Die Instrumentalisierung des Coronavirus

Was ist die wirtschaftspolitisch angemessene Reaktion auf das Coronavirus? Ökonomische Nüchternheit, meint der Ökonom Thomas Straubhaar.

Sie haben ein Problem? Das Coronavirus löst es! Sie haben eine Forderung? Das Coronavirus liefert die Rechtfertigung.

So lässt sich überspitzt zusammenfassen, wie massig bis maßlos Interessengruppen von links bis rechts und von liberal bis konservativ das Coronavirus instrumentalisieren, um bereits lange vor Ausbruch und Ausbreitung von Sars-CoV-2 geäußerte Postulate nun erneut und erst recht aufzugreifen.

So halten Linke und (Neo-)Keynesianer die Stunde für ein Konjunkturpaket für gekommen. Wann, wenn nicht jetzt, gelte es, mit staatlichen Ausgabenprogrammen sowohl den Konsum als auch Investitionen zu stimulieren, die Wirtschaft zu stabilisieren und die Beschäftigung vor einem Einbruch zu bewahren. Zeiten der Not verlangten nach wirtschaftspolitischen Reaktionen – ungeachtet dessen, ob die ohnehin schon immer ungeliebte schwarze Null des Staatshaushaltes dadurch noch gehalten werden könne.

Staatlich gewährte Überbrückungskredite an notleidende Unternehmen, Erhöhung der Mindestlöhne für die Beschäftigten oder gar Konsumgutscheine an alle gelten als weitere Konjunkturhilfen. So lässt sich überspitzt zusammenfassen, wie massig bis maßlos Interessengruppen von links bis rechts und von liberal bis konservativ das Coronavirus instrumentalisieren, um bereits lange vor Ausbruch und Ausbreitung von Sars-CoV-2 geäußerte Postulate nun erneut und erst recht aufzugreifen.

Liberale verlangen nach „Entschlusskraft statt Zauderei“ und setzen auf eine steuerliche Entlastung der Bevölkerung durch ein Vorziehen der Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags sowie neue Investitionsimpulse durch Einführung einer zeitlich begrenzten degressiven Abschreibung für alle beweglichen Wirtschaftsgüter. Aussetzen von Bürokratie im Planungsrecht, Senkung von Stromsteuern und eine bis zum Jahresende befristete Senkung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte werden ebenso ins Spiel gebracht.

Konservative erkennen erst recht gute Gründe,
die nationalen Grenzen gegenüber Zuwandernden dicht(er) zu machen. So ließe
sich verhindern, dass aus einer lokal begrenzten Epidemie eine Pandemie werde,
die über Migrationswellen auch und gerade Europa in besonderer Weise heimsuchen
würde.

Schließlich nutzt das eine oder andere Unternehmen die mit dem Coronavirus einhergehenden Folgeeffekte, um auf diese Weise schlechte Geschäftszahlen zu rechtfertigen, selbst wenn der Misserfolg lange vorher schon erkennbar war und dafür ganz andere Ursachen verantwortlich sind. Aber aus der Spieltheorie lässt sich schlüssig ableiten, dass Schocks immer schon beliebte Ausreden lieferten, um von eigenem Fehlverhalten abzulenken und die Schuld externen, unvorhersehbaren und nicht zu beeinflussenden Fremdeffekten in die Schuhe zu schieben.

Wen wundert’s, dass die Politik die Steilvorlagen für eine Legitimierung staatlichen Tuns nutzt und dabei gerade herausgreift, was am besten zu passen scheint, um (Wieder-)Wahlen zu gewinnen. Wenn die US-amerikanische Notenbank, die Fed, eine Zinssenkung mit dem Verweis auf die Folgen des Coronavirus begründet, zeigt sich exemplarisch, wie rasch Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge über Bord geworfen werden. Billiges Geld und milliardenschwere Hilfspakete können nämlich bestenfalls Symptome lindern. Die eigentlichen Ursachen makroökonomischer Probleme – die weit jenseits des Coronavirus liegen – bekämpfen sie jedoch nicht.

Richtig ist aber auch: Viele der Forderungen tragen ökonomisch durchaus sehr vernünftige Inhalte vor, aber sie würden eine Umsetzung so oder so auch Coronavirus-unabhängig verdienen. Wirtschaftspolitisch entscheidend ist, dass man nicht künstlich konstruierte Kausalitäten missbrauchen sollte, um eine eigene Agenda mit ganz anderen Zielen auf der politischen Prioritätenliste nach ganz oben zu bringen. Gerade weil eine Pandemie eine so dramatische Herausforderung darstellt, ist mehr Sachlichkeit angebracht.

Nach heutigem Erkenntnisstand handelt es sich beim Coronavirus nicht um ein singuläres, erst- und einzigartiges Ereignis. Neu ist der Typus des Covid-19-Virus, nicht aber dass sich Viren pandemisch ausbreiten. Pandemien dürfte es weit mehr als erfasst und registriert wohl immer schon gegeben haben. Nur fehlte das Bewusstsein, das Verständnis darüber, und es gab keine Globalisierung im heutigen Ausmaß, die das Tempo der Verbreitung so beschleunigt. Man weiß nur heute viel besser und schneller Bescheid über Viren und ihre Verbreitung als in früheren Zeiten. Und zum besseren Wissen gehört eben auch, dass die Voraussetzungen für eine Bekämpfung des Coronavirus – gerade wenn es um lebensbedrohende Verläufe geht – besser als jemals zuvor sind.

Ökonomische Nüchternheit verlangt, Bedrohung und Folgeeffekte des Coronavirus in einen größeren Gesamtzusammenhang zu stellen, der auch die Herausforderungen von Klimawandel, technologischem Strukturwandel und demografischem Wandel einschließt. Dadurch kann vermieden werden, fälschlicherweise alle Aufmerksamkeit auf das Coronavirus zu konzentrieren und dadurch andere und möglicherweise für das Überleben der Menschheit weit gefährlichere Risiken zu vernachlässigen.

Mehr Interesse an ökonomischen Aspekten der Corona-Krise? Stöbern Sie hier durch unsere Übersichtsseite.    

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Autor:

Prof. Dr. Thomas Straubhaar früherer Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg.

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