Die Weichen für die Integration der Flüchtlinge richtig stellen
Der Krisenmodus neu ankommender Flüchtlinge ist beendet. Höchste Zeit den Blick stärker auf die Perspektiven der Geflüchteten in Deutschland zu richten.
Im Jahr 2015 sind so viele Flüchtlinge wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik nach Deutschland gekommen. Insgesamt wurden 477.000 Asylanträge gestellt und sogar 1,09 Millionen Personen in Deutschland registriert. Dabei war das Land nicht auf die Aufnahme so vieler Menschen vorbereitet. So mussten vielfach Turnhallen kurzfristig geräumt werden, um als Notquartiere zu fungieren, und die zuständigen Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge waren so überlastet, dass es zu monatelang Wartezeiten kam, bis die Flüchtlinge überhaupt ein Asylantrag in Deutschland stellen konnten. Nicht zuletzt aufgrund der Schließung der Grenzen ist Osteuropa sind die Flüchtlingszahlen in den ersten Monaten diesen Jahres deutlich zurückgegangen. So wurden im März 2016 nur noch 21.000 Flüchtlinge registriert, während es im Spitzenmonat November 2015 über 200.000 waren. Auch wenn die Flüchtlingsaufnahme noch immer nicht in vollständig geordneten Bahnen verläuft, ist damit der Krisenmodus beendet, sodass die Perspektiven der Flüchtlinge in Deutschland stärker in den Blick genommen werden können.
Dabei gilt zu beachten, dass es an sich nicht Ziel der Aufnahme von Flüchtlingen ist, die betreffenden Personen dauerhaft im Land anzusiedeln, sondern ihnen Schutz zu gewähren, bis sich die Lage im Heimatland verbessert. Allerdings zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, dass viele Personen, die als Flüchtlinge gekommen sind, langfristig im Land bleiben. In einer Befragung aus dem Jahr 2014 gaben zudem 84,7 Prozent der anerkannten Flüchtlinge aus den wichtigsten Herkunftsländern an, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Dies ist nach derzeitigem Rechtsstand in der Regel auch ohne weiteres möglich. So erhalten Flüchtlinge, die Asyl oder Flüchtlingsschutz nach Genfer Konvention genießen, sofern die Probleme im Heimatland noch bestehen, bereits nach drei Jahren eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis, ohne weitere Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Damit ergibt sich die Herausforderung, dass den Flüchtlingen ermöglicht werden muss, sich nachhaltig am deutschen Arbeitsmarkt und in der deutschen Gesellschaft zu integrieren, jedoch im Sinne der Demografievorsorge nicht mit ihrem längerfristigen Verbleib gerechnet werden kann.
Das Erlernen der deutschen Sprache ist dabei Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration, sowohl am Arbeitsmarkt als auch in die Gesellschaft. Eine abhängige Beschäftigung ist etwa ohne gemeinsame Kommunikationsbasis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer kaum vorstellbar. Obschon Lese- und Schreibkompetenzen bei vielen einfachen Tätigkeiten nur eine untergeordnete Rolle spielen, müssen Arbeitsanweisungen und Feedbacks von den Mitarbeitern verstanden werden. Auch außerhalb der Erwerbstätigkeit sind Sprachkenntnisse für das Leben in Deutschland von großer Bedeutung. So müssen Zuwanderer etwa den konkreten Sachverhalt schildern können, um Handwerkerdienstleistungen in Auftrag zu geben. Dabei reicht es für eine erfolgreiche Integration nicht aus, wenn die Männer die deutsche Sprache beherrschen und als Sprachrohr für die Familie fungieren. In einer derartigen Konstellation sind die Frauen nicht nur von der Teilhabe an der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen, es ergeben sich auch Probleme bei der Erziehung der Kinder, wenn die Mütter etwa Hausaufgaben und Rückmeldungen der Schule nicht verstehen. Daher ist es wichtig, dass der Erwerb der deutschen Sprache Flüchtlingen, die erwartungsgemäß längerfristig bleiben, nicht nur zeitnah nach der Einreise ermöglicht, sondern von diesen auch eingefordert wird. Hierzu wäre es sinnvoll, Asylbewerber mit hoher Bleibeperspektive und Geduldete ohne Arbeitsverbot zur Teilnahme an den Integrationskursen zu verpflichten, womit der Erwerb grundlegender Alltagssprachkenntnisse gesichert wäre. Darüber hinaus sind allerdings auch weitere freiwillige und stärker berufsbezogene Sprachkursangebote notwendig, die es den Flüchtlingen ermöglichen, ihr Sprachniveau weiter zu verbessern.
