Die Vollpflege ist ungerecht
Die Ausweitung der Pflegeversicherung von einer Teilkasko in eine Vollversicherung soll den Betroffenen die Sorge vor der Finanzierung der Pflegebedürdtigkeit im Alter nehmen. Die Kehrseite der Medaille: Leistungensversprechen müssen finanziert werden. Und dabei verursacht die Vollversicherung erhebliche Ungerechtigkeiten.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Dies gilt bei nichts mehr, als beim Wohlfahrtsstaat. Leistungen können heute leicht versprochen werden, denn bezahlt werden muss erst in der Zukunft. Auf diese Weise sind bei der Pflege-, Renten- und Krankenversicherung Verbindlichkeiten in Höhe von 147 Prozent der Wirtschaftsleistung entstanden – zu zahlen von den nachfolgenden Generationen.
Wer denkt, dass die Schuldenkrise die Sozialversprecher geläutert hat, der irrt. Denn statt die Sozialsysteme demografiefest zu machen, reißen die Forderungen nach mehr Leistungen nicht ab. Aktuelles Beispiel: Die Pflegevollversicherung.
Trotz der schon heute absehbaren Unterfinanzierung, soll die Pflegevollversicherung sämtliche anfallenden Leistungen übernehmen. Nur um die heutigen Leistungen der GPV bis 2050 zu finanzieren, müsste – unter Fortschreibung der demografischen Entwicklung – der Beitrag für Versicherte mit Kindern auf rund 4,4 Prozent steigen. Die durch die Vollkaskopflege notwendigen Beitragserhöhungen hätten eine erhebliche Mehrbelastung, vor allem der kommenden Erwerbsgenerationen zur Folge. Nicht nur dass den Arbeitnehmern damit unterm Strich weniger Lohn übrig bliebe, hohe Lohnnebenkosten gefährden zudem noch Arbeitsplätze. Es droht ein Teufelskreis.
Der Vorschlag der Vollpflege verkennt die soziale Brisanz. Denn volle Erstattung der Pflegekosten entlastet nicht die Armen, sondern hilft vor allem den wohlhabenden Schichten in unserer Gesellschaft. Im bestehenden System müssen Pflegeleistungen zum Teil selbst bezahlt werden. Wessen Vermögen dafür nicht ausreicht, dem greift der Staat unter die Arme. Mit der Vollkaskopflege müssen auch die Wohlhabenderen nichts mehr selbst schultern. Die Vollkaskopflege ist nichts anderes als ein Erbschaftsbewahrungsprogramm für die Wohlhabenden. Die Zeche zahlen die, die sich nicht wehren können.
Autor:
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen ist Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.