Der Einstieg in den Ausstieg aus den Schröderschen Rentenreformen

Im Sondierungspapier kündigt die Neuauflage der Großen Koalition weitere Mehrausgaben in der Rentenpolitik an. Das ist nicht nur teuer, sondern schafft neue Ungerechtigkeiten, ohne ein einziges der bestehenden Probleme zu lösen.

Seit der Veröffentlichung des Sondierungspapiers sind nun auch die Vorstellungen einer potentiellen Großen Koalition in Sachen Rente publik. Nimmt man all die genannten Reformschritte zusammen, wäre selbst ein weiterer Stillstand in der Rentenpolitik insgesamt besser als dass, was die Große Koalition verspricht. Anstatt den von der Schröderschen Regierung eingeleiteten Weg zu einer nachhaltigen Finanzierung der Rente und damit einer weitgehend neutralen Verteilung der Lasten der Alterung der Gesellschaft zwischen den Generationen zieht es die Große Koalition vor den Babyboomern doch noch einmal großzügig nachzuschenken – eine Zeche, die die Jungen zahlen müssen.

Die doppelte Haltelinie ist der Einstieg in eine steuerfinanzierte Rente. Das Kunststück, Rentenniveau und Beitragssatz ab dem Ende der kommenden Dekade trotz des Renteneintritts der Babyboomer konstant zu halten, funktioniert nur mit Hilfe des Steuerzahlers. Nun unterscheiden sich die durchschnittlichen Steuer- und Beitragszahler in mancher Hinsicht, in einer jedoch nicht: Beide sind jünger als die Rentnerjahrgänge. Somit stellt auch die doppelte Haltelinie eine weitere Belastung der jüngeren Generationen dar. Zwar betonen insbesondere Protagonisten der Unionsparteien, dass die Regelung zunächst nur bis 2025 gelten soll und das Rentenniveau bis dahin aller Erwartung nach sowieso nicht stark absinkt. Trotzdem kann dies als Einstieg in den Ausstieg der Schröderschen Rentenreformen interpretiert werden. Technisch betrachtet wird der Nachhaltigkeitsfaktor, welcher dem Verhältnis von Rentnern und Beitragszahlern Rechnung tragen soll, ausgesetzt, de facto wird somit der Generationenvertrag Rente einseitig zugunsten der Älteren in der Gesellschaft verändert. Eine Kommission, welche Vorschläge für Reformen nach 2025 erarbeiten soll, müsste zumindest mit einem höheren Rentenniveau beginnen als es derzeit der Fall wäre. Zudem ist der Arbeitsauftrag der Kommission schwammig gehalten, obwohl die meisten Lösungsansätze auf dem Tisch liegen. Ein höheres Renteneintrittsalter oder sogar eine Koppelung dessen an die Lebenserwartung ist mittlerweile in mehreren europäischen Staaten der Standard und ist und bleibt eine ökonomische Notwendigkeit. Diese Faktenlage bleibt aber vollkommen außen vor – beim Thema Rente bewegen wir uns immer weiter hin zum Postfaktischen.

Das Sondierungspapier schafft dabei nicht nur eine neue Schieflage im Verhältnis der Generationen, sondern diskriminiert beim Thema Altersarmut auch Menschen gleichen Alters. Was stellt die größere Lebensleistung dar? 35 Jahre in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis oder 20 Jahre als Angestellter und 15 Jahre als Selbstständiger? Während ich mir allein aufgrund dieser Zahlen kein Werturteil zugestehen würde, scheint die Lage für die Sondierer von SPD und Union eindeutig – die erste Gruppe soll in Zukunft in der Grundsicherung bessergestellt werden als die zweite (und andere) Gruppe(n). Dies stellt in mehfacher Hinsicht eine gefährliche (hier positive) Diskriminierung von Armut dar: Erstens diskriminiert unser Staat nicht nach den Gründen von Armut (nur in sehr differenzierten Einzelfällen), sondern hilft diesen Menschen ohne Bewertung der Armutsursachen. Das Vorhaben der GroKo bricht nun mit dieser Logik, wir würden eine bestimmte Gruppe mit einer bestimmten Vita besserstellen – mit der oben gezeigten zweifelhaften Begründung. Wenn dieses Beispiel Schule macht, verabschieden wir uns von einem guten Teil des humanitären Wesens der sozialen Sicherung. Zweitens stellt die Grenze von 35 Jahren ein Fallbeil dar, was die Akzeptanz der Rente kaum steigern dürfte. Bisher ist die Rente eine Kombination aus Beitragszeit und Verdiensthöhe. Nun plötzlich kann derjenige mit 35 Versichertenjahren besser dastehen als sein Nachbar mit 34 Versichertenjahren, obwohl Letzterer vielleicht sogar mehr in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Drittens steigen die Anreize für Schwarzarbeit für Versicherte, die durch mehr Arbeit das Niveau der Grundrente nicht übertreffen können. Gerade deswegen ist das (Teil-)Äquivalenzprinzip in unserem Altersvorsorgesystem an dieser Stelle so wichtig. Viertens schafft es einen bürokratischen Moloch sondergleichen, denn plötzlich soll die Rentenversicherung mit den Institutionen für die Grundsicherung zusammenarbeiten. Wie und warum wird dabei nicht erläutert. Und fünftens ist die Regelung schlicht ungerecht, denn Lebensleistung lässt sich – gerade bei den vielen Frauen in Altersarmut – kaum an Versichertenjahren festmachen. Oder ist Familienarbeit nur dann eine Leistung, wenn sie als Versichertenjahr gezählt wird? Die erweiterte Mütterrente im Sondierungspapier kann hier mit ihrer Vergangenheitsperspektive wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wie die Unionsparteien immer wieder herausstellen, ist die betroffene Gruppe zudem recht klein, was jedoch auch heißt, dass eine echte Lösung der Altersarmutsproblematik damit kaum angegangen wird.

Natürlich muss man für eine wirklich differenzierte Beurteilung dieser und anderer Pläne der Sondierer, wie etwa einer Versicherungspflicht für Selbstständige, noch auf eine Präzisierung im Koalitionsvertrag oder in den parlamentarischen Prozessen warten – die Stoßrichtung ist jedoch klar vorgegeben. Wie in der vergangenen Legislaturperiode sollen einzelne (ältere) Gruppen oder die Älteren in Gänze zu Lasten der Jüngeren bessergestellt werden. Begründet wird dies unter dem Deckmantel vermeintlicher Gerechtigkeit, welche im Detail betrachtet diverse Inkonsistenzen in sich trägt. Dabei wird tragischerweise eines verkannt: Ohne eine nachhaltige Finanzierung unserer Altersvorsorge, welche auch der jüngeren Generation entsprechende Spielräume lässt, wird es am Ende einen Zusammenbruch dieses Systems geben – das wäre dann die ungerechteste Situation für alle.

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Autor:

Prof. Dr. Christian Hagist ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Otto Beisheim School of Management Vallendar.

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