Horn, Geschäftsführer des Novo Argumente Verlags und Novo-Redakteur.

Die Rente bewegt Deutschland. Das kommt nicht unerwartet, denn der Rentenwahlkampf der letzten Bundestagswahl und der daraus resultierende Koalitionsvertrag haben das Thema Rente ganz oben auf die Agenda gesetzt. Einige wichtige Vorhaben sind noch nicht umgesetzt, befinden sich aber in der Diskussion. Kaum jemanden wundert es, dass das Rententhema immer wieder auf die Agenda gelangt. Hat sich Deutschland nicht aufgrund der demographischen Entwicklung zu einer Rentnerdemokratie entwickelt? Die Rentner, so die Vermutung, bestimmen die Themen und die Richtung der Politik. Die Dynamik der Rentendiskussion und der Reformeifer haben jedoch mit der demographischen Entwicklung am wenigsten zu tun.

Große Aufmerksamkeit erzeugt das Thema bei Jung und Alt und in allen gesellschaftlichen Schichten. Die derzeit dominierende Diskussion über Altersarmut erfüllt gerade die jüngeren Generationen mit großer Sorge. Die starke Verunsicherung in der Bevölkerung spiegelt sich auch in den Medien wider. Viele Berichte bestärken die Ängste, indem sie auf einseitige oder gar unseriöse Art und Weise regelrechte Horrorszenarien bemühen.

Falsche Ängste

In die erste Kategorie gehören die Meldungen über das Absinken des Netto-Rentenniveaus aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dieses hielt sich in den 1990er Jahren und bis 2010 bei deutlich über 50 Prozent. Prognosen zufolge soll es bis 2030 nur noch bei gut 40 Prozent liegen, woraus auch die Bundesregierung kein Geheimnis macht. Bei der Berichterstattung wird aber gerne unterschlagen, dass dies logisch durch den teilweisen Übergang zum Kapitaldeckungsverfahren in der Rentenversicherung, also durch die Einführung der Riesterrente, ergibt. Der Absenkung steht ein Aufbau von Ansprüchen aus diesen Renten gegenüber, so dass die – dann als Gesamtversorgungsniveau bezeichnete Rente – in Summe auch weiterhin über 50 Prozent bleiben soll. Zudem leitet die alleinige Betrachtung des Netto-Rentenniveaus fehl bei der Beurteilung von Altersarmut, da es nichts über das reale Rentenniveau aussagt, also darüber, ob der Wohlstand von einer Rentnergeneration zur nächsten steigt oder sinkt.

Demographische Entwicklung als Ursache von Altersarmut ist Mythos

In die Kategorie „Unfug“ (so der Rentenexperte Reinholt Schnabel gegenüber dem Merkur) hingegen gehört die Meldung des WDR, „jedem zweiten Bundesbürger“ drohe Altersarmut. Zwei „Denkfehler“, die möglicherweise sehr leicht gefallen sind, weil man für das gefestigte Vorurteil nur noch eine statistische Bestätigung gesucht hat, haben kurzerhand die seriös zu erwartende Altersarmut in Deutschland verzehnfacht. So gingen die Experten des WDR offenbar fälschlicherweise davon aus, dass die Grundsicherung auf das individuelle Einkommen berechnet wird und nicht auf das Haushaltseinkommen, das in vielen Fällen wesentlich höher liegt. Außerdem kann man aus Daten eines heutigen Querschnitts „nicht auf die Dynamik eines zukünftigen Erwerbslebens schließen“.

So wenig sich die verstärkt geführte Rentendiskussion aus der Dynamik der vermeintlichen Rentnerdemokratie erklärt, so hartnäckig hält sich der wohlgepflegte Mythos, dass die demographische Entwicklung – als tiefere Ursache von Altersarmut – die Versorgung der Rentner gefährdet. Mit einem voll auf die Demographie ausgerichteten Blick erscheint die prognostizierte ungefähre Verdreifachung der Menschen im Rentenalter (ab 65 Jahre) von 1960 bis 2040 bei gleichzeitigem Rückgang der Menschen im erwerbsfähigen Alter wie ein dramatisches Problem. Diese Sichtweise vernebelt jedoch die sozialökonomischen Zusammenhänge, denn die Alterung hat praktisch keinen Effekt auf die gesellschaftliche Tragfähigkeit der Versorgung der Alten. Eher lässt sich begründen, warum die demographische Alterung für das Versorgungsniveau sogar Vorteile mit sich bringt.

