Alterssicherung nach Corona: Probleme ungelöst – Spielräume eingeengt

Die Rentenkommission der Bundesregierung hatte keinen Konsens gefunden. Dabei wären Reformen so wichtig. Was jetzt zu tun ist.  

Zu den Problemen, die nach der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgewirkungen ungelöst und dringlicher als zuvor wieder hervortreten werden, gehören Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und anderer Zweige der Altersvorsorge, die langfristig für eine finanzierbare und zugleich angemessene Alterssicherung in Deutschland sorgen.

Ungelöst
ist dieses Problem, weil die Rentenkommission der Bundesregierung, deren Endbericht
Ende März – ganz im Schatten der aktuellen Krise – vorgelegt wurde, keinen
Konsens gefunden hat, der für die Zeit von 2025 bis etwa 2040/45 einen
gangbaren Weg zur Bewältigung des demografischen Wandels aufzeigt. Dringlicher
wird das Problem, weil während der Krise einmal mehr Zeit ungenutzt verstreicht
und weil einige Handlungsspielräume der Politik durch die Maßnahmen zur
Krisenbekämpfung spürbar eingeengt sein werden.

Die Probleme der Rentenfinanzierung sind in Deutschland vor allem mittel- bis langfristiger Natur. Sie resultieren aus dem seit Langem absehbaren Alterungsprozess von Wohnbevölkerung und Rentenversicherten, der mittlerweile nah herangerückt ist. Mit den Renteneintritten der „Babyboomer“ steigt die Zahl der Rentner ab sofort und bis etwa 2030 stark an, während die aktiven Versicherten dann nur noch aus „geburtenschwachen“ Jahrgängen stammen. Die resultierende Anspannung der Rentenfinanzen wird daher in der Folgezeit nicht wieder abflauen, sondern aus heutiger Sicht sogar weiter zunehmen. Finanzielle Reserven, die die GRV in den letzten zehn Jahren bei guter Arbeitsmarktentwicklung aufgebaut hat, reichen vermutlich noch ein paar Jahre, auch wenn sie durch die Krise in Mitleidenschaft gezogen werden. Anschließend müssen die Beitragssätze stark steigen, während das Sicherungsniveau der Renten unter dem geltenden Recht kontinuierlich sinkt.

Simulationen zur langfristigen Entwicklung der GRV-Finanzen, die noch aus der Zeit vor der Corona-Pandemie stammen, zeigen diese Tendenzen klar an1 (vgl. Abbildung 1, auch für Erläuterungen zu Annahmen und Simulationsmodell). Die Effekte von Pandemie und Shutdown des öffentlichen Lebens sind derzeit noch nicht voll absehbar.

In der Gemeinschaftsdiagnose vom Frühjahr 2020 rechnen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mit einem heftigen, aber kurzen Einbruch von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr, anschließend aber mit einer raschen Erholung. Folgt man dieser vorläufigen Einschätzung, ergeben sich Auswirkungen auf die Rentenfinanzen vorwiegend in den allernächsten Jahren (vgl. erneut Abbildung 1). Allerdings erzeugt dies bleibende Effekte für das Rentenniveau, die den erwarteten Anstieg der Beitragssätze dauerhaft verstärken.2 Wenn die durchschnittlichen beitragspflichtigen Löhne der aktiven Versicherten 2020 wegen Kurzarbeit, unbezahltem Urlaub etc. sinken, verhindert eine „Schutzklausel“, dass die Renten ein Jahr später ebenfalls entsprechend vermindert werden. Dagegen wurde die Anwendung eines „Ausgleichsfaktors“, der die Rentenanpassungen dämpft, sobald die Löhne wieder steigen, im Kontext der Rentenreform 2018 bis 2026 ausgesetzt. Durch Korrektur dieser Sonderregelung, die nicht für die jetzige Krisensituation gemacht war, ließen sich die Langfristeffekte jedoch vollständig neutralisieren.

Dass die Rentenkommission Entscheidungen über Reformen bei der Alterssicherung faktisch vertagt hat, mag angesichts der aktuellen Unsicherheit über die unmittelbaren Zukunftsperspektiven akzeptabel erscheinen. Trotzdem ist es bedauerlich, dass sich Vertreter einer „großen“ Koalition in Beratungen, die fast zwei Jahre dauerten, nicht über grundlegende Weichenstellungen für die Zukunft einigen konnten. Die im Bericht der Kommission (2020) angedachte Strategie, die derzeit geltenden „Haltelinien“ für Sicherungsniveau und Beitragssatz der GRV nach 2025 in modifizierter Form beizubehalten, ist nicht finanzierbar.

