Die Abkehr von der Netzneutralität würde die Qualität des Netzes verbessern
Der Erfolg des Internets hat zwei Ursachen. Zum einen: seine universelle Struktur. „Die unterschiedlichsten Inhalte wie Schrift, Grafik, Musik, Fotos, Video, Businessanwendungen und Spiele werden in den gleichen Typ von Datenpaketen transformiert und in dieser Form über eine einzige Infrastruktur verschickt“, sagt zum Beispiel Jörn Kruse, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Der zweite Erfolgsfaktor: die Stückelung der Daten. Eine Word-Datei im Anhang einer E-Mail zum Beispiel wird nicht als gesamte Datei durch das Netz zum Empfänger geschickt, sondern in vielen kleinen Paketen, über unterschiedlichste Wege. Jedes Paket enthält im so genannten Header die Information über das Ziel und die Position im Datenstrom. Beim Empfänger dann werden die Pakete wieder zusammen gesetzt, zu einer Word-Datei zum Beispiel.
Bisher werden alle Datenpakete gleich behandelt. Kommt es wegen Datenüberlastung im Internet zum Stau, wird das erste Datenpaket, das am Stauende ankommt, auch vor den dahinter eintreffenden durch den Stau gelotst. Überholen verboten! In der Warenwirtschaft heißt dieses Prinzip „Fifo“, „First in, first out“, im Internet heißt es „Best Effort“.
Mit der Homogenität könnte es bald vorbei sein. Es gibt zahlreiche Bestrebungen, die Logik des Internets an einer zentralen Stelle zu verändern: In Zukunft sollen die einzelnen Pakete priorisiert werden können.
Eine Priorisierung der Datenpakete würde nun dazu führen, dass an Engpässen neu sortiert wird. Datenpakete mit einer hohen Priorisierung würden dann bevorzugt behandelt, jene mit einer niedrigen müssten länger warten.
Technisch wäre dies denkbar einfach umzusetzen: In dem schon heute vorhandenen so genannten Header jedes Datenpakets würde zusätzlich die Priorisierung aufgenommen.
Die Kritik an einer solchen Änderung ist groß. Mit einer derartigen Abkehr von der Netzkneutralität würde die Freiheit des Internets beschnitten, so ein Vorwurf. Die Netze könnten kontrolliert, Zugang und Information gezielt gesteuert werden. Eine derartige „Datendiskriminierung“ müsse deshalb verhindert werden, zum Wohle aller, sagen die Kritiker.
Tatsächlich geht der Trend zum Schutz der Netzneutralität. Vielleicht, weil allein schon der Begriff suggeriert, dass sich auf der richtigen Seite befindet, wer für Netzneutralität eintritt. Schließlich soll das Netz nicht parteiisch und beeinflussend sein. „Journalisten sind“, sagt Kruse, „praktisch alle für Netzneutralität, vermutlich nicht zuletzt auch, weil es etwas Positives suggeriert.“
In den Niederlanden hat das Parlament erst vor wenigen Tagen die Best-Effort-Regel gesetzlich fixiert. Jedes einzelne Datenpaket darf nicht nach Inhalt oder anderen Kriterien sortiert werden, alle müssen gleich behandelt versendet werden.
Doch was gut klingt, ist nur gut gemeint. Die so verstandene Netzneutralität behindert nämlich den Fortschritt. Genauer gesagt, macht der Fortschritt eine Anpassung an das System Internet notwendig. Für die verschiedenen Dienste, die im Internet angeboten werden, ist die Geschwindigkeit der Datenpakete nämlich unterschiedlich wichtig. Der Download einer PDF-Datei ist in der Regel weniger zeitkritisch als die Echtzeitkommunikation bei einer lebensbedrohlichen Operation, bei der nicht alle Ärzte real anwesend sein können, manche über das Internet zugeschaltet werden. Oder: Die Auswirkungen eines wenige Zehntelsekunden verzögerten E-Mail-Versands sind zu vernachlässigen, die gleichen Verzögerungen bei der Internet-Telefonie führen dazu, dass die Stimmen unnatürlich verzerrt klingen.
Das ist der Kern der gesamten Problematik heute, das manche Dienste zeitsensibel sind und andere nicht. Die Netzneutralität behandelt aber alle Datenpakete gleich.
