Bauen statt enteignen!
Wer die Ursachen kennt, kann Probleme lösen. Diese simple Logik gilt auch für den Wirtschaftszweig der Immobilien. So helfen Enteignungen kaum gegen steigende Mieten. Stattdessen müssen mehr Wohnungen entstehen, Bauen muss günstiger werden.
Aktuell läuft in Berlin ein Volksbegehren, das zum Ziel hat, Immobilienkonzerne mit mehr als 4000 Wohnungen zu enteignen. Dieses Volksbegehren ist nur die extremste Ausprägung einiger bundesweiter Proteste, die sich gegen die immer weiter steigenden Mieten richten. So hat sich in München eine Bürgerinitiative gegründet, die die Höhe der Mieten auf fünf Jahre festschreiben will und Juso-Chef Kevin Kühnert träumt gar davon, dass in Zukunft jeder nur noch eine Wohnung, nämlich seine eigene, besitzen dürfen sollte.
Und während man sich noch fragt, wo die Menschen, die sich keine Wohnung leisten können, unterkommen sollen, greifen zahlreiche Politiker Herrn Kühnerts Thesen auf. Selbst der Sozialdemokratenschreck Friedrich Merz lässt verkünden, dass die Thesen zwar falsch seien, man aber über das grundsätzliche Problem reden müsse. Nun könnte man das alles als Spinnerei oder Wahlkampfgetöse abtun, allerdings zeigen gerade die Bürgerinitiativen, dass hier offenbar ein Problem von allgemeinem Interesse vorliegt. Die zentrale Frage ist nun, ob die bisher im Raum stehenden Lösungsmöglichkeiten des Wohnungsproblems geeignet sind, die eigentliche Ursache des Mietenanstiegs zu beseitigen. Daher sollen nachfolgend der Wohnungsmarkt und die Ursachen der steigenden Mieten untersucht werden.
1. Der Marktüberblick
Betrachten wir den Markt für Immobilien und Mietwohnungen zunächst in seiner Gesamtheit. In der aktuellen Diskussion wird nämlich nahezu nur der Markt für Mietwohnungen betrachtet. De facto ist dieser aber nur ein Teilmarkt des gesamten Marktes für Wohnimmobilien. Irgendjemand muss dem Mieter ja auch eine Wohnung vermieten. Spricht man also über Mietwohnungen, muss immer auch über den Kauf beziehungsweise den Neubau von Immobilien gesprochen werden. Es besteht nämlich ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen dem Kauf- respektive Baupreis einer Immobilie und den Mieten.
Betrachten wir den Immobilienkauf daher zuerst einmal aus der Sicht des potenziellen Vermieters. Für diesen stellen die Kosten der Wohnungen eine Form von Investition da und auf diese möchte er eine Rendite erzielen. Sollte er die Immobilie selbst nutzen, besteht sie in der Aussicht, einmal mietfrei wohnen zu können. Sollte die Wohnung vermietet werden, so besteht die Rendite aus den Zahlungen der Mieter. Wenn nun die Preise für Immobilien steigen, dann werden die Vermieter im Gegenzug auch die Mieten erhöhen, damit sie ihr Renditeziel erreichen, da sie ja mehr investieren mussten. Steigende Mieten sind daher immer auch mit durch den Anstieg von Immobilienpreisen verursacht.
Der Grund, warum es in der aktuelle Debatte trotzdem fast nur um die Belange von Mietern geht, liegt darin, dass Deutschland im europäischen Vergleich ein Volk von Mietern ist. So beträgt der Anteil der Personen, die über Wohneigentum verfügen, in den am stärksten von Mietsteigerungen betroffenen deutschen Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern gerade einmal 28 Prozent. Im Bundesdurchschnitt sind es 45 Prozent und in Gemeinden mit unter 5000 Einwohner 60 Prozent. Zum weiteren Vergleich: In Spanien beziehungsweise Portugal liegt die Eigentumsquote weit über 70 Prozent. Deutschland landet mit einer Eigentumsquote dagegen abgeschlagen auf dem vorletzten Platz in Europa. Nur in der Schweiz gibt es weniger Wohnungseigentümer.
