Digitalisierung an Schulen stärken
Durch die Corona-Krise drohen sich die Probleme bei der Bildungsarmut und der Ungleichheit der Bildungschancen zu verschärfen. Dies zeigt der diesjährige INSM-Bildungsmonitor. Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, sollte die Digitalisierung der Schulen weiterentwickelt werden. Wichtig ist es dabei, die Bedingungen sowohl für den Fall einer erneuten Fernbeschulung als auch für den Regelbetrieb an Schulen zu verbessern.
Der INSM-Bildungsmonitor hat verdeutlicht, dass die Corona-Krise die Probleme bei Schulqualität, Bildungsarmut und Ungleichheit der Bildungschancen zu verschärfen droht. Empirische Befunde zeigen deutlich, dass sich positive Effekte auf die Qualität des Unterrichts ergeben, wenn Lehrpersonen Feedback zu ihrem Unterricht einholen, gezielt an der Verbesserung ihres Verhaltens im Unterricht arbeiten und Feedback an die Schüler geben. Hausaufgaben hingegen haben nur kleinere Effekte.
Befragungen der Lehrkräfte während der Schulschließungen zeigen jedoch, dass sie während der ersten Phase des digitalen Fernunterrichts vor allem Aufgabenblätter verteilten und nur in sehr eingeschränktem Rahmen Feedback an die Schülerinnen und Schüler geben konnten. Auch Feedback zum digitalen Fernunterricht durch andere Lehrkräfte gab es kaum. Eine aktuelle Studie von Bitkom beschreibt die Einschätzung der Eltern zur digitalen Fernbeschulung und stellt den Schulen in einer repräsentativen Befragung ein schlechtes Zeugnis aus. Für den Fall erneut notwendiger Schulschließungen geben Eltern schulpflichtiger Kinder den Schulen aktuell durchschnittlich die Note Mangelhaft.
Um die Zukunftsperspektiven der aktuellen Schülergenerationen zu sichern, sollte für den Fall weiterer regional und temporär notwendiger Schulschließungen ein hochwertiger digitaler Fernunterricht zur Verfügung stehen. Ferner sollte auch die Unterrichtsqualität im Regelbetrieb durch Digitalisierung erhöht werden, um entstandene Rückstände aufzuholen.
Bei der Digitalisierung der Schulen gab es in diesem Frühjahr einen Kaltstart. Die Schulschließungen haben aber zugleich die Notwendigkeit zum Wandel verdeutlicht. Hemmnisse bei Hardware und Software werden seit dem Sommer in ersten Schritten abgebaut. Dies betrifft Leihgeräte für Schülerinnen und Schüler und Dienstgeräte für Lehrkräfte. Hierfür wurden der Digitalpakt stärker geöffnet und zusätzliche Mittel des Bundes zur Verfügung gestellt. Fehlendes WLAN in Schulen stellt bisher oft weiterhin einen Engpass für die Digitalisierung des Regelbetriebs dar.
Mit dem Start des Regelbetriebs in Schulen steigen auch die Erwartungen der Gesellschaft an die Digitalisierung des Regelbetriebs.
Bis zum Frühjahr wurden erst wenige Anträge im Digitalpakt für die entsprechende Infrastruktur gestellt, da die Notwendigkeit zum Handeln von der Bildungsbürokratie bis zum Frühjahr nicht ausreichend erkannt wurde. Im Frühjahr selbst stand nicht die Digitalisierung in der Schule selbst im Fokus, sondern die Kommunikation für das Homeschooling zwischen dem Homeoffice der Lehrkraft und der Wohnung der Schülerinnen und Schüler. Digitalisierungskonzepte zur Beantragung der Mittel aus dem Digitalpakt für das Schulgebäude wurden in dieser Phase nicht erstellt.
Mit dem Start des Regelbetriebs in Schulen steigen auch die Erwartungen der Gesellschaft an die Digitalisierung des Regelbetriebs. Konzepte zur Digitalisierung werden aktuell entsprechend verstärkt erarbeitet, auch Mittel des Digitalpakts zur Infrastruktur im Schulgebäude dürften folglich in den nächsten Monaten deutlich stärker abgerufen werden.