In Deutschland ist die demographische Alterung kein neues Phänomen. Seit dem Rückgang der Geburtenraten, der in Deutschland spätestens um 1870 einsetzte und der damals beginnenden deutlichen Verbesserung von Ernährung und Gesundheit, altert die Gesellschaft. Zwar wurden bis Ende der 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts (unterbrochen durch die zwei Weltkriege und die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre) mehr Menschen geboren als starben, aber dennoch kamen immer weniger Jüngere nach (sinkende Geburtenrate) und die Geborenen lebten länger (Ernährung und Gesundheit), so dass die Alterspyramide von einem idealtypischen breiten A sich immer stärker in Richtung H wandelte.

Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter ist stabil

Diese Entwicklung hatte zwei wesentliche Effekte. Das längere Leben ermöglicht eine relativ zu Kindheit und hohem Alter verlängerte Lebenspanne, in der die Menschen produktiv tätig sein können. Dies hebt den Anteil derer, die arbeiten können im Vergleich zu den noch nicht oder nicht mehr Arbeitenden und stärkt so die Absicherung der Abhängigen. Außerdem verschiebt die niedrigere Geburtenrate die Alterspyramide so, dass der steigende Anteil Älterer an der Bevölkerung durch einen sinkenden Anteil Junger ausgeglichen wird. In der Folge blieb der prozentuale Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter seit 150 Jahren bemerkenswert stabil.

Zieht man die untere Grenze bei 20 Jahren und die obere Grenze bei 65 Jahren, so zeigt sich, dass die die Anzahl der Abhängigen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung seit 1871 zwischen 50 Prozent und etwas mehr als 40 Prozent pendelte. Selbst „pessimistische“ Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung bis 2060 rechnen nicht damit, dass ein Verhältnis von 50 Prozent überschritten wird – und das sogar bei einem unterstellten Renteneintritt mit 65 Jahren.

Vorteile durch Alterung

In zweierlei Hinsicht stabilisiert die Alterung unser gegenwärtiges Rentensystem sogar. Erstens bietet die „Alterung von oben“, also die Tatsache, dass wir immer älter werden, die Möglichkeit einer längeren Lebensspanne produktiver Tätigkeit. Dennoch können wir von einer längeren Rentenphase profitieren, wenn die Verschiebung des Rentenalters eine sinnvolle Aufteilung in Arbeit- und Rentenphase vorsieht. Viele Rentengesetzgebungen in Europa berücksichtigen inzwischen diesen Effekt und passen das Rentenalter automatisch an die „Alterung von oben“ an. Aber auch die „Alterung von unten“ stabilisiert unser Rentensystem.

Irrwitzigerweise hätte die deutsche Gesellschaft tatsächlich so etwas wie ein „demographisches Problem“, wenn die Geburtenrate in Deutschland für einen längeren Zeitraum deutlich anstiege. Dann würde sich die Alterspyramide von dem derzeitigen V zu einem X entwickeln. Während also weiterhin viele Rentner zu versorgen wären, würden noch viele Junge nachkommen und im Verhältnis dazu wäre die Arbeitsbevölkerung anteilsmäßig relativ schwach vertreten, bis die jungen Kohorten dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden.

Für die praktische Sozialpolitik in Deutschland ist die Veränderung der Alterspyramide, also die Berücksichtigung der gesamten Bevölkerungsentwicklung von übergeordneter Bedeutung. Diese Verschiebungen werden sozialpolitisch implizit berücksichtigt. Die Ausbildung und Bildung (Ernährung und Wohnen, Schulen und Universitäten usw.) der jüngeren Generation verschlingt aufgrund des zahlenmäßigen Rückgangs immer weniger Ressourcen. Die Belastung der Elterngenerationen ist damit relativ rückläufig, was aus diesem Blickwinkel höhere Steuern rechtfertigt. Ebenso sind die Staatsausgaben relativ rückläufig, da die Aufwendungen für Schulen und Universitäten sinken. Im Ergebnis kann ein Steuerzuschuss zur Rentenfinanzierung verwendet werden. Dies geschieht seit längerem über die verschiedenen Instrumente bei der Förderung der privaten Rentenvorsorge und durch den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung, der sich inzwischen in die Richtung eines dreistelligen Milliardenbetrages jährlich bewegt.

In der zunehmenden Steuerfinanzierung zeigt sich, dass diese Verschiebungen in der gesamten Altersstruktur die letzten beiden großen Rentenreformen 1992 und von 2001 bis 2007 implizit geprägt haben, selbst wenn es in der Reformdiskussion fast ausschließlich um das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Beschäftigten und Rentnern ging.

