SOS – Q&A zur Kampagne
Die deutsche Wirtschaft ist in Gefahr – Übertrieben und alles nicht so schlimm? Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, die Wirtschaft ist in einer wahrnehmbaren Rezession, Unternehmen streichen immer mehr Stellen und Wachstum ist weit und breit nicht in Sicht. Der Abschwung ist spürbar. Zeit für Fragen und Antworten, um allen Beteiligten die Augen zu öffnen (Stand: 12/2024).
Aber der DAX hat doch einen Rekord nach dem anderen?
Der DAX hat erstmals die Marke von 20.000 Punkten überschritten, obwohl die deutsche Wirtschaft schwächelt. Der Grund: Die großen börsennotierten Konzerne in Deutschland sind nur noch wenig vom Heimatmarkt abhängig. Eine Auswertung der Segmentberichte der letzten 20 Jahre zeigt, dass sich die inländischen Umsatzanteile der DAX-Unternehmen etwa halbiert haben und im Durchschnitt nur noch bei 15,3 % liegen. Selbst kleinere Unternehmen im SDAX erwirtschaften nur noch 29 % ihrer Umsätze in Deutschland.
Gleichzeitig haben sich auch die Produktionsmittel der Konzerne internationalisiert. Während bei DAX-Unternehmen nur noch 29 % der Assets in Deutschland investiert sind, bleibt die Abhängigkeit bei MDAX- und SDAX-Firmen größer – etwa die Hälfte der Wertschöpfung erfolgt weiterhin im Inland. Dies macht kleinere Unternehmen anfälliger für die Standortnachteile Deutschlands wie hohe Energiepreise, Fachkräftemangel oder Bürokratie. Kurzum: Die im DAX gelisteten 40 internationalen Großkonzerne machen den ganz überwiegenden Teil ihrer Umsätze und erst recht ihrer Gewinne außerhalb Deutschlands. Deshalb sagt ihre Börsenbewertung so gut wie nichts über die Lage des Standorts Deutschland aus.
Aber wir hatten doch im letzten Quartal leichtes Wachstum?
Das stimmt nicht ganz – im Vergleich zum Vorjahresquartal war das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 3. Quartal 2024 um 0,1 % höher. Allerdings zeigt ein genauerer Blick, dass die Lage ernst bleibt: Preis- und kalenderbereinigt sank das BIP um 0,3 %, da ein zusätzlicher Arbeitstag das Ergebnis statistisch verzerrt. Für das Gesamtjahr 2024 erwartet die Bundesregierung ein negatives Wachstum von -0,2 %, nachdem die Wirtschaft bereits 2023 um 0,3 % geschrumpft ist. Die deutsche Wirtschaft befindet sich damit in einer anhaltenden Krise. Hohe Kosten, strukturelle Probleme und eine schwache Konjunktur belasten das Wachstum nachhaltig
Aber für nächstes Jahr wird doch wieder Wachstum prognostiziert?
Für das kommende Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 0,1 % (IW, Dezember 2024) prognostiziert, also faktisch Stagnation. Diese Einschätzung basiert auf zahlreichen Variablen, und in der Vergangenheit lagen solche Prognosen oft daneben. Dennoch sollten uns weniger die kurzfristigen BIP-Wachstumsprognosen Sorgen bereiten als die langfristige Entwicklung des Potenzialwachstums.
Das Produktionspotenzial beschreibt die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft bei normaler Auslastung der Produktionsfaktoren, also die konjunkturbereinigte, strukturelle Wirtschaftsleistung. In den kommenden Jahren wird das Wachstum des Produktionspotenzials vor allem durch die strukturellen Versäumnisse in der Wirtschaftspolitik gebremst. Bis 2028 soll die Wachstumsrate auf nur noch 0,5 % pro Jahr sinken.
Das zeigt: Wenn wir die strukturellen Probleme nicht jetzt angehen, droht Deutschland auch in Zukunft bestenfalls ein Minimalwachstum.
Aber die Energiepreise sind doch wieder wie vor dem Krieg?
Die Energiepreise in Deutschland sind seit Beginn des Ukraine-Kriegs zwar wieder etwas gesunken. Dennoch hatte Deutschland im März dieses Jahres (laut den aktuellen verfügbaren Daten) mit 0,227 Euro pro kWh einen der höchsten Industriestrompreise weltweit. Im Vergleich dazu zählen führende Wirtschaftsnationen wie die USA (0,138 Euro/kWh), Frankreich (0,168 Euro/kWh) oder China (0,083 Euro/kWh) deutlich weniger. Das verschafft ihnen erhebliche Standortvorteile, insbesondere für die energieintensive Industrie. In Deutschland hängen Millionen Arbeitsplätze direkt von dieser Branche ab, was die Dringlichkeit für wettbewerbsfähige Energiekosten unterstreicht.
Aber wir haben doch fallende Preise?
Nein, wir haben keine fallenden Preise. Die Inflationsrate ist bis September dieses Jahres zwar gesunken, das bedeutet jedoch lediglich, dass die Preise langsamer gestiegen sind – nicht, dass sie gefallen sind. Ein Betrag mit dem Wert von 1.000,00 Euro zu Beginn des Jahres 2022 hätte zu Beginn des Jahres 2024 noch eine Kaufkraft von 883,34 € unter Annahme der tatsächlichen Inflation in Deutschland. Seit September ist die Inflationsrate wieder gestiegen: Wenn wir von einer Inflationsrate von 2,2 % (Gemeinschaftsdiagnose, 26. September 2024) für das Gesamtjahr 2024 ausgehen, hätten die 1.000 Euro aus 2022 Ende dieses Jahres noch einen Wert von 863,91 Euro.
Aber wir haben doch noch immer niedrige Arbeitslosigkeit und viele offene Stellen?
In Deutschland sind in 2024 2,79 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet – so viele wie seit 2015 nicht mehr. Auch das ifo Beschäftigungsbarometer ist inzwischen auf dem niedrigsten Stand seit 2020.
Damit erleben wir trotz wirtschaftlicher Schwäche eine paradoxe Situation: Steigende Arbeitslosigkeit, während gleichzeitig aber auch viele offene Stellen in bestimmten Branchen unbesetzt bleiben. Hauptursachen sind der Fachkräftemangel und der demografische Wandel, die zu einer Verknappung qualifizierter Arbeitskräfte führen. Regionale und branchenspezifische Unterschiede verstärken das Problem: Während z. B. IT- und Pflegeberufe Fachkräfte suchen, bauen andere Branchen wie die Automobilindustrie Stellen ab. Zudem wirken konjunkturelle Veränderungen zeitverzögert, da Unternehmen in unsicheren Zeiten oft kein neues Personal einstellen, um flexibel zu bleiben. Doch auch hier sieht man bereits den Beginn der sich drehenden Abwärtsspirale durch die zahlreichen Bekanntmachungen von Stellenabbau in wichtigen deutschen Unternehmen. Maßnahmen wie Kurzarbeit stabilisieren den Arbeitsmarkt kurzfristig, lösen jedoch nicht die strukturellen Herausforderungen. Langfristig sind gezielte Weiterbildungsprogramme und Fachkräftezuwanderung entscheidend, um die Arbeitsmarktdynamik zu stabilisieren