Betreuungsausbau fördert Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt
Die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Ohne den starken Ausbau der Betreuungsangebote für die Kinder wäre das nicht möglich gewesen. Wird dieser weiter vorangetrieben, hilft dies auch, die noch bestehenden Geschlechterunterschiede zu reduzieren.
War es in den 1960er-Jahren in der Bundesrepublik noch Standard, dass die Frauen mit der Familiengründung ihren Beruf aufgaben und sich ausschließlich um die Belange der Familie kümmerten, fordern sie seitdem eine immer gleichberechtigtere Teilhabe am Arbeitsmarkt ein. Damit einhergehend ist der Anteil der Erwerbstätigen unter den 20- bis 64-jährigen Frauen in den letzten zwei Jahrzehnten von 57,9 Prozent im Jahr 1997 auf 75,2 Prozent im Jahr 2017 gestiegen. In der Europäischen Union ist dies der zweithöchste Wert nach Schweden (siehe auch Grafik unten).
Allerdings ist der Abstand zum Spitzenreiter mit fast 5 Prozentpunkten weiterhin noch groß. Zudem arbeiten viele der erwerbstätigen Frauen in Deutschland nur mit verminderter Stundenzahl. Im Vergleich der EU-Länder war der Teilzeitanteil unter den 20- bis 64-jährigen weiblichen Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2017 mit 46,8 Prozent nach den Niederlanden und Österreich am dritthöchsten. In Schweden lag er nur bei 32,9 Prozent.
Quelle: Eurostat, 2019
Dass die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland in den letzten Jahren so stark steigen konnte, geht maßgeblich auf den Betreuungsausbau zurück, der hierzulande erst vergleichsweise spät angegangen wurde. Bis zum Jahr 1996 hatten die Familien noch nicht einmal einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz und Betreuungsplätze für unter Dreijährige waren noch bis in die 2000er-Jahre hinein in den westdeutschen Bundesländern eine Seltenheit. Erst im Jahr 2007 wurde von Bund, Ländern und Kommunen auf dem sogenannten „Krippengipfel“ die Grundsatzentscheidung getroffen, dass auch für Kinder dieser Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot zur Verfügung gestellt werden und ab dem Jahr 2013 ab dem ersten Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gelten sollte.
Trotz eines starken Ausbaus der Betreuungsinfrastruktur in den Folgejahren fehlten nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft im Jahr 2018 noch rund 273.000 Plätze für unter Dreijährige. Schweden ist Deutschland an dieser Stelle weit voraus. Einer Erhebung der europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge, nahmen hier bereits im Jahr 2007 rund 47 Prozent der Familien für ihre unter Dreijährigen eine institutionelle Betreuung in Anspruch und im Jahr 2017 waren es sogar 53 Prozent im Vergleich zu nur 30 Prozent in Deutschland (siehe auch Grafik unten).
Quelle: Eurostat, 2019
Nicht nur im frühkindlichen Bereich auch bei den Betreuungsangeboten für Schulkinder besteht trotz Fortschritten in Deutschland noch dringender Handlungsbedarf. Dabei wird hier vor dem Hintergrund des Halbtagsschulsystem deutlich mehr außerschulische Betreuung benötigt als in den meisten anderen EU-Ländern, wo der Schulunterricht bereits den größten Teil des Tages abdeckt. Wichtig ist allerdings, dass die Kinder den Schulstoff in den Nachmittagsstunden auch tatsächlich einüben. Ist dies nicht gewährleistet, müssen die Mütter (und Väter) gegebenenfalls die Lernbegleitung übernehmen und können vor diesem Hintergrund unter Umständen nicht im an sich gewünschten Umfang eine Erwerbstätigkeit nach gehen.
Auch bei den kleineren Kindern ist die Betreuungsqualität für die Entscheidung der Eltern darüber, wie lange sie ihre Kinder institutionell betreuen lassen, und damit auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht unerheblich. Zudem spielen bei allen Altersgruppen die Angebotszeiten der Betreuungseinrichtungen eine wichtige Rolle. Reichen diese nicht aus, können beide Eltern nicht in Vollzeit arbeiten. Dies dürfte auch eine Erklärung für die hohe Teilzeitquote der Frauen in Deutschland sein.
Wird darauf hingearbeitet, dass diese ihre Erwerbskarrieren nach Geburt eines Kindes ähnlich leicht fortsetzen können wie die Schwedinnen, wird das auch die Geschlechterunterschiede am Arbeitsmarkt weiter reduzieren. Im Bildungssystem haben die Frauen nämlich bereits deutlich die Nase vorn. Im Jahr 2017 haben etwa 54,8 Prozent der jungen Frauen im entsprechenden Alter aber nur 49,7 der Männer ein Hochschulstudium aufgenommen.
Autor:
Dr. Wido Geis-Thöne ist Senior Economist im Bereich Bildung, Zuwanderung und Innovation beim Institut der deutschen Wirtschaft.