Deutschland galt als der kranke Mann Europas

Es ist aber zu kurz gesprungen, die Veränderung der Altersstruktur als Motor der Reformen zu sehen. Mit Blick auf die Reformen von 2001 bis 2007 wird dies sehr deutlich. Notwendig wurden die Reformen wegen der insgesamt desolaten Wirtschaftslage in Deutschland. Anfang des Jahrtausends galt Deutschland als „der kranke Mann Europas.“ Obwohl viele Menschen in Umschulungs- und Beschäftigungsmaßnahmen steckten, lag die Arbeitslosenquote von 1994 bis 2007 bei über 10 Prozent, so dass in der Spitze (im Jahr 2005) insgesamt 5 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos waren. Durch die sinkende Zahl der Beitragszahler erodierte die finanzielle Basis des Rentensystems. Erschwerend kam noch hinzu, dass die Finanzierung der Wiedervereinigung nicht nur über Steuern, sondern auch über die Sozialkassen erfolgte. Aufgrund der Jobverluste in Ostdeutschland standen dort vielen Rentenempfängern nur relativ wenige Beitragszahler gegenüber. Aus der Logik des Umlageverfahrens mussten damals die Beiträge zur Renten- und anderen Sozialversicherungen erhöht werden. Dies wiederum drohte eine wirtschaftliche Erholung infolge steigender Lohnnebenkosten abzuwürgen.

Letztlich zwang die wirtschaftliche Krise zu Reformen, mit dem Ergebnis, dass die Rentenanpassung der Lohnentwicklung nur noch abgebremst folgt. Vor der Einführung der Rente mit 63 zum 1. Juli 2014 wurde erwartet, dass die Lebensarbeitszeit der zukünftigen Rentner um durchschnittlich vier Jahre ansteigen wird. Dies sollte mit der Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre sowie durch Abschläge bei der Frühverrentung erreicht werden. Mit diesen zusätzlichen Einnahmen der Rentenversicherung soll das Absenken des Rentenniveaus zum großen Teil vermieden werden. Um die Absenkung jedoch vollständig ausgleichen zu können, werden die Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung auch finanziell belastet. Zu diesen zusätzlichen Anstrengungen gehört, dass der Rentenbeitragssatz, der jeweils zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht wird, nach Prognosen der Bundesregierung bis zum Jahr 2030 auf 22 Prozent ansteigen wird.

Entscheidend ist der Lebensstandard

Zusätzlich muss privat vorgesorgt werden, wenn das als Maßstab für das Rentenniveau berechnete „Netto-Rentenniveau vor Steuern“ (auch „Sicherungsniveau vor Steuern“ genannt), von mehr als 50 Prozent (das Ende der 1980er Jahre noch über 55 Prozent lag), erreichet werden soll. Dieses soll bei einer „vollumfänglichen Riester- oder gleichhohen Betriebsrente […] ab einer jährlichen Rendite von 1,5 Prozent und einer Einzahlungsdauer von etwas über 25 Jahren“ erreicht werden. (Vgl. „Altersarmut. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie“, November 2013, S.7. ) Der Staat versüßt die zusätzlichen Anstrengungen, indem jedes Jahr Steuermilliarden in die Förderung von Riesterrenten fließen.

Das zur Bewertung des Rentenniveaus ermittelte „Netto-Rentenniveau vor Steuern“ ist nur eine Vergleichsgröße, die aufzeigt, wie sich der Rentenanspruch eines Durchschnittserwerbstätigen verändert, der kontinuierlich in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Ein sinkendes „Netto-Rentenniveau vor Steuern“ weist also darauf hin, dass die Rentner im Verhältnis zu den Erwerbstätigen im Durchschnitt schwächer gestellt werden. Die Rentenreformen von 2001 bis 2007 waren darauf ausgerichtet, das „Netto-Rentenniveau vor Steuern“ stabil zu halten. Das ist auch individuell möglich, wenn es dem Einzelnen gelingt, zusätzliches Geld zur privaten Vorsorge beiseite zu legen. Wie sich inzwischen deutlich zeigt, gelingt dies den unteren Einkommensschichten aber wesentlich schlechter als den Gutverdienern. (So hatten 2012 zwar 45 aller Riesterberechtigten einen Vertrag abgeschlossen, trotz der relativ höheren Förderung aber nur 25 Prozent im untersten Einkommensquintil).