Aufgrund dieser Neigung der Deutschen, eine Immobilie eher zu mieten als sie zu kaufen oder neu zu bauen, und aufgrund weiterer Vorteile von Großstädten (wie etwa bessere Infrastruktur und mehr sowie höherwertige Arbeitsplätze), kam es in den letzten Jahren zu einer immer stärkeren Urbanisierung der Bevölkerung. Mit diesem Zuzug in die großen Städte ergab sich aber auch ein immer größerer Nachfrageüberhang für Mietwohnungen, weil nicht im gleichen Maße neuer Wohnraum zu Verfügung gestellt wurde. Als logische Konsequenz stiegen sowohl die Mieten als auch die Immobilienpreise (weitere Ursachen siehe unten). Je nach Region fielen diese Preisanpassungen mehr oder minder stark aus.
So stieg der Durchschnittsmietpreis pro Quadratmeter im besonders schwer betroffenen Berlin in den letzten sieben Jahren um 78 Prozent. Der Kaufpreis pro Quadratmeter hatte sich in dieser Zeit übrigens mehr als verdoppelt. Es wundert also nicht, dass sich die Wut der Bürger über steigende Mieten gerade in Berlin besonders deutlich artikuliert. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Berlin lange Zeit ein für deutsche Großstädte sehr niedriges Miet- und Immobilienpreisniveau hatte, das sich jetzt langsam an andere Städte angleicht. Oder etwas flapsig ausgedrückt: Die Mietpreise sind für die Berliner zwar stark gestiegen, aber einem Einwohner von München müssen sie lächerlich niedrig vorkommen. Nichtsdestotrotz betrifft der hohe Anstieg viele Menschen stark.
An dieser Stelle muss nun betont werden, dass diese Preissteigerungen nicht, wie es aktuell teilweise passiert, monokausal auf das Handeln von großen Immobilienverwaltern zurück zu führen sind. Vielmehr handelt es sich zuerst einmal um einen ganz normalen Marktmechanismus, der auf die Knappheit einer Ressource mit entsprechenden Preissteigerungen reagiert. Um den Mietmarkt zu entlasten, wäre es also nötig, ihn auf einem niedrigeren Preisniveau zu stabilisieren. Dazu könnte entweder die Nachfrage verringert werden (was schwer zu bewerkstelligen beziehungsweise unter Umständen nicht wünschenswert wäre) oder das Angebot erhöht werden. Um die Mieten zu stabilisieren oder gar zu senken müsste also mehr Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Würde also das Land Berlin tatsächlich die großen Immobilienunternehmen enteignen, so würde erst einmal nichts weiter passieren. Zwar könnte das Land die Mieten quasi „einfrieren“, doch damit wäre nur der Anstieg der Mieten gebremst. Das eigentliche Problem hätte man aber noch überhaupt nicht bekämpft. Oder plakativer ausgedrückt: Anstatt den großen Konzernen 30 Milliarden Euro als Entschädigung für ihre Enteignung zu zahlen, wäre es sinnvoller, dieses Geld (so das Land Berlin es denn hat) in den Bau neuer Wohnungen zu stecken. Damit würde nämlich die eigentliche Wurzel des Problems bekämpft werden.
2. Die Vermieter
Verfolgt man die aktuelle Debatte, so kann man nun den Eindruck gewinnen, dass die meisten Mietwohnungen in Großstädten von kommerziellen Immobilienverwaltern angeboten werden. Das ist aber nicht der Fall. Der größte Teil der Mietimmobilien gehört entgegen der landläufigen Meinung privaten Vermietern. Deren Anteil am Gesamtmarkt beträgt in Deutschland rund 60 Prozent und in Großstädten rund 48 Prozent. Der Rest verteilt sich auf kommunale Wohnungen, Genossenschaftswohnungen, private Unternehmen sowie gemeinnützige Organisationen wie Kirchen oder Stiftungen. Auf private Unternehmen entfallen ca. 17 Prozent der Wohnungen in Großstädten.
Private Vermieter stellen also den größten Teil der Mietwohnungen und sind damit auch mit für den Anstieg der Mieten verantwortlich. Wer nun bei diesen Privatvermietern zuerst an reiche Erben oder Millionäre denkt, die sich ähnlich renditeorientiert wie Unternehmen verhalten, der liegt falsch. Ungefähr 22 Prozent aller privaten Vermieter machen mit ihrer Immobilie Verluste. Rund die Hälfte erzielen Renditen zwischen 0 und 4 Prozent. Das ist sicherlich mehr als auf einem Sparbuch, aber weit davon entfernt, hoch rentabel zu sein.5 Übrigens sind derartige Renditen auch bei kommerziellen Anbietern eher die Regel als die Ausnahme.
