Die Sicherung einer knappen Ressource
Frühkindliche Förderung ist nicht nur ein wirksames Instrument gegen den Fachkräftemangel von morgen – sie bewahrt den Staat auch vor wachsenden Transferkosten und führt zu steigenden Steuereinnahmen.
Mehr als 50.000 Jugendliche verlassen in Deutschland jährlich die Schule ohne Abschluss. Grund dafür sind oft schlechte Ausgangsbedingungen: mangelnde Sprachkenntnisse, Verhaltensauffälligkeiten und Verzögerungen in der kognitiven Entwicklung werden im Laufe der Schulbahn zu immer größeren Hemmnissen.
Frühkindliche Förderung kann bereits lange vor der Einschulung entscheidend dazu beitragen, solche Defizite von Kindern zu erkennen und auszugleichen. Sie kann damit für möglichst gleiche Startbedingungen und einen anhaltenden Bildungserfolg sorgen. Angesichts des mit dem demografischen Wandel einhergehenden, schon heute präsenten Fachkräftemangels, bedeutet frühkindliche Förderung damit nicht weniger als die Sicherung einer knappen Ressource.
Doch damit diese Sicherung in Deutschland funktionieren kann, gilt es vier entscheidende Handlungsfelder zu beachten:
1. Staatliche Bildungsinvestitionen im Elementarbereich
Jede vierte Familie entscheidet sich gegen eine frühe Förderung in einer Kindertagesstätte (Kita), weil die Kosten zu hoch sind. Dabei ist besonders die Betreuung von unter Dreijährigen ein kostspieliges Unterfangen, denn der familiäre Beitrag steigt desto jünger das zu betreuende Kind ist. Eine Gebührenbefreiung erreichen die Eltern in einigen Bundesländern oft erst im letzten Kindergartenjahr – viel zu spät angesichts der entscheidenden Bedeutung einer frühen Förderung.
Ein weiteres, staatliches Problem ist die „föderale Verflechtungsfalle“: Die Möglichkeiten der frühkindlichen Förderung werden durch die Gemeinden finanziert, der späterer „Ertrag“ des Förderung – nämlich Steuern sowie sonstige Abgaben – kommt aber dem Bund, den Ländern und den Sozialversicherungen zugute.
2. Frühkindliche Förderung muss Eltern miteinbeziehen
Fehlende Erziehungskompetenzen von Eltern können durch eine adäquate frühkindliche Betreuung nicht völlig kompensiert, aber deutlich verbessert werden. Dabei ist es wichtig, dass die Eltern beim frühkindlichen Bildungsangebot integriert werden – besonders wenn es um den Spracherwerb des Kindes geht. In Familien- oder Eltern-Kind-Zentren sollen sich familiäre und institutionelle Erziehung zum Wohle des Kindes verbinden.
3. Kinder mit Migrationshintergrund gewinnen und gezielt fördern
Obwohl eine frühkindliche Betreuung für Kinder mit Migrationshintergrund auch im Hinblick auf die Sprachentwicklung besonders entscheidend wäre, erreichen die Angebote genau diese Kinder eher selten.
Gerade Eltern der ersten Zuwanderergeneration lassen ihre unter Dreijährigen kaum außerfamiliär betreuen. Grund ist oft fehlendes Wissen in Bezug auf die Betreuungseinrichtung, Unsicherheit ob der Qualität sowie die Frage nach den Kosten. Außerdem vermissen viele Eltern mit Migrationshintergrund eine interkulturelle Öffnung in den Einrichtungen. Dieses Problem können Betreuer, die selbst einen Migrationshintergrund haben, lösen. Sie werden so nicht nur zu Ansprechpartnern für Eltern, sondern können gleichermaßen Rollenvorbilder für die Kinder darstellen.
In Deutschland besucht im Schnitt eines von drei Kindern, das von Haus aus kein Deutsch spricht, eine Kindertagesstätte, in der mehr als die Hälfte der anderen Kinder ebenfalls nicht deutschsprachig aufwachsen. Den Kindern fehlt so das notwendige „Sprachbad“ in der Gruppe. Für derartige Betreuungseinrichtungen stehen zwar zusätzlich zur Regelfinanzierung weitere Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung, es existiert aber noch kein schlüssiges Gesamtkonzept.
4. Hochwertige Betreuung braucht Qualifikation und Anerkennung
In Deutschland fehlen bis dato rund 15.000 Erzieherinnen und Erzieher. Neben dem massiven Ausbau an Betreuungsangeboten wird auch die wachsende Akzeptanz von außerfamiliärer Betreuung zusätzlichen Personalbedarf nach sich ziehen. Außerdem ist der empfohlene Personalschlüssel von je drei Kindern auf eine Mitarbeiterin noch nicht erreicht. Um diesen zu erreichen, sind vor allem frisch ausgebildete, junge Kräfte notwendig, da insbesondere in Ostdeutschland immer mehr Erzieherinnen und Erzieher ihren Arbeitsplatz aus Altersgründen verlassen.
In Zukunft müssen deshalb mehr junge Menschen für eine Erzieherausbildung beziehungsweise ein entsprechendes Hochschulstudium gewonnen werden. Zusätzlich bedarf es mehr Vollzeitstellen und einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung, die sich auch in den Arbeitsbedingungen und den Einkommensmöglichkeiten widerspiegeln muss. Auch der Weiterbildung langjährig tätiger Erzieher kommt eine entscheidende Bedeutung zu, denn bessere Qualifizierung lässt sich nicht allein über einen besser ausgebildeten Nachwuchs erreichen.
Scheut man jetzt die Kosten und die Umstrukturierungsmaßnahmen, ist es wichtig, eines im Kopf zu behalten: Bildungsinvestitionen in den ersten Lebensjahren zahlen sich über den späteren Bildungserfolg aus – besonders bei Kindern aus sozial schwächerem Umfeld. Von besserer Bildung profitiert dann nämlich nicht nur der Einzelne: Geringere Transferleistungen, höhere Sozialversicherungsbeiträge und zusätzliche Steuerzahlungen im späteren Erwerbsleben führen dazu, dass der Staat die investierten Gelder fast dreifach zurückbekommt.
Ein Diskussionspapier des Berlin Instituts zu diesem Thema finden Sie hier.
Autor:
Dr. Reiner Klingholz ist geschäftsführender Direktor des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.