Der zweite wichtige Bereich der Integration ist die Ausbildung und Qualifizierung der Flüchtlinge. Dabei ist zu beachten, dass ein großer Teil der ankommenden Personen sehr jung ist. Im Jahr 2015 waren 81 Prozent der Asylbewerber unter 35 Jahre und 31 Prozent sogar minderjährig. Nimmt man zudem in den Blick, dass der Besuch von Bildungseinrichtungen während kriegerischer Handlungen und der Flucht in der Regel nicht möglich ist, bedeutet das, dass viele Flüchtlinge ihren Bildungsweg im Heimatland noch nicht abgeschlossen haben und damit in das reguläre deutsche Bildungssystem integriert werden müssen. Dies macht den Einsatz zusätzlicher personeller und räumlicher Ressourcen bei Schulen und Betreuungseinrichtungen notwendig, da die Flüchtlingskinder zunächst in Willkommensklassen bei ihrem aktuellen Wissens- und Sprachstand abgeholt werden müssen, bevor sie dem regulären Unterricht folgen können. Zudem muss das zuständige pädagogische Personal im Umgang mit nicht deutschsprachigen Kindern und Jugendlichen geschult werden, wofür entsprechende Weiterbildungen in Deutsch als Fremdsprache notwendig sind.
Nach Abschluss ihrer schulischen Laufbahn müssen junge Flüchtlinge wie Einheimische die Möglichkeit haben, eine Ausbildung im Dualen System zu machen. Dies ist zwar grundsätzlich möglich, jedoch ergibt sich bei Asylbewerbern und Geduldeten das Problem, dass bei Abschluss des Ausbildungsvertrags nicht sicher ist, ob die betreffende Personen bis zum Abschluss der Ausbildung im Land bleiben kann. Zwar kann die Abschiebung bis zum Ende der Ausbildung ausgesetzt werden, dies gilt jedoch nur wenn der Flüchtling bei Ausbildungsbeginn unter 21 Jahre alt war, was insbesondere vor dem Hintergrund unterbrochener Bildungswege sehr jung ist. Um mehr Unternehmen zu motivieren, auch ältere Flüchtlinge auszubilden, sollte ihr wirtschaftliches Risiko minimiert werden, indem eine Aufenthaltsgarantie zumindest bis zum Ende der Ausbildung erteilt wird.
Der dritte zentrale Bereich der Integration ist der Zugang zum Arbeitsmarkt. Eine Erwerbstätigkeit ermöglicht es Flüchtlingen nicht nur, ihren Lebensunterhalt in Deutschland selbst zu sichern, sondern gibt ihnen auch Gelegenheit, Kontakte zu einheimischen Kollegen zu knüpfen. Auch wenn der rechtliche Rahmen für den Arbeitsmarktzugang von Asylbewerbern in den letzten Jahren deutlich verbessert worden ist, gibt es immer noch Einschränkungen. Zu nennen sind hier insbesondere das Zeitarbeitsverbot für geringqualifizierte Flüchtlingen und die Vorrangprüfung, in der nachgewiesen werden muss, dass kein anderer Bewerber für die Stelle zur Verfügung steht. Dies ist nicht sinnvoll, da im Sinne einer erfolgreichen Integration der Arbeitsmarktzugang gefördert und gefordert und nicht gehemmt werden sollte. Eine Hemmung des Arbeitsmarktzugangs für Flüchtlingen kann auch kaum ihr eigentliches Ziel, Wirtschaftsflüchtlinge von der Stellung eines Asylantrags in Deutschland abzuhalten, erreichen, da die soziale Sicherung durch die Asylbewerberleistungen im internationalen Vergleich sehr großzügig ist. Hierfür ist vielmehr eine konsequente Administration der Asylverfahren notwendig.
In diesem Kontext ist auch wichtig, dass Personen, die nach Deutschland kommen wollen, eine realistische Alternative zum Stellen eines Asylantrags sehen. Daher sollten die Möglichkeiten zur Erwerbszuwanderung ausgebaut und international bekannter gemacht werden. Dies ist auch im Sinne der langfristigen Fachkräftesicherung sehr wichtig, da Deutschland vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zunehmend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist. Auch wenn derzeit die meisten Personen, die Asylanträge stellen, nicht über in Deutschland gesuchte Qualifikationen verfügen, kann dieses Vorgehen auch mit Blick auf eine Reduzierung der Zahl erfolgloser Asylanträge erfolgversprechend sein. So kann die Perspektive, nach Deutschland wandern zu können, junge Menschen zu zusätzlichen Investitionen in ihre Ausbildung motivieren, die für alle Seiten einen Gewinn bedeuten.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Integration der Flüchtlinge vor dem Hintergrund der großen Zahlen eine Herausforderung für Deutschland darstellt, die aber erfolgreich gemeistert werden kann, wenn die Weichen richtig gestellt werden. Dann können die Flüchtlinge langfristig auch einen Beitrag zu Wachstum und Wohlstand in Deutschland leisten, auch wenn viele das Land wieder verlassen werden, sobald sich die Lage in den Heimatländern bessert.
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Autor:
Dr. Wido Geis-Thöne ist Senior Economist im Bereich Bildung, Zuwanderung und Innovation beim Institut der deutschen Wirtschaft.