Über 65-Jährigen geht es nicht besser als zu Beginn der 1990er Jahre

Ob es den Rentnern, die auf Leistungen des Rentensystems einschließlich Betriebs- und Riesterrenten angewiesen sind, real besser oder schlechter geht, zeigt das „Netto-Rentenniveau vor Steuern“ also nur implizit. Der entscheidende Hebel bei der Wohlstandsentwicklung der Rentner und damit zur Vermeidung von Altersarmut ist die Entwicklung der Löhne und Gehälter der Erwerbstätigen. Dies ergibt sich, weil der größte Anteil der Nettoeinkommen der Rentner aus den gesetzlichen Alterssicherungssystemen stammt – mit der Lohn- und Gehaltsentwicklung der Erwerbstätigen als wesentliche Stellgröße für die Rentenbezüge. In die Berechnung der jährlichen Rentenanpassung geht die gesamte Lohn- und Gehaltssumme des jeweils vorangegangenen Jahres als variabler Faktor ein. Steigen die Löhne und Gehälter nur mäßig, schlägt dies auf die Rentenanpassung durch.

Einen Überblick über die realen (also inflationsbereinigten) Renten, die sich aus dem Rentenversicherungssystem ergeben, erhält man durch den Vergleich der jährlichen Rentenanpassungen mit der Veränderung der Verbraucherpreise. Dabei zeigt sich, dass die Inflation die geringen jährlichen Rentenerhöhungen nicht nur auffrisst. Seit 1992 sanken die realen Rentenversicherungsbezüge aus der Rentenversicherung jährlich um etwa ein Prozent. Die Rentenversicherungsbezüge machen jedoch nur einen Teil der gesamten Alterseinkünfte der Menschen ab 65 Jahre aus. Hinzu kommen neben vielen andern Quellen auch Erwerbseinkommen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Kapitaleinkünfte und inzwischen auch Bezüge aus Riesterrenten.

Dennoch zeigt auch der im Auftrag der Bundesregierung erstellte Forschungsbericht „Alterssicherung in Deutschland (ASID)“ von 2011, auf Basis einer sehr umfassenden Berücksichtigung der verschiedensten Einkommen im Alter, dass es den über 65-Jährigen unter Berücksichtigung der Inflation nicht besser geht als noch zu Beginn der 1990er Jahre. Die höchsten Einkommenszuwächse konnten demnach Ehepaare erreichen, die ihr Nettoeinkommen pro Person (also nach Abzug von Sozialleistungen und Steuern) seit 1992 um 45 Prozent auf 2614 Euro steigern konnten. Die Inflation von knapp 45 Prozent im gleichen Zeitraum machte diesen Einkommenszuwachs aber wieder zunichte. Schlechter sieht es für Alleinstehende aus. Nach den Ergebnissen des ASID 2011 haben alleinstehende Männer und geschiedene Frauen ab 65 Jahre von 1992 bis 2011 demnach einen realen Einkommensverlust von etwa zwanzig Prozent hinnehmen müssen. (Zahlen nach: Bundesministerium für Arbeit und Soziales „Alterssicherung in Deutschland 2011“, München 2012, S. 119 und eigenen Berechnungen.)

Die Quelle des Wohlstands

Die Entwicklung der Erwerbseinkommen ist in mehrfacher Hinsicht der entscheidende Faktor zur Vermeidung von Altersarmut. Dies ist individuell unmittelbar einsichtig, denn der „Rentenanspruch eines Rentenempfängers orientiert sich – abgesehen von wenigen Umverteilungskomponenten – ausschließlich an seiner Erwerbshistorie“ wie der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums festhält. Als Risikogruppen gelten daher Personen mit weit unterdurchschnittlichem Einkommen, Teilzeitbeschäftigte und Personen mit wenigen Versicherungsjahren aufgrund unterbrochener Erwerbsbiographien wie zum Beispiel langer Arbeitslosigkeit oder Aufgrund von Erwerbsminderung.

 Stellgröße zur Vermeidung von Altersarmut ist das Einkommensniveau

Auch während der Rentenphase ist die Lohnentwicklung der Erwerbstätigen der entscheidende Treiber für die reale Rentenentwicklung. Hier liegt sozusagen die Achillesferse der Alterssicherung. Einerseits ergeben sich aus realen Lohn- und Gehaltssteigerungen Verteilungsspielräume, die den Lebensstandard sowohl der Erwerbstätigen wie auch der Jungen und Alten gleichermaßen erhöhen können. Da aber 1992 bis 2014 zwar die Nettolöhne um knapp 45 Prozent gestiegen sind und die Preissteigerungsrate in diesem Zeitraum auf ziemlich genau dem gleichen Niveau gelegen hat, ergaben sich im Durchschnitt keine Reallohnsteigerungen und damit auch keine zusätzlichen Verteilungsspielräume.

