Bildung endlich für alle – per Maus- und Tastenklick
Die Digitalisierung revolutioniert die Bildung – mit Big Data und personalisiertem Lernen. Im digitalen Wandel liegt die Chance auf eine echte Demokratisierung des Bildungssystems: Durch Computer, Laptop oder iPad kann jeder Interessierte daran teilhaben. Doch der freie Zugang ist nur ein erster Schritt, um Aufstiegschancen für alle zu ermöglichen. Was fehlt, ist ein „individualisiertes Bildungsangebot“.
Die Digitalisierung ist längst im vollen Gang. Algorithmen bestimmen unser Leben, Software und Maschinen übernehmen bereits jetzt unsere Arbeit: Morgens weckt uns das Smartphone; die Wetter-App sagt uns, was wir anziehen müssen; das Navi führt uns zum Geschäftstermin und Daten-Clouds speichern unser Wissen. Und wenn wir wollten, könnten wir übers iPad in „Massive Open Online Courses“ (MOOC) auch noch unseren MBA wie nebenbei meistern. Doch von solchen digitalen Bildungsmöglichkeiten sind wir in Deutschland noch ziemlich weit entfernt. Dabei wäre dies dringend nötig, meinen die beiden Bildungsexperten Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt in ihrem neuen Buch „Die digitale Bildungsrevolution – der radikale Wandel und wie wir ihn gestalten können“. Denn: Inklusion, Zuwanderung, der Ansturm auf die Gymnasien führe dazu, dass Schulklassen immer heterogener werden, was individuelle Förderung zunehmend wichtiger mache.
Die Lösung der Autoren: Ein personalisiertes, digitales Bildungssystem. „Jeder Schüler lernt anders. Deswegen ist der eine über- und der andere unterfordert, wenn alle Gleichaltrigen im gleichen Tempo im gleichen Raum mit den gleichen Methoden und dem gleichen Ziel unterrichtet werden.“ Dräger und Müller-Eiselt wünschen sich mehr Zugang zu Bildung und Wissen für sozial schwache Schichten in Deutschland. Die Bundesrepublik müsse die neuen Medien endlich viel stärker in ihr Bildungssystem integrieren.
Deutsches Unbehagen gepaart mit Inkompetenz
Auf knapp 200 Seiten erklären die Autoren, warum eine Bildungsrevolution nötig ist („Die Aufgaben wachsen – die Kosten explodieren“), wie maßgeschneidertes Lernen möglich ist („MOOC“, „Flipped Classroom“), wie vernetztes Lernen Vorteile schafft („Das Netzwerk schlägt den Einzelnen“) und wie Bildungseinrichtungen und -träger Bildungsdaten nutzen und schützen müssen. Die Gründe für die schleppende Digitalisierung im deutschen Bildungssystem liegen für sie auf der Hand: Da ist zum einen viel Skepsis und Ressentiment gegenüber Big Data – Digitalisierung würde in Schule und Hochschule immer noch zu stark als Bedrohung angesehen. Zwar gebe es einzelne Lehrer, die großes Engagement zeigten und die digitalen Möglichkeiten in den Unterricht integrierten. Doch eine institutionelle Strategie sei nicht zu sehen.
Zum anderen gebe es schlichtweg eine gewisse technische Inkompetenz viele Pädagogen: Laut der internationalen Studie ICILS sind deutsche Lehrer schlechter ausgebildet im Umgang mit Computertechnik und medienskeptischer als ihre Kollegen in anderen Ländern. Und diejenigen Deutschen Bildungsexperten, die sehr gute Vorarbeit leisten, werden nicht richtig wahrgenommen: „Das Mathe-Lernprogramm Bettermarks wurde in Berlin entwickelt, anders als [zum Beispiel] in Uruguay arbeiten hierzulande aber gerade einmal 200 Schulen mit der Software“, meinen die Autoren. Und: „Sebastian Thrun, ein Pionier der Onlinevorlesungen, wurde zwar in Solingen geboren, seine Internet-Uni sitzt aber im Silicon Valley.“
Handy auf die Schulbank!
Die Autoren fordern: Die Technik muss konsequent in den Dienst der Pädagogik gestellt werden – mit klaren Regeln, die beispielsweise Datenmissbrauch vermeiden. Bildungseinrichten brauchen Rechtssicherheit bei der Nutzung von Internet, digitalen Lernmaterialien und Geräten. Zudem müssen Lehrer Digitalkompetenz erhalten, damit auch Schüler datensouverän gemacht werden können. Statt eines Handyverbots im Unterricht benötigt Deutschland vielmehr für seine Schulen ein flächendeckendes WLAN. Das koste zwar Millionen, doch die Autoren sind sich sicher: „Mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen kann dieses Bildungsideal im digitalen Zeitalter neue Schubkraft entfalten“ Dazu gehöre letztlich auch, „unzeitgemäße Regulierungen wie die Kapazitäts- und Lehrverpflichtungsverordnungen an Hochschulen zu modernisieren.“ Oder anders ausgedrückt: Wenn ein Professor eine Onlinevorlesung gibt, sollte er weniger Präsenzlehre machen müssen.
Fazit
Wer das Buch liest, reibt sich zwangsläufig die Augen und fragt: „Warum schlafen wir denn noch?“ Das schmale Bändchen ist erst der Anfang einer Revolution, die kommen muss. Es ist ein überzeugendes Plädoyer für die überfällige Digitalisierung des Bildungssektors – empfehlenswert nicht nur für Lehrer und Professoren, sondern für Bildungsexperten grundsätzlich. Digitales Lernen ist nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine politische Aufgabe.
Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.