Das Märchen vom grünen Wachstum
Die grüne Ökonomie ist zu einem Streitthema geworden. Nicht erst seitdem Autokonzerne mit ihrer CO2-Vermeidungssoftware zum Himmel stinken stehen die Mainstream-Konzepte einer nachhaltigen Wirtschaft in der Kritik. Überhaupt ist eine Antwort auf die Frage, wie die grüne Transformation gelingen soll, noch lange nicht gefunden. Klar scheint nur: Umweltschutz mit Wachstum zu versöhnen, bleibt ein schönes Märchen.
Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, Barbara Unmüßig: Kritik der grünen Ökonomie, oekom Verlag, München 2015
Früher sägten wir an dem verknöcherten Ast, auf dem wir saßen. Heute sitzen wir auf einem Ast, der blüht und gedeiht. Aber wir sägen immer noch an ihm – das ist in etwa das Bild, das die Kritik an der grünen Ökonomie zusammenfasst. Grüne Ökonomie ist zum Streitthema geworden. Für viele ist es mittlerweile sogar nur noch ein Schlagwort, das einem auf die Nerven geht. Denn für die einen bedeutet es „green washing“ und ist ein Feigenblatt für grenzenloses Wachstum. Für andere stellt es nur ein geschicktes Marketing-Konzept dar. Und für die dritten ist es schlichtweg eine Lebenshaltung – zwar ein notwendige, doch recht mühsame.
Die drei Wissenschaftler Thomas Fatheuer, Lili Fuhr und Barbara Unmüßig gehen diesen Diskrepanzen auf den Grund. Ihre schonungslose wie faire Analyse „Kritik der grünen Ökonomie“ ist weder die Moralkeule der Besser-Öko-Wisser noch der Abgesang einer Wirtschaft, die sich bemüht, eine neue Wirtschaftsordnung zum Schutz von Umwelt und Klima zu konstruieren. Das Buch will die Debatte darüber neu entfachen, ob technologische Innovation tatsächlich die einzige Antwort auf die Frage ist, wie mit Weniger, anders und vielfältig eine bessere Zukunft geschaffen werden könnte.
Größere Motoren fressen Effizienzgewinne
Auf rund 180 Seiten beschreiben die drei Autoren vor allem die grünen Großtrends der Industrie. Der Vorwurf: Aufgesogen vom ökonomischen Mainstream konzipieren und praktizieren die Unternehmen grüne Ökonomie nach einem 0815-Konzept – zwar bemüht, aber ohne Wirkung. Die Autoren meinen, im Kern der grünen Ökonomie liege zwar das attraktive Versprechen „Wir können umsteuern, und alles wird gut.“ Doch es sei ein Trugschluss zu glauben, dass die Wirtschaft mit mehr technologischer Innovation eine Effizienzrevolution und die Entkopplung der Wirtschaftsleistung vom Energie- und Materialverbrauch schaffe.
Drei Beispiele – erstens: Trotz aller Versuche, ressourcenschonend zu produzieren, energiesparender zu arbeiten oder Motoren effizienter auszurüsten, fressen in der deutschen Autoindustrie die ständigen Erhöhungen „der Motorleistung und das Größenwachstum der Modelle diese Effizienzgewinne gleich wieder auf“, schreiben die Autoren. Die ausländischen Wettbewerber hingegen agierten anders und entwickelten „grünere“ Fahrzeuge – „sei es durch konsequentes Verkleinern der Motoren in der gesamten Fahrzeugflotte (Frankreich, Italien), durch Hybridisierung der Antriebe für den Massenmarkt (Japan) oder ein alltagstaugliches Elektromobil (USA).“
Ein zweites Beispiel: der deutsche Privathaushalt: „Kühlschränke und Fernseher werden immer sparsamer, doch die Haushalte verbrauchen nicht weniger Energie – weil die Zahl der Geräte steigt. Wachstum nur effizienter zu machen wird nicht ausreichen, um das fossile Zeitalter zu überwinden.“ Und drittens: Auch der Einsatz von Biodiesel und Ethanol sei zwar gut gemeint, aber letztlich kontraproduktiv: „Fossile Brennstoffe werden durch vermeintlich CO2-neutrale, nachwachsende Rohstoffe ersetzt.“ Inzwischen aber belegten viele Studien: „Werden mehr Pflanzen angebaut, um Treibstoff herzustellen, gefährdet dies die Versorgung der Menschheit mit ausreichend Lebensmitteln, zerstört riesige Flächen von Regenwäldern und bedroht massiv die Artenvielfalt.“
Auch neue Lebensstile sind Innovationen
Technik- und innovationsfeindlich sind die Autoren nicht. Im Gegenteil: „Ohne neue Ideen treten wir auf der Stelle und werden die komplexen Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.“ Was sie sich allerdings wünschen, sind strengere Grenzen: „Nicht alles muss reguliert werden. Aber das Setzen wirksamer Grenzwerte bis hin zu Verboten (wie bei verbleitem Benzin, FCKWs) stellt eine Erfolgsgeschichte dar. Sie bleiben ebenso unverzichtbar wie unabhängige Kontrollen, wenn wir den notwendigen Wandel wirklich angehen und nicht nur den Märkten hinterherwinken wollen.“
Ihr Appell zielt letztlich darauf ab, dass jeder seinen Lebensstil kritisch hinterfragen sollte: „Vor allem aber darf Innovation nicht auf Technik verengt werden: Auch neue Lebensstile, andere Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, sind Innovation.“
Fazit
Neu sind die Thesen und Warnungen der Autoren nicht. Und auch ihr Ruf nach mehr staatlichen Eingriffen dürfte ein empfindlicher Schlag beispielsweise in das Kantor der Autolobby sein. Dennoch ist den dreien ein in seiner Kompaktheit gutes Buch gelungen. Es beschreibt die negativen Großtrends der grünen Ökonomie, die nach Meinung der Autoren die vielen positive Ansätze und die Erfolge der erneuerbaren Energien konterkarieren. Die Autoren beanspruchen nicht, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben – insofern bietet ihre Analyse der grünen Ökonomie einen nützlichen Beitrag in eine noch intensiver zu führende Debatte über den Sinn und Unsinn grüner Wirtschaft.
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Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.