Der französische Patient

Schafft Frankreich die Wende am Arbeitsmarkt?Um die Konjunktur in Schwung zu bringen, holt sich die französische Regierung Inspiration bei der Agenda-Politik. Doch dass die deutsche Wirtschaft so gut dasteht,  liegt vor allem an der Stärke der Industrie.

Die Ideen von Peter Hartz finden nun auch in Paris Gehör: Der Mann, der Deutschlands Arbeitsmarktreformen unter Gerhard Schröder entscheidend geprägt hat, traf sich jüngst zum Gedankenaustausch mit Staatspräsident François Hollande. Eine Denkfabrik, die den regierenden Sozialisten nahesteht, organisierte zudem Gespräche zwischen Hartz und Ministern.

Guten Rat hat Frankreichs Regierung dringend nötig: In Europas zweitgrößter Volkswirtschaft sind so viele Menschen arbeitslos wie noch nie, die Konjunktur kommt kaum in Fahrt. Egal ob bei der Erwerbstätigkeit, dem Staatsdefizit oder der Schuldenquote: Deutschland hat sich bei allen Indikatoren deutlich besser entwickelt. Ein Hauch von Agenda-Politik ist in Paris bereits zu spüren: Die Regierung will den Arbeitsmarkt flexibler gestalten und die Unternehmen entlasten, kündigte Hollande Mitte Januar an. Doch einfach kopieren lässt sich der deutsche Erfolg nicht.

Denn die Robustheit der heimischen Volkswirtschaft liegt vor allem an der großen Bedeutung der industriellen Wertschöpfung und der Stärke des Mittelstandes. Die Unternehmen können sich wegen ihrer enormen Innovationskraft am Weltmarkt behaupten – und nicht aufgrund von vermeintlichem Lohndumping.

Der Nachholbedarf in Frankreich ist groß: Der Industrieanteil liegt bei lediglich elf Prozent. In Deutschland steht die Industrie für 23 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das hat historische Gründe: Familiengeführte Unternehmen mit einer Firmengeschichte von weit über 100 Jahren sind auf langfristige Erfolge ausgerichtet. Im ganzen Land verteilte industrielle Cluster bilden die Basis für stabile Wertschöpfungsstrukturen. Ein traditionell stark auf Technik und Wirtschaft ausgerichtetes Bildungssystem sichert die Wettbewerbsfähigkeit.

Mit kleinteiliger Industriepolitik, die in der Tradition der französischen „Planification“ einzelne Branchen fördert, wird es nicht gelingen, das deutsche Erfolgsmodell nachzuahmen. Für die Umsetzung des Plans von EU-Industriekommissar Antonio Tajani, den Industrieanteil in der gesamten EU auf 20 Prozent zu erhöhen, bedarf es konsequenter Schritte: Notwendig ist die Fokussierung auf Infrastrukturnetzwerke sowie der Abbau regulatorischer Hindernisse – und die Entwicklung einer europäischen Energiepolitik, um im Wettbewerb mit Nordamerika mithalten zu können.

Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung im Cicero erschienen.

Autor:

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.

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