Die Lohnentwicklung ist aber auch aufgrund der Rentenanpassungsformel für die Renten entscheidend. Die Rentenanpassungsformel berücksichtigt den jährlichen Bruttolohnzuwachs, also den Zuwachs der Nominallöhne. Deren Anstieg um knapp 45 Prozent von 1992 bis 2014 wird aufgrund der Rentenanpassungsformel nicht 1:1 durchgereicht, sondern abgemindert. Hier frisst die Preissteigerung die Rentenerhöhung wie schon erwähnt vollkommen auf und trägt zu den realen Einkommensverlusten verschiedener Rentnergruppen bei.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die entscheidende Stellgröße zur Vermeidung von Altersarmut die Entwicklung des Einkommensniveaus des produktiven Teils der Bevölkerung darstellt. Darauf weisen gute Forschungsberichte zur Altersarmut üblicherweise auch hin. So stellt der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums fest, dass primär „negative Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt“ für den Anstieg von Altersarmut verantwortlich wären, wenn es denn so weit käme. Konkret erwartet er mehr Altersarmut, falls „Arbeitnehmer die notwendigen Anpassungen an neue Rahmenbedingungen (späterer Renteneintritt und eigene Sparanstrengungen) versäumen“ oder „der Arbeitsmarkt versagt“.

Auf Agenda fehlt Fortschritt und Wohlstand für alle

Mit kritischem Rückblick auf die Entwicklung seit 1992 lässt sich wohl einräumen, dass der Arbeitsmarkt in gewisser Weise bereits versagt hat. Es ist jedenfalls nicht gelungen, die Erwerbstätigen und die Rentner am steigenden gesellschaftlichen Wohlstand, der sich aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität ergibt, zu beteiligen. Die in der Wirtschaft erzielten Produktivitätsfortschritte konnten nicht weitergeben werden, denn sonst hätten sich die Einkünfte real verbessert. Dies ist allerdings auch nicht völlig überraschend, denn die Verteilungsspielräume zur Steigerung des Lebensstandards werden immer kleiner. Mit dem Ende des Wirtschaftswunders in den 1970er Jahren ist der Anstieg der Arbeitsproduktivität in der deutschen Wirtschaft kontinuierlich zurückgegangen. Von damals etwa 5 Prozent jährlich ist sie von 1995 bis 2005 zunächst auf 1,9 Prozent und von 2005 bis 2014 auf nur noch 0,8 Prozent abgesackt. Selbst im verarbeitenden Gewerbe, wo sich Produktivitätsfortschritte leichter als bei Dienstleistungen durchsetzen, ist die Arbeitsproduktivität in den letzten zehn Jahren nur noch mit mageren 1,6 Prozent im Jahr gestiegen.

Obwohl die Vermeidung von Altersarmut mit der Entwicklung der Erwerbssituation steht und fällt und diese in erster Linie von der Fähigkeit der Wirtschaft abhängt, die Arbeitsproduktivität zu steigern, dreht sich die gesamte Rentendiskussion ausschließlich um Demographie und Verteilungsgerechtigkeit. Beides sind Themen, die dem heutigen Politikstil entsprechen, denn Politik reduziert sich heute auf das Managen und bezieht sich nicht mehr auf verändernde Gestaltung. Die Fokussierung auf das vermeintliche „demographische Problem“ ist insofern eine dankbare Politikaufgabe, da es an der demographischen Entwicklung nicht besonders viel zu rütteln gibt und es infolgedessen nur noch um die Verwaltung dieser unabänderlichen Tatsache geht.

In ähnlicher Weise geht eine Diskussion über Verteilungsfragen auch davon aus, dass bestimmte Parameter, insbesondere aber die Einkommensseite der Sozialversicherung, mehr oder weniger gesetzt sind und es nun gilt, „gerecht“ zu verteilen. Die viel drängendere, aber weitaus komplexere Frage, wie wir Verteilungsspielräume vergrößern und damit gesellschaftlichen Fortschritt und mehr Wohlstand für alle gewährleisten können, ist in der Rentendiskussion praktisch vollkommen von der Agenda verschwunden.

Alexander Horn lebt und arbeitet als selbständiger Unternehmensberater in Frankfurt. Er ist Geschäftsführer des Novo Argumente Verlags und Novo-Redakteur mit dem Fokus auf wirtschaftspolitischen Fragen.

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Alexander Horn lebt und arbeitet als selbständiger Unternehmensberater in Frankfurt. Er ist Geschäftsführer des Novo Argumente Verlags und Novo-Redakteur mit dem Fokus auf wirtschaftspolitischen Fragen.

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