Zukunftsaufgaben ohne neue Schulden finanzierbar
Zusätzliche staatliche Investitionen von 60 Milliarden Euro pro Jahr sind unter Einhaltung der Schuldenbremse möglich. Dafür müsste die Politik entschlossen die Weichen für mehr Wirtschaftswachstum stellen und einen Teil der unnötigen oder sogar schädlichen Bürokratiekosten und Subventionen in den öffentlichen Haushalten eliminieren.
Immer wieder wird der deutschen Schuldenbremse vorgeworfen, notwendige Zukunftsinvestitionen zu behindern. Der zusätzliche Finanzbedarf für Klimaschutz, Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur und nun auch Verteidigung sei so hoch, dass er ohne höhere Schulden oder Steuern nicht finanziert werden könne, so das Argument.
Dieser Gedankengang klingt dabei so plausibel, dass kaum jemand sich die Mühe macht, Finanzierungsalternativen zu prüfen. Zwar gibt es eine ganze Reihe von Studien, die den Bedarf für Zukunftsinvestitionen abschätzen, aber den möglichen Finanzierungsstrategien dann wenig Aufmerksamkeit schenken. Daraus resultiert die reichlich vorschnelle Schlussfolgerung, dass es ohne neue Schulden oder sogar höhere Steuern nicht geht.
Es gibt ganz verschiedene denkbare Wege zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen jenseits der Neuverschuldung. Ein erster Ansatzpunkt sind Umschichtungen auf der Ausgabenseite. Natürlich kommt es hier darauf an, nicht vom Regen in die Traufe zu kommen und das Angebot an wichtigen öffentlichen Gütern und Leistungen zu reduzieren. Im Vordergrund sollte deshalb die Suche nach Einsparmöglichkeiten stehen, die sich auf Staatsausgaben beziehen, denen wenig oder kein gesamtgesellschaftlicher Nutzen gegenübersteht. Hier kommen zwei Stellschrauben in Betracht: erstens Subventionskürzungen und zweitens Einsparungen durch eine effizientere Produktionsweise im öffentlichen Sektor.
„Im Vordergrund sollte die Suche nach Einsparmöglichkeiten stehen, die sich auf Staatsausgaben beziehen, denen wenig oder kein gesamtgesellschaftlicher Nutzen gegenübersteht.“
Ein weiterer Ansatzpunkt wird in der politischen Debatte sehr oft übersehen, weil Nicht-Ökonomen dem Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen zu wenig Aufmerksamkeit schenken. In dieser statischen Welt kann man höhere Steuereinnahmen nur durch höhere Steuersätze erzielen. Die reale Welt ist nicht statisch, daher gibt es einen viel besseren Weg, nämlich über eine Politik zur Steigerung des Wirtschaftswachstums.
Ein dritter Ansatzpunkt besteht schließlich darin, Einnahmen durch den Verkauf von staatlichen Aktiva zu erzielen. Privatisierungen werden regelmäßig als „Verkauf von Tafelsilber“ kritisiert. An diesem Bild ist richtig, dass es sich bei dieser Finanzierungsart um Einmal-Operationen handelt, während eine Subventionskürzung einen dauerhaften jährlichen Finanzierungsbeitrag erbringt. Wenn die Erlöse aus einer Privatisierung aber genutzt werden, um Zukunftsaufgaben zu finanzieren und beispielsweise Humankapital zu stärken oder die Infrastruktur zu verbessern, ist die Tafelsilber-Analogie irreführend. Es würde dann ja ein Vermögensgegenstand (zum Beispiel Unternehmensanteile) eingesetzt, um ein anderes Kapitalgut (zum Beispiel ein besseres Straßennetz) zu erwerben. Ein solcher Tausch kann sehr wohl gesamtgesellschaftlich nützlich und sinnvoll sein.
Finanzierungsstrategien
So schlüssig all diese Finanzierungswege in der Theorie klingen, so geht es hier letztlich um eine quantitative Frage. Würden die skizzierten Wege ausreichen, den realistischen zusätzlichen Finanzierungsbedarf für den Bundeshaushalt abzudecken? Quantitative Abschätzungen, die sehr vorsichtig angesetzt sind und die Ergiebigkeit der genannten Finanzierungsstrategien eher niedrig ansetzen, ergeben folgendes Bild:
Finanzierungsbedarf: Zieht man die prominenten Studien zur Ermittlung des Finanzbedarfs für Zukunftsinvestitionen heran und aktualisiert diese z. B. um den Zusatzbedarf bei der Bundeswehr und berücksichtigt außerdem die in den Sondervermögen jetzt bereits vorhandenen Rücklagen, dann ergibt sich über die nächsten zehn Jahre ein jährlicher Finanzierungsbedarf von etwa 60 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt.
