1 Jahr Rente mit 63: der rentenpolitische Bärendienst der Bundesregierung
Herzlichen Glückwunsch? Ein Jahr nach Einführung des Rentenpakets mit der abschlagsfreien Rente ab 63 stagniert die Entwicklung der Arbeitsmarktbeteiligung der über 63-Jährigen erstmals seit 6 Jahren wieder.
Ein Jahr nach der Einführung gibt es erste Zahlen zu den Auswirkungen der Rente mit 63 auf den Arbeitsmarkt. Sie geben Anlass zur Sorge. Bis Ende April zählte die Deutsche Rentenversicherung 300.000 Anträge auf die abschlagsfreie Frühverrentung. Gleichzeitig meldet die Bundesagentur für Arbeit, dass von Juni 2014 und März 2015 die Zahl der Beschäftigten zwischen 63 und 65 Jahren um rund 39.000 oder 8 Prozent gesunken ist. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil dies einer Zäsur gleich kommt: Der stetige Anstieg der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer wurde durch die Einführung der Rente mit 63 beendet.
Vor allem Fachkräfte aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) gehen vorzeitig in den Ruhestand, da viele die 45 Beitragsjahre erreicht haben. Gerade diese Fachkräfte sind aber besonders gefragt, da es ohnehin nicht genügend Arbeitskräfte mit einer solchen Ausbildung gibt.
Diese Zahlen offenbaren den ganzen rentenpolitischen Widerspruch der jüngsten Vergangenheit. 2007 führte eine schwarz-rote Bundesregierung die Rente mit 67 ein – angesichts der steigenden durchschnittlichen Lebenserwartung und dem einbrechenden Rentenbeitragsaufkommen ein konsequenter Schritt. Mit Erfolg, wie grundsätzlich der Anstieg der Beschäftigung belegt. Die jetzige Neuauflage der Großen Koalition lobt die „Erfolgsgeschichte der steigenden Beteiligung Älterer am Erwerbsleben“ in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich – und versichert, diese fortschreiben zu wollen. Wenige Sätze später folgt dann die Zusicherung, dass Arbeitnehmer mit mindestens 45 Beitragsjahren ab einem Alter von 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen können.
Während die Lebenserwartung steigt, immer mehr Menschen immer länger Rente beziehen und immer weniger Beitragszahler diese Last schultern müssen, verpasste die Bundesregierung der dringend nötigen Anpassung der Lebensarbeitszeit einen herben Rückschlag. Die Folge: sinkende Beitragseinnahmen der Rentenkassen, gleichzeitig steigende Ausgaben und ein größer werdender Fachkräfteengpass. Zahlen müssen das die Versicherten mit langfristig höheren Beitragssätzen.
Die Rente mit 63 privilegiert eine kleine Gruppe von ohnehin weit überdurchschnittlich gut Versorgten und widerspricht allen Erkenntnissen, die wir über den demografischen Wandel haben. Diesen Fehler, der vor einem Jahr in Kraft trat, werden wir noch lange bezahlen müssen.
Autor:
Holger Schäfer ist Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit beim Institut der deutschen Wirtschaft.