Der Mindestlohn setzt die Erfolge am Arbeitsmarkt aufs Spiel

Es war zu erwarten: Kaum hat es in Deutschland eine substantielle Verbesserung am Arbeitsmarkt gegeben, flammt aufs Neue die Diskussion über einen flächendeckenden Mindestlohn auf. Es gibt hierzulande, so die Argumentation, zu viele Arbeitnehmer, die ihre niedrigen Löhne mit staatlicher Unterstützung „aufstocken“, um davon leben zu können. Das gehe nicht so weiter: Ein Mensch müsse von seiner Arbeit leben können.

Tatsächlich hat es seit den Hartz-IV-Reformen eine beträchtliche Zunahme der Zahl der „Aufstocker“ gegeben – bei gleichzeitiger Abnahme der Arbeitslosigkeit, und vor allem auch: der Langzeitarbeitslosigkeit. Woran dies genau lag, ist bis heute nicht ganz klar – zum Teil wohl an den neuen Regeln, zum Teil auch an einer generellen Verbesserung der Arbeitsmarktlage in Deutschland. Jedenfalls wurde ein wesentliches Ziel der Reform erreicht: Empfänger staatlicher Hilfe sollten für den Arbeitsmarkt reaktiviert werden, damit sie wieder den Kontakt zur Arbeitswelt zurückfinden. Denn eine Fülle wissenschaftlicher Studien zeigte, dass gerade dieser Kontakt extrem wichtig ist, um dauerhaft die Beschäftigungschancen zu verbessern. Genau dies ist geschehen.

Nun glaubt die Politik offenbar, damit sei es genug, und die Arbeitgeber sollten endlich die Kosten dieser Politik übernehmen. Dabei werden eine Reihe von unveröffentlichten Studien zitiert, die angeblich belegen, dass die bisher bestehenden Mindestlöhne in Deutschland kaum Beschäftigung gekostet haben. Diese Untersuchungen konzentrieren sich allerdings auf die branchenspezifischen Lohnuntergrenzen, die im Rahmen des Entsendegesetzes erlassen wurden. Für den Niedriglohnsektor sind sie ohne großen Belang, denn in den meisten vom Entsendegesetz betroffenen Branchen wie dem Bauhauptgewerbe oder dem Elektro-, Dachdecker- und Malerhandwerk werden ohnehin erheblich höhere Löhne gezahlt als die meisten Aufstocker erhalten. Im wirklichen Niedriglohnsegment sieht die Struktur ganz anders aus: Dort tummelt sich eine Fülle von Arbeitskräften mit ganz unterschiedlicher Motivlage – bis hin zu vielen Studierenden, die sich ein wenig Geld hinzuverdienen. Es ist völlig offen, wie dieser Markt reagiert, wenn etwa der Mindestlohntarif für Zeitarbeit, was derzeit vorgeschlagen wird, Anwendung findet. fast 8 Euro im Westen und 7 Euro pro Stunde im Osten. Da könnten schon in der Gastronomie oder im Friseurhandwerk viele Arbeitsplätze wegfallen oder in die Schattenwirtschaft abwandern.

Überhaupt nicht nachvollziehbar ist dabei der Vorschlag, dass ausgerechnet die Tarifparteien diesen Mindestlohn festlegen sollten – und nicht der Staat selbst. Geschähe dies, wäre es eine Einladung zur Wettbewerbsbeschränkung durch etablierte Produzenten, die sich höhere Löhne leisten können. Dies ist ordnungspolitisch überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen. Es geht doch bei der Festlegung eines absoluten Mindestlohns – im Unterschied zu branchenbezogenen tariflichen Untergrenzen – um eine Frage der Konstruktionsprinzipien des Sozialstaats. Mit Tarifautonomie hat sie nichts mehr zu tun. Da sollten die Tarifpartner – wie stets – dem Staat beratend zur Seite stehen. Entscheiden muss aber die Politik. Sonst kommt der Tariflohn in Deutschland in den Zangengriff einer umfassenden Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, die mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar ist.

Dieser Beitrag ist auch auf insm.de erschienen.

Autor:

Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué ist Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

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