„Der ökonomische Wert des staufreien Transports eines bestimmten Datenpakets kann bei Netzneutralität nicht berücksichtigt werden“, sagt Jörn Kruse. Dies mache deutlich, dass eine Netzneutralitätsregulierung im Überlastfall nicht ökonomisch effizient sein kann, so der Ökonom jüngst bei der Fachtagung „Marktplatz Internet“, veranstaltet vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie von Professor Dr. Justus Haucap.
Netzneutralität ist also ökonomisch unsinnig, weil sie alle Datenpakete gleichbehandelt, ohne Rücksicht auf den Wert eines Paketes. Netzneutralität ist aber auch rechtlich fragwürdig. „Der Verbot so genannter Transportklassen im Internet verstößt möglicherweise gegen das Grundgesetz der Informationsfreiheit“, so Professor Dr. Hubertus Gersdorf von der Universität Rostock, bei der gleichen Veranstaltung. Denn wer für die strikte Netzneutralität sei, der verhindere, so Gersdorf, dass bestimmte Inhalte, wie etwa YouTube-Videos in HD- und 3D-Qualität, ohne Qualitätsverlust über das Internet übertragen werden könnten.
Die Zulassung eines priorisierten Internets würde also die Qualität der Dienste verbessern. Wer vorrangig bedient werden will, müsste bei Angebotsengpässen entsprechend bezahlen. Und die Nachteile? Würde das Surfen teurer und unliebsame Inhalte möglicherweise ausgesperrt? „Es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass der so genannte Premium-Service zu einer Verschlechterung des bestehenden Best-Effort-Angebots führt“, sagt Jörn Kruse.
Was bisweilen befürchtet werde, so Kruse weiter, dass Provider den Anreiz hätten, den Best-Effort-Service schlecht zu machen, damit User bereit seien, für höherwertige Dienste zu bezahlen, das werde nicht eintreten, so Kruse. „Der Wettbewerb zwischen den Netzen wird dies verhindern.“
Kruse prognostiziert weitere positive Effekte: Premium-Preise würden den finanziellen Spielraum für den Ausbau der Netze schaffen, von dem am Ende alle profitieren würden. „Der Premium-Preis führt dazu, dass die Kapazitäten steigen, das aber kommt in 99 Prozent der Zeit auch den Best-Effort-Kunden zugute.“ Denn nur im Falle von Engpässen greife ja überhaupt die Bevorteilung durch die Priorisierung.
Ökonomisch sinnvoll, aber politisch kaum durchsetzbar! So könnte das entmutigende Fazit lauten. Tut es aber nicht. Auch in Deutschland wird es in absehbarer Zeit ein Gesetz zur Netzneutralität geben, weil eine EU-Richtlinie die Umsetzung in deutsches Recht verlangt. Diese Umsetzung wird vermutlich ökonomisch sinnvoll ausfallen. Denn was unter Netzneutralität zu verstehen ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Gersdorf, Mitglied Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, sagt: „Alle im Bundestag vertretenen Parteien sind zwar für Netzneutralität.“ Alle Parteien sagten aber auch, dass Unterscheidungen gerechtfertigt seien, so sie nur sachlich fundiert sind.
Das klingt komplizierter als es ist. Im Grunde läuft dies auf eine neue Definition von Netzneutralität hinaus, dass nämlich alle Datenpakete gleich behandelt werden müssen, die den gleichen Preis für den Transport zahlen.
Mit anderen Worten: Eine Unterscheidung von Datenpaketen soll zukünftig erlaubt werden, so es die Qualität der Dienste verbessert. „Die Bildung von Transportgruppen ist Ausdruck der Informationsfreiheit“, sagt Gersdorf. „Alle in der Enquete-Kommission, von der Linken bis zur Union, sind der Auffassung, dass es Transportgruppen geben darf.“ Und so werde es auch im Zwischenbericht der Enquete-Kommission stehen, so Gersdorf. Allerdings hat die Enquete-Kommission erst diese Woche die Verabschiedung der Handlungsempflung zur Netzneutralität auf Herbst verschoben.
Offensichtlich gibt es in der Enquete-Kommission einen Dissens, wie Enquete-Kommissions-Mitglied Constanze Kurz am Samstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darlegt. Die Einstimmigkeit, von der Professor Gersdorf berichtet, bezieht sich vermutlich lediglich auf die Politiker in der Enquete-Kommission. Die Kommission ist zur Hälfte mit Bundestagsabgeordneten und zur anderen Hälfte mit Wissenschaftlern besetzt.
Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung beim Pixelökonom erschienen.
Autor:
Johannes Eber ist Volkswirt und verantwortet bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die digitale Kommunikation.