Auch in absoluten Zahlen zeigt sich, dass der durchschnittliche deutsche Vermieter eher kein renditeorientierter Kapitalist ist. 45 Prozent aller privaten Vermieter erzielen weniger als 5000 Euro Einnahmen pro Jahr durch die Vermietung, weitere 28 Prozent nicht mehr als 10.000 Euro. Setzt man diese Zahlen in Relation zum Medianeinkommen in Deutschland und unterstellt man jeweils die höchsten Einnahmen des größten Teils der Vermieter, so bessern sie ihr Einkommen um brutto 13 beziehungsweise 27 Prozent auf. Das mag auf den ersten Blick nach viel klingen, aber es darf nicht vergessen werden, dass es sich hier um Bruttowerte handelt. Diese Einnahmen müssen noch versteuert werden und zusätzlich sind damit eventuell Finanzierungskosten zu bezahlen. Das allgemeine Bild, dass sich Immobilienbesitzer auf Kosten ihrer Mieter schwer bereichern, trifft also nicht zu.
Wenn also die großen Immobilienverwalter nur einen vergleichsweise geringen Marktanteil haben, stimmt es dann zumindest, dass diese alle Möglichkeiten der Mieterhöhung ausnutzen und so die Mieten in die Höhe treiben? Auch dieses Vorurteil ist nur teilweise richtig. Fakt ist, dass private Vermieter die Miete während eines laufenden Mietverhältnisses eher selten erhöhen. Die Miete wird oft erst bei einer Neuvermietung an den aktuellen Mietspiegel angepasst. Immobilienverwalter dagegen nutzen ihren Spielraum in aller Regel aus.
Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Mieten in deren Wohnungen prinzipiell höher wären. So stiegen die preisbereinigten Bruttokaltmieten im privaten respektive gewerblichen Immobilienbereich von 8,10 beziehungsweise 7,70 Euro pro Quadratmeter 2013 auf durchschnittlich 8,70 Euro im Jahr 2017. Die Immobilienverwalter haben also ihre Preise tatsächlich stärker erhöht als die privaten Vermieter, aber diese kamen von einem höheren Niveau. Im Schnitt unterscheiden sich die durchschnittlichen Bruttokaltmieten zwischen privaten und gewerblichen Vermietern kaum.
Wie ist die Situation bei kommunalen Wohnungen? Entsprechend der allgemeinen Vorstellung sind die Mieten dort in den letzten Jahren tatsächlich nicht gestiegen und verharren bei 7,40 Euro pro Quadratmeter. Dieser Fakt wird nun häufig als positiver Aspekt dargestellt und dient auch der Rechtfertigung der Enteignungsdebatte. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Kommunen durch die Nichtanpassung der Mieten auch auf Einnahmen verzichten. Diese Einnahmen fehlen dann an anderer Stelle. So könnten mit den Mehreinnahmen unter anderem auch soziale Wohnbauprojekte mitfinanziert werden.
Natürlich kann die niedrige Miete mit sozialen Aspekten gerechtfertigt werden. Dann wäre es aber zwingend notwendig, dass die günstigeren kommunalen Wohnungen auch an einkommensschwache Haushalte vermietet werden. Betrachtet man die Einkommensstruktur der Mieter von kommunalen Wohnungen, so zeigt sich eine schiefe Verteilung. Rund 70 Prozent der Mieter liegen unterhalb des Medianeinkommens, 27 Prozent sogar unter 60 Prozent desselben, womit sie als „armutsgefährdet“ gelten. Kommunale Wohnungen werden also tatsächlich primär an einkommensschwache Haushalte vermietet. Es ist aber zu bedenken, dass 30 Prozent oberhalb des Medianeinkommens liegen und damit auch in der Lage wären, höhere Mieten zu bezahlen. Hier wäre also eine Preisdiskriminierung nach Einkommen durchaus zu rechtfertigen.
