Chancen der Digitalisierung nutzen
Die Digitalisierung führt zu großen Umbrüchen in allen Wirtschaftsbereichen. Das ist eine große Chance für Verbraucher und Wirtschaft. Über die Chancen und Risiken eines Strukturwandels.
Der folgende Policy-Brief (.pdf) entstand auf Grundlage des Econwatch-Meetings „Digitale Wirtschaft und Sharing Economy – Brauchen wir eine neue Wettbewerbsordnung?“ mit Prof. Dr. Justus Haucap (Düsseldorf Institute for Competition Economics und ECONWATCH). Das Video wurde im Vorfeld der Veranstaltung aufgenommen.
Die fortschreitende Digitalisierung führt zu grundlegenden Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und beschert vielen Branchen einen Strukturwandel. Was viele Vorteile für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie neue Geschäftschancen für innovative Unternehmen bringt, bedeutet Wertverlust und schmerzhafte Anpassungsprozesse für diejenigen, deren Geschäftsmodelle nicht mehr gefragt sind. In der öffentlichen Debatte werden daher zum Teil vermeintliche Gefahren der Digitalisierung betont, um Besitzstände zu wahren. Denn digitale Angebote treten zunehmend in Konkurrenz zu etablierten Geschäftsmodellen: So können E-Books, die Fahrdienstvermittlung Uber oder Online-Apotheken zu sinkenden Preisen und mehr Qualität und Service für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen. Anstatt neue Geschäftsmodelle und Märkte unter bestehendes Recht zu zwängen, sollte der rechtliche Rahmen so angepasst werden, dass sich die positiven Wirkungen der Digitalisierung entfalten können.
Gleichwohl gibt es auch Risiken, die nicht von der Hand zu weisen sind und einer genaueren Auseinandersetzung bedürfen. Wettbewerbspolitisch relevant ist insbesondere die Frage, inwieweit die neuen digitalen Geschäftsmodelle zu mehr oder weniger Wettbewerb führen. Die 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) führt daher folgerichtig Anpassungen des Kartellrechts ein, mit denen den Besonderheiten digitaler Märkte Rechnung getragen wird.
Die Digitalisierung führt allgemein dazu, dass sich viele Märkte grundlegend wandeln. Es entstehen neue Produkt- und Prozessinnovationen wie z. B. smarte Haushaltsgeräte, 3D-Drucker und selbstfahrende Autos. Durch Online-Angebote werden die Märkte größer und Preis- und Produktvergleiche einfacher. Dadurch intensiviert sich der Wettbewerb. Zudem bringen Plattformen und Portale wie eBay oder Amazon Käufer und Verkäufer zusammen, während Suchmaschinen Werbetreibende und Suchende zusammenbringen. Solche Plattformen zeichnen sich durch direkte oder indirekte Netzwerkeffekte aus, d. h. dass sie umso attraktiver sind, je mehr Nutzer bzw. Anbieter die Plattform hat.
Diese Netzwerkeffekte können zu Konzentrationstendenzen auf den betreffenden Märkten führen, deren Auswirkungen für Anbieter und Nachfrager nicht eindeutig sind. Ob es zu einer Monopolisierung kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Zu nennen sind die Stärke der Netzwerkeffekte, der Einfluss von Größenvorteilen, Überlastungsgefahren, die Differenzierung der Plattformen und die Möglichkeit, parallel verschiedene Vermittler zu nutzen („Multihoming“) und/oder den Anbieter zu wechseln. Bisher ist eine dauerhafte Monopolisierung von Online-Plattformen nicht zu beobachten. Allerdings besitzen einzelne von ihnen durchaus beträchtliche Marktmacht, die auch auf absehbare Zeit weiter bestehen dürfte. Um Machtkonzentrationen auf Plattformmärkten zu verhindern, ist insbesondere dafür zu sorgen, dass das Multihoming nicht erschwert oder verhindert wird. Mit der neunten GWB-Novelle hat der Gesetzgeber das Kartellrecht an die Besonderheiten digitaler Märkte angepasst. Das Ende März 2017 beschlossene Gesetz enthält unter anderem einen Katalog an Kriterien, die die Wettbewerbsbehörden bei der Beurteilung der Marktstellung von Internetplattformen berücksichtigen sollen. Zudem ist die Fusionskontrolle auf Fälle ausgeweitet worden, in denen zwar der Umsatz des zu erwerbenden Unternehmens gering, der Kaufpreis aber besonders hoch ist und damit ein hohes Marktpotenzial signalisiert.
Digitalisierung und Internetökonomie basieren maßgeblich auf der Nutzung von Daten. Das Schlagwort Big Data weist darauf hin, dass viele neue Geschäftsmodelle darauf basieren, große digitale Datenmengen zu sammeln, zu analysieren, zu nutzen und zu vermarkten. Big Data kann es Anbietern ermöglichen, ihre Produkte stärker zu differenzieren und eine maßgeschneiderte Produktion, etwa durch 3D-Drucker, anzubieten. Insbesondere erlaubt das Sammeln und Analysieren von Kundendaten es Unternehmen aber, gezielt Preise zwischen unterschiedlichen Kundengruppen zu differenzieren. Mit deutlichen Nachteilen für die Verbraucherinnen und Verbraucher: Je individueller die Preise für unterschiedliche Kundengruppen gesetzt werden, desto mehr verliert der Wettbewerb seine Schutzfunktion. Kunden, die sich die Zeit und Mühe von Preisvergleichen sparen wollten, konnten sich bisher auf Schnäppchenjäger verlassen, die für den notwendigen Druck auf die Anbieter gesorgt haben. Bei zunehmend differenzierten Preisen ist quasi jeder auf sich selbst gestellt. Die Möglichkeit der zunehmenden Preisdifferenzierung durch Big Data wirkt sich aber nicht nur auf den Wettbewerb aus, sondern wirft auch schwierige datenschutzrechtliche Fragen auf: etwa dann, wenn Versicherungen nur dann Rabatte gewähren, wenn persönliche Daten wie zum Beispiel Fahrdaten des eigenen Fahrzeugs oder individuelle Gesundheitsdaten übermittelt werden. Zugleich bietet die Nutzung großer Datenmengen aber auch Chancen. So können z. B. die Angebote der Sharing Economy helfen, Ressourcen effizienter zu nutzen. Sie sind daher nicht nur ökonomisch, sondern oft auch ökologisch vorteilhaft.
Insgesamt sind die Chancen der Digitalisierung enorm. Um sie zu nutzen, sollte der bestehende Rechtsrahmen überprüft und dort, wo nötig, angepasst werden. Dabei sind auch schwierige Abwägungsfragen – etwa im Bereich Datenschutz – zu beantworten. Die Chancen werden sicher verpasst, wenn Besitzstände gewahrt und sowieso schon überkommene Regelungen, wie etwa auf dem Taximarkt, im Buch- oder Arzneimittelhandel, auf neue Märkte und Technologien angewendet werden.
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Autor:
Dr. Susanne Cassel und Dr. Tobias Thomas sind Vorsitzende bei Econwatch, einer gemeinnützigen und unabhängigen Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, verständlich und wissenschaftlich fundiert über Wirtschaftspolitik zu informieren und Reformmöglichkeiten aufzuzeigen.