Die hohen unbekannten CO2-Vermeidungskosten ordnungsrechtlicher Klimaschutzmaßnahmen
Empirische Beispiele aus Deutschland und Europa
Nicht erst in der aktuellen Debatte wird die Frage diskutiert, durch welche politischen Maßnahmen der CO2-Ausstoß möglichst marktwirtschaftlich sinnvoll — und damit günstig — reduziert werden kann. In seiner aktuellen Studie untersucht Prof. Dr. Manuel Frondel gängige Vorschläge.
Eine effektive und kosteneffiziente Klimaschutzpolitik sollte sich nach Ansicht von Ökonomen hauptsächlich auf den Preismechanismus und den Emissionshandel stützen, da ordnungsrechtliche Maßnahmen oft zu hohen, intransparenten Kosten führen. Der EU-Emissionshandel existiert seit 2005, deckt derzeit aber nur wenige Sektoren ab, während in anderen Bereichen, wie dem Verkehrs- und Gebäudesektor, häufig auf Einzelmaßnahmen durch Vorschriften wie Emissionsstandards oder Tempolimits gesetzt wird. Diese verursachen (Opportunitäts-) kosten und sind dadurch oft mit hohen impliziten CO2-Preisen verbunden.
Untersucht werden:
1. Die potenziellen Vermeidungskosten eines generellen Tempolimits auf Autobahnen
2. Der CO2-Preis durch die Förderung der Elektromobilität inkl. durch den Verzicht auf die Kraftfahrzeug- und weiterer Steuern
3. Der implizite CO2-Preis durch geltende EU-Emissionsstandards für Pkw
4. Die impliziten CO2-Preise durch Fördermaßnahmen für regenerative Stromerzeugungstechnologien wie Windkraft an Land und Photovoltaik auf Basis des EEG
5. Die Vermeidungskosten des Kohleausstiegs in Deutschland
Die wichtigsten Ergebnisse
1. Tempolimit
Deutschland ist eines der wenigen Länder ohne allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, während in anderen EU- und OECD-Ländern meist ein Limit von 100-130 km/h gilt. Studien des Umweltbundesamts zeigen, dass ein Tempolimit von 120 km/h rund 4,7 Mio. Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen könnte. Trotzdem bleibt die empirische Evidenz über die genauen Wirkungen eines Tempolimits begrenzt. Gleichzeitig entstehen Kosten durch längere Fahrtzeiten und entgangene Freizeit- oder Arbeitsstunden, sodass die Maßnahme auch aus Kostensicht betrachtet werden muss.
Legt man Opportunitätskosten von 15 Euro/h zugrunde, ergibt sich ein Preis von 203 Euro pro Tonne eingespartem CO2.
2. Förderung der Elektromobilität
Zur Förderung des Verkaufs von Elektroautos führte die deutsche Politik 2016 eine Kaufprämie ein, die bis 2023 rund zehn Milliarden Euro kostete. Der staatliche Anteil lag zuletzt bei bis zu 4.500 Euro, abhängig vom Preis des Fahrzeugs, wobei Autohersteller denselben Betrag als Rabatt gewährten. Trotz Abschaffung dieser Prämien bleibt Elektromobilität durch Steuervorteile begünstigt, wie etwa der Wegfall der Kfz-Steuer für bis zu zehn Jahre und niedrigere Energiesteuern im Vergleich zu Benzin und Diesel.
Daraus ergeben sich berechnete Vermeidungskosten von über 1.000 Euro pro Tonne. Eine Rechtfertigung der Förderung der Elektromobilität mit klimapolitischen Motiven fällt angesichts derart hoher Vermeidungskosten sehr schwer.
3. Emissionsstandards bei Neufahrzeugen
Die EU führte 2009 strenge CO₂-Emissionsstandards für Pkw ein, die kontinuierlich verschärft wurden, um die Energieeffizienz zu steigern. Diese Regeln zwingen Autohersteller, ihren Flottenausstoß bis 2030 um 55 Prozent zu senken, bei hohen Strafen für Verstöße. Kritiker sehen jedoch Nachteile: Effizienzstandards könnten durch Rebound-Effekte teils wirkungslos werden und erhöhen implizit die CO₂-Vermeidungskosten. Zudem könnten sie die Einführung alternativer Technologien wie synthetische Kraftstoffe behindern und sind weniger effizient als Kraftstoffsteuern. Mit dem neuen EU-Emissionshandelssystem ab 2027 droht eine Doppelregulierung, was die Effektivität der Marktmechanismen schwächen könnte.