3) Der Staat
Nun sind die teilweise rasanten Preissteigerungen bei Mieten faktisch da und man fragt sich: Wie konnte es so weit kommen? Als Hauptschuldigen haben Staat und Bürger dabei – wie bereits angedeutet – die gewerblichen Wohnungsvermieter ausgemacht. Doch wer mit dem Finger auf andere zeigt, sollte nicht vergessen, dass drei andere Finger auf einen selbst gerichtet sind. Beide tragen nämlich nicht unwesentlich selbst zum Problem der steigenden Mieten bei. Beschäftigen wir uns zuerst mit dem Staat. Dieser hat auf verschiedenen Wegen dazu beigetragen, dass die Mieten immer weiter steigern.
Zuerst ist die geringe eigene Bautätigkeit respektive die Aufgabe von Wohnungen im Staatsbesitz zu nennen. In den letzten Jahren haben Bund und Länder immer weniger Sozialwohnungen gebaut und gleichzeitig bestehende an Investoren verkauft. Dass diese dann nach dem Ende der Mietpreisbindung selbige kräftig erhöht haben, darf kaum verwundern. Diese Sozialwohnungen hätten allerdings den Effekt gehabt, den allgemeinen Preisauftrieb zu vermindern. Zum einen da es (entsprechende Bautätigkeit des Staates vorausgesetzt) zu einer Ausweitung des Angebots gekommen wäre und zum zweiten, weil auch einkommensschwächere Personen in halbwegs guten Lagen hätten wohnen können. Dies hätte wiederum den Trend vermindert, dass sich immer kaufkräftigere Personen für die verbleibenden Immobilien interessieren und mit ihrer höheren Zahlungsbereitschaft die Preise weiter in die Höhe treiben.
Aber der Staat hat auch indirekt zur Steigerung der Mieten beigetragen. So steigen die Preise für Immobilien seit Jahren auch wegen immer neuer Bauvorschriften ständig an. Explizit seien hier die Vorschriften zur Wärmedämmung oder auch zum zwangsweisen Bau von Niedrigenergiehäusern genannt. Allein die Energieeinsparverordnung von 2016 soll so zu einer Steigerung von rund 9 Prozent geführt haben. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Verordnungen per se schlecht oder schädlich sind. Aber zur Wahrheit gehört es nun mal auch, dass derartige Vorschriften über die steigenden Baupreise die Mieter schädigen, da die erhöhten Baukosten (wie anfangs dargestellt) auf die Mietpreise durchschlagen.
Außerdem sinkt durch die derartig erhöhten Baukosten auch die Zahl derer, die sich den Bau einer Immobilie überhaupt leisten können, so dass sich das Angebot weiter verknappt. Das häufig genannte Argument, dass sich die erhöhten Baukosten über die eingesparte Energie wieder amortisieren, greift dabei auch nicht wirklich, da es sich hier um sehr lange Zeiträume handelt (insbesondere wenn man den Wert der zukünftigen Einnahmen korrekterweise abzinst). Diese zukünftigen Einnahmen nützen nämlich wenig, wenn man am Anfang nicht genügend Kapital hat, um überhaupt ein Haus zu bauen.
Nur am Rande sei hier erwähnt, dass der Zwang zum Energiesparen eventuell auch geringer ausfallen würde, wenn die Politik nicht mittels diverser Gesetze und Vorhaben (zum Beispiel Erneuerbare-Energien-Gesetz oder die Energiewende) dafür gesorgt hätte, dass die Energiepreise in Deutschland zu den höchsten in Europa zählen. Diese hohen Energiepreise führen selbstredend auch zu einer Erhöhung der Nebenkosten und damit auch zu einer zusätzlichen Belastung der Mieter.
Manche politischen Maßnahmen scheinen auf den ersten Blick gar nicht mit dem Wohnungsmarkt zu tun zu haben und doch könnten sie diesen negativ beeinflussen. So könnten die aktuelle Feinstaubdebatte und die drohenden Fahrverbote für ältere Diesel-PKW zu noch mehr Zuzug in die großen Städte führen. Dies wäre eine mögliche Konsequenz aus der Tatsache, dass man mit den alten Dieselfahrzeugen nicht mehr in die Innenstädte fahren darf. Für Betroffene entsteht dann nämlich ein Anreiz in die Stadt zu ziehen, in der sich zum Beispiel ihr Arbeitsplatz befindet. Damit würde sich die Wohnungsnot weiter verschärfen. Diesem Phänomen wäre natürlich mit einem Ausbau des ÖPNV zu begegnen, aber auch das würde hohe Investitionen erfordern und es ist sicherlich zu überlegen, ob man dieses Geld nicht lieber in Wohnraum investieren will.