Beitrag von Subventionskürzungen: Viele Subventionen im Bundeshaushalt sind gut begründet und verfolgen einen nachvollziehbaren Zweck. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft differenziert über ein Ampelsystem daher die Subventionen in „grüne“, „gelbe“ und „rote“: Die „roten“ sind nicht nachvollziehbar begründet, die „gelben“ sind eher strittig und die „grünen“ sind wohlbegründet. Würde man nur ein Viertel der „roten“ und ein Achtel der „gelben“ Subventionen abbauen, wären damit jährlich 13 Milliarden Euro mobilisiert.
Beitrag von Effizienzverbesserungen: Eine Reihe von Studien haben in den letzten Jahren die Kostenstruktur für die Bereitstellung von öffentlichen Leistungen in Deutschland mit denen anderer Industrieländer verglichen. Hier zeigt sich etwa bei den allgemeinen Verwaltungs- oder den Gesundheitsausgaben ein deutlicher Effizienzrückstand Deutschlands gegenüber den Spitzenländern mit der höchsten Effizienz. Das bedeutet, dass diese Länder vergleichbare öffentliche Leistungen zu deutlich niedrigeren Kosten bereitstellen. Würde man nur für den Bundeshaushalt für wenige Felder annehmen, dass lediglich ein Drittel dieses Effizienznachteils beseitigt werden könnte, dann würde dies jährlich bereits 14 Milliarden Euro mobilisieren.
Beitrag von Wachstumspolitik: Es gibt in der Wachstumsforschung einen großen Konsens darüber, dass das deutsche Wachstum dauerhaft gesteigert werden kann, wenn es gelingt, Bildungserfolge zu verbessern, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, das Innovationssystem leistungsfähiger zu machen oder die Dynamik bei den Unternehmensneugründungen zu verbessern. Übersetzt man ein Wachstumsplus von 0,5 Prozentpunkten in zusätzliche Steuereinnahmen, würde sich nach zehn Jahren bereits ein jährliches Plus von 28 Milliarden Euro ergeben. Abgezinst auf heute schlägt dies als Finanzierungsbeitrag in Höhe von 23 Milliarden Euro zu Buche.
Privatisierungen: Hier erscheint für den Bund der potenzielle Finanzierungsbeitrag begrenzt, weil der Bund in den 1990er- und 2000er-Jahren bereits umfangreich privatisiert hat. Denkbar wären die Verkäufe der Anteile des Bundes an der Deutschen Telekom und der Deutschen Post. Nach jetzigen Bewertungen würde sich über ein Jahrzehnt hier nur ein eher geringer Finanzierungsbeitrag von 4 Milliarden Euro jährlich ergeben.
Wer jetzt mitgerechnet hat, wird feststellen, dass diese Finanzierungsbeiträge sich bereits auf etwa 55 Milliarden Euro aufaddieren und den Finanzierungsbedarf von 60 Milliarden Euro fast vollständig abdecken könnten, und das, obwohl einige der Annahmen sehr zurückhaltend formuliert worden sind.
„Vielleicht ist die Forderung nach Aufweichung der Schuldenbremse eher Ausdruck fehlender Reformbereitschaft als das Bekenntnis für eine überzeugende Finanzierungsstrategie.“
Natürlich ist all dies nur eine sehr grobe Abschätzung. Auch wären diese alternativen Finanzierungswege zum Teil mit nicht unerheblichen politischen Konflikten verbunden, weil sie zum Beispiel im öffentlichen Sektor für mehr Leistungsdruck sorgen würden.
Dennoch zeigen diese Quantifizierungen: Die Größenordnungen des zusätzlichen Finanzierungsbedarfs sind ohne Schulden finanzierbar, wenn die Politik entschlossen die Weichen für mehr Wirtschaftswachstum stellt und einen Teil der unnötigen oder sogar schädlichen Bürokratiekosten und Subventionen in den öffentlichen Haushalten eliminiert. Vielleicht ist die Forderung nach einer Aufweichung der Schuldenbremse somit ohnehin eher Ausdruck von fehlender Reformbereitschaft als das Bekenntnis zu einer überzeugenden Finanzierungsstrategie.
Dieser Blogpost ist eine Zusammenfassung der Studie: Friedrich Heinemann: „Lassen sich Zukunftsinvestitionen ohne Schulden finanzieren?„, 2022
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Autor:
Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.