Für ein realistischeres Szenario mit einer Lebensdauer von 100.000 Kilometern wären die impliziten CO₂-Vermeidungskosten dann 950 Euro pro Tonne. Bei einer Lebensdauer von 200.000 Kilometern halbiert sich dieser Betrag auf 475 Euro pro Tonne.
4. Ausbau der regenerativen Stromerzeugung
Der Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland wird hauptsächlich zur Senkung von Treibhausgasemissionen gerechtfertigt, hat aber hohe Vermeidungskosten von bis zu 150 Euro pro Tonne CO₂. Diese Kosten übersteigen die Preise für Emissionszertifikate im EU-Emissionshandel, die selten über 100 Euro liegen. Durch einen Wasserbetteffekt bewirken EEG-geförderte Einsparungen im deutschen Stromsektor keine zusätzlichen Emissionsreduktionen auf EU-Ebene, da freiwerdende Zertifikate von anderen Unternehmen genutzt werden. Während der Ausbau langfristig ambitioniertere Klimaziele ermöglichen soll, bleibt die tatsächliche Wirkung auf die EU-Emissionsreduktion gering, da Deutschlands Anteil am EU-Treibhausgasausstoß relativ klein ist. Historisch waren die CO₂-Vermeidungskosten durch Photovoltaik besonders hoch und lagen bei bis zu 600 bis 1.000 Euro pro Tonne.
5. Kohleausstieg
Die Kohlekommission empfahl 2010, die Kohleverstromung in Deutschland bis 2038 zu beenden, was im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz festgeschrieben wurde. Damit müssen 42,6 GW Kohlekraftwerke stillgelegt werden, die 2017 fast 37 % des Stroms lieferten. Bis 2030 sollen die Kapazitäten auf 9 GW Braunkohle und 8 GW Steinkohle reduziert werden, ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Der Kohleausstieg wurde durch den russischen Angriff auf die Ukraine verzögert, wodurch 2024 noch 26,6 GW am Netz waren. Entschädigungen an Betreiber wie RWE und LEAG summieren sich auf 4,35 Milliarden Euro, und weitere 0,8 Milliarden Euro werden für Steinkohle-Stilllegungen benötigt.
Die Sicherheitsbereitschaft für Braunkohlekraftwerke wurde eingeführt, um CO₂-Emissionen zu senken, kostete jedoch rund 1,65 Milliarden Euro und erzielte keine EU-weiten Emissionsminderungen wegen des EU-Emissionshandels. Durch die Marktstabilitätsreserve von 2019 wird der Effekt gemildert, da nur 76 % der freiwerdenden Zertifikate aufgekauft werden können.
Die CO₂-Vermeidungskosten des Kohleausstiegs lassen sich nicht einfach quantifizieren, da der sogenannte „Wasserbetteffekt“ in Kombination mit dem EU-Emissionshandel dafür sorgt, dass die tatsächlich eingesparten globalen Emissionen durch den Ausstieg oft gegen Null tendieren. Das bedeutet, dass die Vermeidungskosten in Fällen, wo es zu keinerlei Emissionsreduktion kommt, theoretisch unendlich hoch wären.
Dennoch kann man die direkten Kosten des Kohleausstiegs auf nationaler Ebene betrachten. Bisher wurden 5,8 Milliarden Euro an Entschädigungszahlungen für den Kohleausstieg vorgesehen (4,35 Milliarden Euro für die Hauptbetreiber RWE und LEAG sowie 1,65 Milliarden Euro für die Sicherheitsbereitschaft). Geht man von einem nationalen Minderungspotenzial von 12,5 Millionen Tonnen CO₂ im Rahmen der Sicherheitsbereitschaft aus, ergibt sich ein CO₂-Preis von rund 464 Euro pro Tonne allein für diese Maßnahme.
Eine Alternative wäre gewesen, Zertifikate direkt aufzukaufen und zu vernichten. Dies hätte Emissionsminderungen ohne die negativen Effekte des Kohleausstiegs ermöglicht und wäre kosteneffizienter gewesen, da der Staat keine Entschädigungszahlungen leisten müsste. Jedoch bevorzugte die Politik den symbolischen Kohleausstieg, um den Willen zur Emissionsreduktion zu demonstrieren. Ein marktgetriebener Ausstieg durch CO₂-Preise hätte möglicherweise dasselbe erreicht, jedoch zu niedrigeren Kosten.
Fazit
Die Studie zeigt, dass keine bisher eingeführte oder diskutierte Einzelmaßnahme zu einem günstigeren oder effizienteren Ergebnis gekommen ist als ein effektiv angewandter Emissionshandel.
Autor:
Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.