Die Gästelandschaft in Polittalkshows bei ARD und ZDF 2023
Wenn Will, Illner, Maischberger und Klammroth über Wirtschaft sprechen, sprechen sie meist NICHT mit der Wirtschaft. Das zeigt eine Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), welche die Gästelandschaft deutscher Polittalkshows in Sendungen mit wirtschaftlicher Thematik untersucht hat.
Die Relevanz der Untersuchung ergibt sich aus den Programmgrundsätzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit mit einer Vielfalt von Meinungen vermitteln soll. Das gilt auch für Polittalkshowformate. Das Ziel ist, einen facettenreichen Diskurs zu ermöglichen. Dem Programmgrundsatz entsprechend müssen in Sendungen mit Wirtschaftsthematik auch Vertreter der Wirtschaft Gehör finden. Die INSM-Studie ermittelt, inwieweit die Sichtweise von Unternehmen und der Wirtschaft in Polittalkshows eingebunden ist, wenn diese sich mit wirtschaftspolitischen Themen beschäftigen. Dafür wurden Daten aus Sendungen der Kalenderwochen 1 bis 48 aus dem Jahr 2023 erhoben, kategorisiert, in Relation gesetzt, ausgewertet und im Anschluss ein Fazit samt Handlungsempfehlung gezogen.
Zusammenfassung der Talkshowformate
Erwartungsgemäß bilden Politiker mit insgesamt 105 Auftritten (41,2 Prozent) die größte Gruppe unter den Gästen in wirtschaftspolitischen Sendungen. Überraschen mag, dass Journalisten mit starken 75 Auftritten (29,4 Prozent) schon die zweitgrößte Gruppe bilden. Worum es bei wirtschaftspolitischen Sendungen (auch, aber wesentlich) geht – die Wirtschaft – spielt nur eine kleine Nebenrolle: Vertreter von Wirtschaftsverbänden sowie Unternehmer sind jeweils nur mit zwölf von insgesamt 255 Auftritten (je 4,7 Prozent) in den Sendungen vertreten. Insgesamt liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter und somit bei 9,4 Prozent.
Den größten Gästeanteil unter den Parteien stellen CDU und CSU mit zusammen 35 Auftritten (33,7 Prozent). Von den Regierungsparteien sind bei wirtschaftspolitischen Themen mit 25 Auftritten (24 Prozent) am häufigsten die Grünen zugegen, gefolgt von der SPD mit 21 Auftritten (20,2 Prozent) und der FDP mit 17 Auftritten (16,4 Prozent). Politiker der Linken traten viermal auf (3,9 Prozent), die Freien Wähler saßen zweimal (1,9 Prozent) auf den Stühlen der Talkshowformate. Die AfD kam nicht vor.
In etwa einem Drittel der Sendungen stehen Wirtschaftsthemen im Fokus, 50 von 153 Sendungen wiesen ein entsprechendes Thema auf (32,7 Prozent). Interessanterweise saß in den 50 Sendungen, die sich mit Wirtschaft befassten, nur in 18 Fällen ein Wirtschaftsvertreter mit in der Diskussionsrunde (36 Prozent).
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Unterrepräsentanz von Wirtschaftsvertretern in Sendungen mit wirtschaftspolitischen Themen ist überraschend und erschreckend. Zugespitzt zusammengefasst: Die Talkformate reden über Wirtschaft, aber nicht mit der Wirtschaft. Ob der geringe Anteil an Wirtschaftsvertretern aus einem Mangel an Interessenten oder doch einer unausgewogenen Einladungskultur resultiert, ist unklar. Über die Ursachen lässt sich nur spekulieren. Unabhängig davon ist es dennoch empfehlenswert, den Anteil an Wirtschaftsvertretern in Sendungen mit Wirtschaftsthemen zu erhöhen, um zu mehr Meinungspluralität in den Debatten beizutragen und den Zuschauern ein ausgewogeneres Bild zu präsentieren. Neben dem Fachwissen, das in den Formaten oft von Wirtschaftswissenschaftlern eingebracht wird, können Wirtschaftsvertreter eine praktische Perspektive in die Diskussion einbringen und der Öffentlichkeit komplexe Sachverhalte verständlich vermitteln. Ganz allgemein sollten die von Wirtschaftspolitik betroffenen Anspruchsgruppen – das sind im Regelfall Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – durch mindestens einen Vertreter zu Wort kommen und ihre Interessen vertreten lassen können.