Die Euro-Konkurrenz nach dem Brexit: „Ein grundsätzlich optimistisches Buch“
Immer noch wirkt der Brexit wie ein schwerer Kater nach durchzechter Nacht. Und immer noch ist nicht deutlich, welche Konsequenzen die Entscheidung der Engländer wirklich für alle Beteiligten hat. Das Buch liefert Antworten, wie es zumindest für die EU und den Euro weitergehen könnte und gibt Lösungen für die politische Umsetzung vor.
Nur die größten Skeptiker behaupten, dass nach der Pest, der Cholera, dem 30jährigen Krieg und dem Eisernen Vorhang nun der Brexit Europa erreicht habe. Viel Pathos. Und der Vergleich hinkt. Dennoch steht Europa vor Veränderungen: „Der europäische Wirtschaftsraum wird definitiv ein Wirtschaftsraum verschiedener Währungen sein und nicht allein den Euro kennen“, meinen die Autoren in dem jetzt erschienenen Buch „Die Euro-Konkurrenz nach dem Brexit“. Inwieweit zukünftig Europa international eine Rolle spielt, werde nicht davon abhängen, wie sich der Euro-Raum verbreitert, sondern wie dynamisch sich diese Zone entwickelt und wie wettbewerbsfähig sie sein wird. Die Stärkung der Wirtschaftsdynamik und die Wettbewerbsfähigkeit sind für die Autoren die Kriterien, „um die Eurozone letztlich nicht in jene Reihe von Währungsräumen einordnen zu müssen, die an ihren inneren und äußeren Widersprüchen gescheitert sind“.
Was also wird geschehen, wenn der Brexit vollzogen und die EU mit großer Wahrscheinlichkeit in eine weitere Krisenphase tritt? Herausgeber Walther Dietrich (Gründer der Unternehmenshochschule BiTS in Iserlohn) und die Autoren Walter Stock und Wolf D. Hartmann stellen in ihrem 200-Seiten-Buch klar: Das Projekt Europa steht nicht in Frage, aber ganz gleich, ob es sich um die europäische Regierungsfähigkeit, die Fiskal- und Rechtsunion oder die EU-Erweiterungspolitik handelt: Europa hat erheblichen Sanierungsbedarf. Neben der Flüchtlingskrise bleibt die Eurokrise das Dauerproblem der europäischen Integration. Auch wird sich das Wachstum im Euro-Raum nach dem Brexit weiter abschwächen – das stehe fest.
Die Autoren sezieren in ihren Ausführungen zunächst die Ungleichgewichte in der Euro-Zone und identifizieren sie als „Ballast für die internationale Rolle des Euros“. Sie spüren dem währungspolitischen Aufstieg Chinas nach und analysieren das dollargetriebene globale Währungs- und Finanzsystem. Welcher Platz bleibt zwischen dem Dollar und Chinas Renminbi für den Euro? Eine Ablösung des Dollars als Währung Nummer eins ist schon aufgrund der Unzulänglichkeit des europäischen staatlichen Anleihemarktes kaum möglich. Die Euro-Zone ist zu stark segmentiert, die einzelnen nationalen Märkte sind relativ klein – und erreichen damit nicht annähernd die Größe des US-Marktes.
European Green Infrastructure Development Bank
Die europäische Währungsunion ist für die Autoren die vorrangige „Baustelle“. Die Anzeichen für eine weiter anhaltende Krise sind nach der Brexit-Entscheidung noch deutlicher: Italiens Bankensektor bröselt, in anderen Ländern wie Spanien kommt die Haushaltskonsolidierung nicht voran. Auch hinter Portugals Reformkurs und Frankreichs Reformwille mehren sich die Fragezeichen. Die Konsequenz: Europas Wirtschaftsentwicklung und damit auch der Euro-Raum bleibt hinter anderen Weltregionen zurück – vor allem hinter den USA und China. Die Autoren schlagen vor, mit England unbedingt eine „realistische Reformagenda“ zu entwickeln: Darin gilt es, die gegenseitigen Stärken hervorzuheben, in Bildung und Innovation – vor allem für das „Green Business“. Die wirtschaftlichen Außenbeziehungen sollen dynamisiert und der Bankenbereich konsolidiert werden.
Eine neue Architektur des europäischen Finanzmarktes
Zudem wünschen sich die Autoren eine europäische Finanzmarktarchitektur, die mit anderen globalen Finanzmärkten wettbewerbsfähig ist. Jegliche Befassung mit einer Exit-Option für bestimmte Länder sollte deswegen vorerst einmal ad acta gelegt werden. Und um die Herkulesaufgaben zu bewältigen soll nach dem Vorbild der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) eine European Green Infrastructure Development Bank (EGID-Bank) entstehen – mit möglichst vielen Staaten als Gesellschafter und einem Startkapital von 30 bis 40 Milliarden Euro.
Das Ziel: die Entwicklung eines „durchgängig nachhaltig zukunftsfähigen Europas und einer entsprechend grünen, intelligent vernetzten Infrastruktur als Vorbild für die ganze Welt“. Konkret könnte „EGID-Bank“ folgende Projekte fördern: die Entwicklung und Nutzung naturverbundener biologischer Kreislaufprozesse, die konsequente Dekarbonisierung der Industrie, Entwicklung smarter Strukturen des Wohnens und Arbeitens, die massive Investition in die Bildung und die durchgängige Digitalisierung aller Unterrichtsprozesse.
Klingt gut, bleibt aber angesichts einer zweifellos mehr als heterogenen Wirtschaftspolitik in der EU eine Wunschvorstellung.
Fazit
Keine Frage, die Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten, hat die Kontinental-Europäer aufgeweckt. Die Autoren dieses Buches zeigen Mängel und Hemmnisse des aktuellen Euro-Raums – und entwickeln Europas Wirtschafts- und Währungsunion innovativ weiter. Sprachlich ist es sicher kein Leseschmöker geworden, dafür aber ein fachlich hoch versiertes und grundsätzlich optimistisches Buch.
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Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.