Spielräume für eine stärkere Finanzierung der Rente aus Steuermitteln hätten dafür auch bei anhaltend günstiger Wirtschaftsentwicklung nicht lange ausgereicht. Im Rahmen der Krisenbewältigung und des Neustarts der wirtschaftlichen Aktivität schmelzen sie nun weitgehend dahin, da sich der Schuldenstand des Bundes aktuell sprunghaft erhöht und dauerhaft weniger günstig entwickeln wird als gedacht.

Die Perspektiven für den bevorstehenden demografischen Alterungsprozess bleiben angesichts der Krise dagegen tendenziell unverändert. Selbst eine vorübergehend erhöhte Sterblichkeit der „Risikogruppe“ Hochbetagter macht diesbezüglich aus heutiger Sicht keinen messbaren Unterschied. Höchstens ist zu fragen, ob für die Zukunft weiterhin mit einer anhaltend hohen Zuwanderung zu rechnen ist, die die Anspannung der Rentenfinanzen spürbar mildern kann.

Ebenso unverändert bleiben aber auch die Lösungsansätze, mit denen sich den Effekten des demografischen Wandels für die Alterssicherung nachhaltig begegnen lässt. Eine rasche Rückkehr zu günstigeren Entwicklungen von Bevölkerung, Erwerbsbeteiligung und Beschäftigung ist eine wichtige Vorbedingung, um den Druck auf die umlagefinanzierte GRV zu mildern. Einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung von Sicherungsniveau und Beitragssätzen des Systems verspricht eine weitere Anhebung des Rentenalters nach 2030 – etwa mit einer automatischen Regelbindung an die Lebenserwartung wie in Dänemark –, die sich in der Rentenkommission als zentraler Streitpunkt erwies.

Zugleich muss der Ausbau ergänzender, kapitalgedeckter Altersvorsorge, der in Deutschland 2002 zu halbherzig begonnen wurde, klar vorangetrieben werden – zum Beispiel auf betrieblicher Basis oder auch in staatlicher Regie, nach schwedischem Vorbild. Zwar haben die globalen Aktienmärkte in der aktuellen Krise stark nachgegeben. Zahlreiche Studien belegen aber, dass breit gestreute Aktienfonds über lange Anlagezeiträume für die Altersvorsorge selbst bei solchen Schwankungen keine Verluste erzeugen, sondern erhebliche Renditechancen bieten.3 Bei guter Finanzlage hätte der Staat den Ausbau ergänzender Altersvorsorge unterstützen können4. Welche Spielräume dafür demnächst noch vorhanden sind, ist wohl neu zu prüfen. Wenn es darum geht, in den Übergang zu einer zukunftsfesten Alterssicherung zu investieren, statt strukturelle Schwächen des bestehenden Systems zu überdecken, ist dies aber weiterhin erwägenswert.

Mit der Stabilisierung des Umlagesystems und einem Ausbau ergänzender Vorsorge kann – spät, aber nicht zu spät – eine zeitlich gestaffelte Umschichtung zwischen den verschiedenen Säulen der Alterssicherung erreicht werden. Wenn sie gelingt, lassen sich mit der Zeit auch die Regeln zur Rentenanpassung neu justieren. So könnte der Nachhaltigkeitsfaktor langsam erhöht werden oder, wie in Österreich, eine etwas großzügigere Rentenbemessung mit einer reinen Preisindexierung der laufenden Renten kombiniert werden. Angesichts der Stärke des demografischen Alterungsprozesses lässt sich ein solcher Übergang nicht ganz ohne Härten vollziehen. Dies betrifft vor allem Personen mit lückenhaften Erwerbsbiografien, die in wachsendem Maße von Altersarmut bedroht sind. Hierfür gibt es aber gezieltere und daher auch günstigere Antworten als die von der Bundesregierung weiterhin geplante „Grundrente“, die administrativ enorm aufwendig ist, an tatsächlichen Armutsrisiken aber weitgehend vorbeigeht.

1 vgl. Abbildung 1 sowie Werding 2020
2 vgl. Börsch-Supan und Rausch 2020
3 vgl. etwa Bucher-Koenen et al. 2019, im Auftrag der Verbraucherzentralen
4 vgl. etwa das von Fuest et al. 2019 entwickelte Konzept eines „Bürgerfonds“

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Autor:

Prof. Dr. Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum, Fellow des interna-tionalen CESifo Research Network und Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz.

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