Auch bei der Software gibt es Fortschritte. Lernplattformen sind in allen Bundesländern im Einsatz. Dazu soll nach Koalitionsbeschluss von Ende August 2020 eine bundesweite Bildungsplattform mit hochwertigen digitalen Lehrinhalten aufgebaut werden. Die offene Bildungsmediathek MUNDO bietet seit September für alle Bundesländer digitale Materialien für Schulfächer an. Hierdurch sollten Skalierungspotenziale der Digitalisierung genutzt werden können. Die Lern-App Anton wird an Schulen zunehmend zur Begleitung des Unterrichts in den Klassen 1 bis 10 eingesetzt.
Es sind jedoch dringend weitere Maßnahmen notwendig, um durch die Digitalisierung Bildungschancen sowohl im Falle von Schulschließungen sicherzustellen als auch die Potenziale der Digitalisierung für eine Qualitätssteigerung des Regelbetriebs besser zu nutzen:
- Eine Metastudie zum Einsatz digitaler Medien kommt zu dem Schluss, dass die positiven Effekte stärker sind, wenn der digitale Einsatz mit traditionellen Methoden kombiniert und nicht zu stark ausgeweitet wird und wenn die Lehrkräfte vorab für den Einsatz digitaler Medien entsprechend qualifiziert wurden. Fortbildungen und Lehrplanvorgaben zur Integration digitaler Technologien sind daher im Unterricht verbindlich umzusetzen und Lehrkräften sollte genug Zeit gegeben werden, um digitale Lehr- und Lernkonzepte zu entwickeln und zu integrieren und sich über die Erfahrung mit deren Einsatz auszutauschen. Der Nationale Bildungsbericht 2020 verdeutlicht, dass bisher nur fünf Bundesländer einheitliche Vorgaben erlassen haben, dass im Lehramtsstudium in Grundschule und Sekundarbereich I Veranstaltungen zum Erwerb digitaler Kompetenzen anzubieten sind. Hier sind entsprechende Vorgaben auch in anderen Ländern umzusetzen.
- Weiterentwicklungen digitaler Bildungsformen sind durch wissenschaftliche Evaluationen zu begleiten. Vergleichsarbeiten sollten bezüglich der damit verbundenen Möglichkeiten zur Evaluation weiterentwickelt werden. Um Rückstände aufzuholen, ist auch die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, digitale Lernformate begleitend zum Unterricht zu Hause zu nutzen. Befragungen von Jugendlichen zeigen, dass diese Videos gern als Lernmedium einsetzen. Schulen sollten ausgewählte Materialien in entsprechenden Lernplattformen einbinden. Verschiedene psychologische Mechanismen können dabei genutzt werden, um die Lerndauer zu erhöhen (Endless streaming, Endowment effect, Show users of an app what they like). Hierbei ist es wichtig, diese Einführung empirisch zu begleiten, um sicherzustellen, dass die Entwicklung des Einzelnen im Fokus steht und kein Stress durch soziale Vergleichsmechanismen entsteht.
- Zusätzliches IT-Personal sollte für die IT-Administration eingesetzt werden und die Lehrkräfte beim Einsatz digitaler Tools und Methoden entsprechend unterstützen. Für die rund 40.000 Schulen in Deutschland werden rund 20.000 IT-Kräfte zusätzlich benötigt, was zu zusätzlichen Kosten von jährlich rund zwei Milliarden Euro führen dürfte. Durch das Personal wird entsprechend auch die Weiterentwicklung digitaler Strategien sichergestellt und nachhaltig verankert. Denn grundsätzlich ist nicht nur zu bedenken, dass die Struktur der Strategie folgen sollte, sondern auch, dass die Strategie sich häufig auch aus der gegebenen Struktur ergibt.
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Autor:
Prof. Dr. Axel Plünnecke ist stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik und Leiter des Kompetenzfelds Humankapital und Innovationen beim Institut der deutschen Wirtschaft.