20 Jahre Euro: Was wir lernen können
Der Euro hat Anfang des Jahres seinen 20. Geburtstag begangen. Zum Jahreswechsel 1999 wurden die Wechselkurse der Währungen zwischen den damaligen zwölf Mitgliedstaaten unwiderruflich festgelegt, die Währung Euro dann drei Jahre später eingeführt. Inzwischen zählt der Euroraum 19 Mitglieder. Ein Rückblick auf die ersten zwei Jahrzehnte der Europäischen Währungsunion (EWU) erfordert eine differenzierte Bewertung. Ein Blogpost über die wesentliche Meilensteine und Lehren. // (Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Europa macht stark“.)
Die EWU wurde aus wirtschaftlicher Perspektive aus verschiedenen Gründen eingeführt, von denen einige beispielhaft hier zu nennen sind:
- Die Transaktionskosten des Währungstausches sollten ebenso wegfallen wie die Wechselkursrisiken im Handel der Partnerländer. Gerade die deutsche Wirtschaft hatte zuvor und vor allen in den 1990er Jahren noch stark darunter gelitten, dass die D-Mark immer wieder plötzlich und stark aufgewertet hatte.
- Der Euro hat zum Ziel, den Handel zwischen den Partnerländern zu fördern. Verschiedene Studien kommen hier aufgrund unterschiedlicher Methoden und Datensätze zu unterschiedlichen Ergebnissen. Methodisch belastbare Studien, die auf möglichst viele Daten zurückgreifen, ermitteln einen sehr beachtlichen Anstieg des Intra-EWU-Handels von um die 50 Prozent (Rose, 2016).
- Mit der Schaffung der Europäischen Zentralbank (EZB) nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank sollte Preisstabilität im ganzen Euroraum Einzug halten. Die anfängliche These vom Teuro hat sich nicht gehalten: Die Inflation in Deutschland lag in den zwei Dekaden seit der Euro-Einführung lediglich bei rund 1,4 Prozent im Jahresdurchschnitt, in den 20 Jahren vor 1999 waren es noch rund 2,9 Prozent. Auch die Öffnung der Geldschleusen durch die EZB und die starken Zinssenkungen seit dem Jahr 2008 haben bislang nicht zu der zuweilen befürchteten Hyperinflation bei den Verbraucherpreisen geführt. An den Finanz- und Immobilienmärkten gibt es allerdings durchaus gewisse Überhitzungstendenzen.
- Vor allem Südeuropa, wo es zuvor an Preisstabilität mangelte, konnte in Sachen Geldpolitik mit dem Übergang von nationalen Notenbanken auf die EZB Glaubwürdigkeit importieren und so von deutlich niedrigeren Zinsen (und Risikoprämien) profitieren. Das machte dort in der ersten Euro-Dekade Kredite deutlich billiger. Binnenwirtschaft und Immobilienmärkte wurden so beflügelt.
Damit wurde aber der Keim für die kommende Krise gelegt (Matthes et al., 2016). Denn in den durch die großen Zinssenkungen angeheizten Wirtschaften entstand nicht der in einer Währungsunion erhoffte Reformdruck. Stattdessen nahm die private Verschuldung stark zu. Vor allem Spanien, Griechenland und Portugal lebten weit über ihre Verhältnisse und auf Pump. Sie konsumierten mehr als sie produzierten und importierten weit mehr als sie exportierten, was sich in hohen Leistungsbilanzdefiziten ausdrückte. Die Finanzmärkte und vor allen die Banken in Nordeuropa heizten diese Entwicklung noch an, indem sie trotz sich abzeichnender Gefahren weiter kräftig Kredite an die südeuropäischen Staaten vergaben. Zugleich stiegen in einigen nordeuropäischen Ländern (auch in Deutschland) die Leistungsbilanzüberschüsse. Damit entstanden gefährliche Risiken und nicht nachhaltige Ungleichgewichte im Euroraum, die schließlich maßgeblich zur Tiefe und Länge der Euro-Schuldenkrise ab 2010 beitrugen.
Die Folgen dieser Krise waren auch deshalb so gravierend, weil es kurz zuvor in den Jahren 2008/2009 zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen war, die die Widerstandskraft Südeuropas stark geschwächt hatte. Spanien beispielsweise hatte schnell ein großes Konjunkturpaket geschnürt und konnte dann in der zweiten Krise nicht mehr viel zusetzen, sondern musste vielmehr in die Krise hinein sparen. Auch Italien, das einen starken Anstieg der privaten Verschuldung vermieden hatte, wurde durch die so genannte Double-Dip-Rezession hart getroffen. Mit dem Einbruch des Wachstums stieg die Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten auf erschreckende Höhen, was die sozialen Kosten der Krise weiter steigen ließ.
Allerdings lag in der Krise auch eine Chance. Der Reformdruck machte es nötig, Lücken in der institutionellen Architektur der EWU zu schließen. Das gilt vor allem für die Schaffung des Euro-Rettungsschirms ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus). Er vergibt Hilfsdarlehen an Länder, denen der Finanzmarkt – möglicherweise als Folge überzogener Nervosität – keine Kredite mehr gewährt. Weil damit Reformzwänge und ein partieller Souveränitätsverlust verbunden sind, ist dies keine Einladung zu fiskalischem Schlendrian. Zudem wurde eine Bankenunion gegründet, deren wesentliche Eckpfeiler eine einheitliche Finanzaufsicht und ein Bankenabwicklungsmechanismus ist. Auch die Krisenländer führten wichtige Strukturreformen durch, bauten ihre Leistungsbilanzdefizite immer weiter ab und konsolidierten ihre Staatshaushalte mit moderatem Tempo (Matthes, 2015). Mit diesen Reformen wurden sie den nordeuropäischen Staaten ähnlicher und sind damit besser für die Zwänge einer Währungsunion gerüstet. Doch erst das Eingreifen der EZB im Spätsommer 2012 konnte die Krise endgültig beruhigen.
