"Bundesregierung tritt auf der Stelle"
Mit dem Kabinettsbeschluss für „bessere Rechtsetzung“ will die Bundesregierung in sechs Rechts- und Lebensbereichen den Bürokratieaufwand besonders schnell abbauen. Das Urteil der Wissenschaftler des IW Köln ist ernüchternd: Aufgrund der sehr vagen Formulierung und dem Fehlen von konkreten Zielen entsteht der Eindruck, dass die Regierung beim Bürokratieabbau auf der Stelle tritt.
Basis der Bewertung
- Arbeitsprogramm für bessere Rechtsetzung, Kabinettsbeschluss vom 28. März 2012
Vorgeschichte
Die Bundesregierung hat sich kürzlich selbst ein gutes Zeugnis für die Umsetzung und Fortführung des Programms zum Bürokratieabbau ausgestellt. Ziel war die Senkung der in den Unternehmen verursachten Kosten für die Durchführung durch Bundesgesetzgebung verursachter administrativer Auflagen und Informationspflichten von 2006 bis 2011 um 25 Prozent. Diese Reduktion sollte netto, also unter Berücksichtigung neuer Auflagen, erreicht werden. Da es sich um eine reale Reduktion handelt, müssen die aktuellen Bürokratiekosten für einen Vergleich mit dem Stand von September 2006 allerdings um die zwischenzeitliche Inflation bereinigt werden. Nach Ansicht der Regierung wurde dieses Ziel unter Berücksichtigung bereits beschlossener Maßnahmen weitgehend erreicht.
Tatsächlich hat die Bundesregierung ihr Ziel einer Verringerung der Bürokratiekosten um ein Viertel allerdings verfehlt, nach Berechnungen des Normenkontrollrates (NKR) wurden bislang aufgrund von Umsetzungsproblemen und neuer Belastungen erst circa 22 Prozent Kostenreduktion erzielt. Noch schwerer wiegt, dass der Elan bei Bürokratieabbau nun zu erlahmen scheint. In seinem Newsletter vom 2. April 2012 warnt der NKR, dass aktuell geplante Gesetzesvorhaben, die ihm in den vergangenen neun Monaten zur Begutachtung vorgelegt wurden, sogar zu zusätzlicher Bürokratie im Volumen von 300 Millionen Euro führen könnten. Der NKR kritisiert zudem, dass das im März verabschiedete Regierungsprogramm zur besseren Rechtsetzung kein quantitatives Reduktionsziel für die Bürokratie mehr vorgibt.
Grundsätzlich besteht das Problem, dass der Bürokratieabbau auf Basis der Messung administrativer Kosten nach dem Standardkostenmodell bei den Unternehmen „nicht ankommt“. Eine Verringerung der Bearbeitungszeit um wenige Minuten aufgrund der Überarbeitung eines Formulars für eine Informationspflicht führt nicht zu einem gefühlten Bürokratieabbau, da die Anzahl der einzuhaltenden Regulierungen sich nicht verringert, sondern eher steigt.
Ein Beispiel hierfür ist die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien durch das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG). Die Dokumentation von Bewerbungs- und Beförderungsverfahren zur Abwehr von Klagen zählt überhaupt nicht zur gemessenen Bürokratie, da sie nicht gesetzlich gefordert ist. Trotzdem ist jedes Unternehmen gut beraten, hier zusätzlichen Aufwand zu betreiben, um im Falle eines Gerichtsverfahrens den Beweis antreten zu können, dass keine Diskriminierung erfolgte.
Was ist geplant?
In ihrem Kabinettsbeschluss vom 28. März 2012 hat die Bundesregierung ein Arbeitsprogramm beschlossen und insgesamt sechs Lebens- und Rechtsbereiche definiert, um den Bürokratieaufwand beschleunigt voranzutreiben. Die Zielschwerpunkte reichen vom
- Meldeverfahren im Bereich der sozialen Sicherung,
- der Reduzierung des Antrags- und Bearbeitungsaufwandes im Steuer- und Sozialrecht,
- der Verbesserung des elektronischen Rechnungsverkehrs zwischen Wirtschaft und Verwaltung
- bis hin zu elektronischen Zeugnissen und Verfahren bei Abgaben in der Schifffahrt.
Darüber hinaus bekundet die Bundesregierung, beim Bürokratieabbau die Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden zu intensivieren (bei Fragen der Betriebsgründung, der Beschäftigung von Arbeitnehmern, des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, der Besteuerung und Buchführung). Außerem soll ein Verfahren zur nachträglichen Überprüfung der Zielerreichung eingeführt werden.
Bewertung und Begründung
Die Wissenschaftler des IW-Köln geben dem Vorhaben 2 von 5 Sternen.
Begründung:
Auch wenn ein Arbeitsprogramm zur Fortführung des Bürokratieabbaus per se positiv zu sehen ist, erfolgt hier aufgrund der sehr vage gehaltenen Formulierungen und fehlender konkreter Ziele eine negative Bewertung. So soll der Erfüllungsaufwand in einer Reihe von Bereichen – Meldeverfahren im Bereich der Sozialversicherung, elektronischer Rechnungsverkehr und elektronische Zeugnisse – „untersucht“ werden. Gleiches gilt für Verfahrensabläufe zur Gründung von Betrieben und Beschäftigung von Arbeitnehmern.
Ende 2011 vom Kabinett beschlossene Maßnahmen wie die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist für Rechnungen von 10 auf 5 Jahre, die insgesamt eine Entlastung in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für die Wirtschaft bringen sollten, sind hingegen bislang nicht umgesetzt worden und werden auf Druck des Bundesfinanzministeriums teilweise wieder infrage gestellt. Das ELENA-Verfahren für die Einführung eines bürokratiearmen elektronischen Entgeltnachweises ist 2011 gescheitert. Mit der im Januar 2012 eingeführten „Gelangensbestätigung“, einer neuen Regelung für innergemeinschaftliche Lieferungen, wurde neue Steuerbürokratie eingeführt. Hierbei handelt es sich um ein Formular, auf dem sich Exporteure beim Empfänger ihrer Ware im EU-Ausland den Empfang bestätigen lassen müssen, um die beim Inlandsverkauf fällige Umsatzsteuer nicht zahlen zu müssen.
Im nun vorgelegten Arbeitsprogramm werden diese Probleme nicht angesprochen und keine konkreten Reduktionsziele benannt. Insgesamt ergibt sich daher der Eindruck, dass die Bundesregierung beim Bürokratieabbau eher auf der Stelle tritt, statt mutig weiter voran zu schreiten.
Der Gesetzescheck ist Bestandteil des Deutschland-Checks, eine monatlich erscheinende Dauerstudie der INSM und der WirtschaftsWoche. Insgesamt besteht der Deutschland-Check aus drei Teilen: Die Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung, einer Beurteilung neuer Gesetze und einer Umfrage unter Wirtschaftsexperten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern.