Der Brexit und die Folgen
Die Briten haben sich bekanntlich mit denkbar knapper Mehrheit für den Brexit entschieden. Jetzt hat die Zeit der Schuldzuweisungen begonnen. Wer Vertrauen in die Europäische Union aufbauen will, sollte besser dafür sorgen, deren Demokratiedfizite zu reduzieren. Eine Kritik an Bürokratie und Institutionen der EU.
Von Politikern und Journalisten liest man seit der überraschenden Brexit-Entscheidung von vergangenen Donnerstag fast ausschließlich Bürger- und Briten-Bashing. Der Tenor lautet: „Wie können die nur so blöd sein?“, statt zu fragen, warum eine Mehrheit der Bürger einen Verbleib in der EU offenbar nicht mehr als sinnvoll erachtet hat. Durch Bürgerbeschimpfungen wird man keinen EU-Skeptiker zurückzugewinnen.
Durch die Eurorettungspolitik und den Umgang mit der Flüchtlingskrise haben die Europapolitiker Sympathien verspielt. Dies hat nationalistische und sozialistische Populisten in Europa erst stark gemacht.
Gründe für Zweifel an der Funktionsfähigkeit der EU gibt es viele, und Politiker wie Bürokraten täten gut daran, das Votum der Briten als Warnschuss zur rechten Zeit zu verstehen, bevor der “Point of no return” überschritten ist. Dann werden den Briten andere Länder folgen.
Die Probleme, die es anzugehen gilt, sind zahlreich. Ein System, das Freiheiten beschneidet, Bürger gängelt und Überregulierung verursacht, ist nicht das, was sich die Mehrheit von der EU wünscht. Die EU hat ein System überbordender Bürokratie geschaffen, die teilweise zum Selbstbedienungsladen verkommen ist. Nicht nur, dass die EU-Beamten mehr Geld verdienen, sie zahlen auch deutlich geringere Steuern und Abgaben als vergleichbare Beamte in den Mitgliedsländern. Mehr als 4.000 EU-Beamte verdienen sogar mehr als die deutsche Bundeskanzlerin – ein Zustand, den man im Übrigen auch bei den Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nachvollziehen kann. Und: EU-Beamte aus Portugal oder Griechenland erhalten allein 45 Tage Sonderurlaub pro Jahr zusätzlich für Heimfahrten.
Dazu kommt ein Demokratiedefizit. Die Europäische Kommission, das einflussreichste Organ der EU, wird vom europäischen Rat unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgekungelt. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament haben die Stimmen der Bürger unterschiedlicher Länder völlig verschiedene Gewichte. Dies widerspricht dem demokratischen Prinzip von „one man, one vote“. Und die fortgesetzte und milliardenteure Euro-Rettungspolitik bricht europäisches Recht und Verträge ohne demokratische Legitimation. Von jedem Bürger wird erwartet, sich an geltendes Recht zu halten – für die EU scheint es akzeptabel zu sein, Recht zu brechen.
Die EU hat sich zu sehr von ihren Bürgern entfernt und entfremdet, sich zu wenig um sie gekümmert. Das britische Referendum war vermutlich auch eine Abstimmung über Angela Merkel. Die Briten haben gegen die Regelverletzung bei der Staatsfinanzierung und die merkelsche Migrationspolitik gestimmt. Kein Wunder also, dass manche in den Nettozahlerländern Niederlande, Schweden oder Finnland schon mit den Hufen scharren.
Fakt ist auch: Die EU verliert mit Großbritannien ihren drittgrößten Nettozahler, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht und das Land mit der drittgrößten Bevölkerung. Die EU verliert ferner einen der größten Verfechter einer liberalen Wirtschaftspolitik und so werden manche Südländer möglicherweise ihre teuren Forderungen nach höheren Ausgaben und mehr Umverteilung häufiger und in stärkerem Maße durchsetzen können.
Doch der Handel mit dem Inselkönigreich muss nicht einbrechen. Auch mit der Schweiz und Norwegen bestehen tiefe Handelsbeziehungen. Dafür gilt es jetzt die Weichen richtig zu stellen. Kurzfristig mag die Wirtschaft der EU und Großbritanniens einen Dämpfer bekommen, mittelfristig wird sie sich sehr wahrscheinlich erholen. Es ist sogar vorstellbar, dass Großbritannien letztlich gestärkt aus dem Prozess hervorgeht.
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Autor:
Dr. Markus A. Hessler studierte, lehrte und forschte in Bochum, Hagen und Hamburg. Er arbeitet aktuell als Strategieberater für Digitalisierung, Strategieentwicklung, Marketing-Management, Finance und Projektmanagement und lehrt in betriebs- und volkswirtschaftlichen Schwerpunkten an verschiedenen Hochschulen.