Die Bilanz nach der Krise ist dennoch getrübt. Der Euroraum kann auf einen langen und anhaltenden Aufschwung zurückblicken, auch auf dem Arbeitsmarkt. Damit gelang es, die saisonbereinigte Arbeitslosenquote mit 7,7 Prozent im März 2019 wieder auf den Stand vor der Lehman-Krise zurückzuführen. Auch vormalige Krisenländern wie Spanien und Portugal schafften es, durch die Reformen auf den Wachstumspfad zurückzufinden und die hohe Arbeitslosigkeit nach und nach deutlich zu senken.
Doch teilweise haben neue Regierungen in den Krisenländern die Reformen wieder partiell zurückgedreht. Das gilt auch für Italien, wo die lange Wirtschaftskrise eine populistische Regierung an die Macht gespült hat, die die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) mit Füßen tritt (Busch/Matthes, 2019). Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil die Staatsverschuldung im Zuge der beiden Krisen stark gestiegen ist. In Deutschland und in anderen zumeist nordeuropäischen Staaten konnte sie zwar wieder merklich gesenkt werden. Auch in Portugal ist die öffentliche Schuld von rund 131 Prozent des BIP im Jahr 2014 auf rund 122 Prozent des BIP gesunken. Doch in Italien (131 Prozent des BIP) und Griechenland (183 Prozent des BIP) blieb sie auch zuletzt anhaltend hoch. Vor allem Italien ist damit aufgrund seiner Größe zu einem Risiko für die Finanzstabilität im Euroraum geworden. Weitere finanzielle Risiken für Deutschland und Nordeuropa schlummern im EZB-Zahlungssystem TARGET2. Damit ist auch ein weiteres Krisenvermächtnis verbunden: eine gestiegene politische Spaltung in der EWU. Südeuropa fühlt sich durch den Reform- und Regelzwang gegängelt und Nordeuropa hat Sorge, im Zuge einer Transferunion zur Kasse gebeten zu werden.
Beim Blick nach vorn stellt sich die Frage, welche weiteren Reformen nötig, sinnvoll und realistisch sind (Matthes et al., 2016).
- Viel wird derzeit diskutiert über einen fiskalischen Stabilisierungsmechanismus auf Euro-Ebene, beispielsweise in Form eines Schlechtwetterfonds oder einer gemeinsamen Arbeitslosigkeits-Rückversicherung. Doch der Euro-Gipfel im Dezember 2018 hat sich gegen einen solchen Schritt ausgesprochen, obwohl Frankreich mit deutscher Unterstützung dafür geworben hatte. In vielen nordeuropäischen Staaten ist die Sorge zu groß, dass mit einer weiteren Vergemeinschaftung von Risiken Reformanreize gemindert und letztlich die Tür für eine Transferunion aufgestoßen werden könnte.
- Auch Überlegungen für eine gemeinsame Einlagensicherung im Bankensystem wurden erneut abschlägig beschieden und vertagt.
- Stattdessen sollen zurecht mehr Anreize für Reformen gesetzt und die Konvergenz im Euroraum durch zukunftsgerichtete Investitionen (u.a. in Forschung) gefördert werden. Bei der Umsetzung steckt der Teufel aber wie so oft im Detail. Denn Doppelstrukturen mit den EU-Kohäsions- und Regionalfonds sollten vermieden werden.
- Schließlich geht es darum, die Regeln des SWP so zu stärken, dass ein nachhaltiger Schuldenabbau gelingt und die Euroländer in guten Zeiten Puffer für die nächste Krise anlegen. Das ist nicht einfach in einer Welt der zunehmenden Europaskepsis, in der Brüssel und auch Berlin immer wieder davor zurückschrecken, Sanktionen zu verhängen, um populistische Parteien in den betroffenen Ländern nicht noch weiter zu stärken.
Weiterführende Quellen:
Busch, Berthold / Matthes, Jürgen, 2019, Der Kurs der Regierung schadet Italien, in: ifo-Schnelldienst, 72. Jg, Heft 1, S. 6-9
Rose, Andrew, 2016, Why estimates of the trade effects of the Eurozone vary so much, Vox.EU Kolumne, https://voxeu.org/article/why-estimates-trade-effects-eurozone-vary-so-much, [03-05-2019]
Matthes, Jürgen, 2015, Krisenländer: Relevanz von Strukturreformen für Wachstum und Währungsraum, in: Wirtschaftsdienst, Bd. 95, Nr. 2, S. 106-113 https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs10273-015-1786-y.pdf [03-05-2019]
Matthes, Jürgen / Iara, Anna / Busch, Berthold, 2016, Die Zukunft der Europäischen Währungsunion – Ist mehr fiskalische Integration unverzichtbar?, IW-Analysen, No. 110, Köln, https://www.iwkoeln.de/_sto-rage/asset/316627/storage/master/file/11848572/download/IW-Analyse_110_2016_Die_Zukunft_der_Eu-ropaeischen_Waehrungsunion.pdf [03-05-2019]
Alle Folgen der Serie „Europa macht stark“ lesen.
Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook, Instagram und Twitter, und abonnieren Sie unseren WhatsApp-Nachrichtenkanal, RSS-Feed oder einen unserer Newsletter.
Autor:
Jürgen Matthes ist Senior Economist beim Institut der deutschen Wirtschaft und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den ökonomischen Aspekten der Globalisierung.