Last but not least soll neben der bundesdeutschen auch noch ein Aspekt der europäischen Ebene angesprochen werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) betreibt seit vielen Jahren eine Nullzins-Politik, was es institutionellen Anlegern wie Versicherungen etc. erschwert, das Geld ihrer Kunden anzulegen. Da gerade letztgenannte verpflichtet sind, das Geld ihrer Kunden in sicheren Anlagen zu investieren und zum Beispiel deutsche Staatsanleihen kaum oder gar keine Zinsen bringen, bleibt ihnen oft nur noch die Möglichkeit des „Betongolds“. So fließen hohe Summen in den Immobilienmarkt, was die Preise und damit die Mieten weiter nach oben treibt. Verbunden damit ist auch das Problem, dass Deutschland seit Jahren viel Kapital ins Ausland exportiert, da es hierzulande offenbar keine Investitionsmöglichkeiten findet.
Bürger und Kommunen in der Pflicht
Der Staat übt also in mannigfaltiger Weise Einfluss auf die Preisentwicklung in den Städten aus. Aber auch die Bürger in den betroffenen Städten und mit ihnen die Kommunalverwaltungen tragen einen guten Teil zur Preissteigerung bei. Den meisten Bürgern erscheinen die steigenden Mieten nämlich nur so lange als bekämpfenswertes Problem, wie sie nicht selbst von etwaigen Gegenmaßnahmen direkt oder indirekt betroffen sind. Denn die Bürger, die eben noch gegen die steigenden Immobilienpreise gewettert haben, ändern ihre Meinung mitunter schlagartig, sobald sich die nötige Wohnraumverdichtung in ihrem „Vorgarten“ abspielt.
Die vorher noch sozial eingestellten Eigentümer werden dann auf einmal zu radikalen Kapitalisten, die sich weniger um das Wohl ihrer Mitbürger, sondern umso mehr um den möglicherweise sinkenden Wert ihrer Immobilie oder die neue aber ungewünschte Nachbarschaft sorgen.
Manchmal scheinen aber auch andere Werte deutlich wichtiger zu sein als günstiger Wohnraum. So wurde zum Beispiel die Nutzung des Gebiets des ehemaligen Flughafens Berlin Tempelhofs als mögliche Immobilienfläche per Volksentscheid verhindert. Dabei stünde hier der Stadt ein großes Gelände in guter Lage zur Verfügung, welches sich gut für den Neubau von Wohnungen geeignet hätte. Natürlich ist hier der Wille des Volkes zu respektieren, aber sich danach über fehlenden Wohnraum zu beklagen, zeugt schon von Scheinheiligkeit.
Und auch die Kommunalpolitik trägt ihren Teil dazu bei, dass die Wohnungsnot nicht gezielt bekämpft wird. Aktuell live zu beobachten in Frankfurt/Main. Auch diese Stadt hat mit einer starken Wohnraumverknappung zu kämpfen. Obwohl bereits ein groß angelegtes Konzept zur Ausweisung neuer Gewerbegebiete und der Nutzung von alten als zumindest gemischte Baufläche vorlag, konnte es die Stadt bis heute nicht umsetzen. So wollen die Grünen eine Grünfläche nicht in ein Gewerbegebiet umwandeln und die CDU will unter keinen Umständen zulassen, dass zumindest geprüft wird, ob eine bisherige Ackerfläche als Bauland genutzt werden kann.1 Dies würde nämlich jeweils die Interessen bestimmter Wählgruppen verletzen. Solange hier aber nur auf Partikularinteressen geachtet wird, kann das Konzept der integrierten Stadtentwicklung kaum umgesetzt werden und die Wohnungsnot bleibt weiter bestehen.
Insgesamt zeigt sich also, dass die ganze Enteignungsdiskussion am Thema vorbeigeht. Einseitig die großen Immobilienverwalter verantwortlich zu machen, ist nicht angebracht. Das Problem der steigenden Mieten benötigt daher, will man es substanziell angehen, eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, die von allen Beteiligten ein paar Opfer fordert.
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Autor:
Jörg Neubert ist Verhaltenswissenschaftler und lebt in Pforzheim. Er publiziert bei Novo mit Schwerpunkt auf Bildungsthemen.