Zeit für eine angebotspolitische Wende

Wachstum statt Stagflation: Vorschläge für eine Rückkehr zur Angebotspolitik.

HIER ZUR ANMELDUNG MAZZUCATO-VERANSTALTUNG

Die aktuelle Phase unerwartet hoher Inflationsraten ruft Erinnerungen an die Ölpreisschocks der 1970er hervor. Damals schien der plötzliche Anstieg der Energiepreise die Ursache einer länger anhaltenden Inflation zu sein, heute wird Ähnliches befürchtet. Zwar sinken die Inflationsraten am aktuellen Rand wieder ein wenig, aber wir dürften zumindest in diesem Jahr noch sehr weit über dem Inflationsziel der EZB bleiben. Die 1970er waren aber nicht nur eine Phase der Inflation, sondern später auch eine Phase der Stagflation. Zur Preissteigerung kam, was sehr untypisch war, eine anhaltende Wachstumsschwäche hinzu.

Ob wir heute wieder mit Stagflationsrisiken konfrontiert sind, ist in der Fachdiskussion umstritten. Insgesamt hält man eine solche Entwicklung noch für eher unwahrscheinlich, und zwar insbesondere deshalb, weil die Prognostiker ab 2024 mit einem Absinken der Inflation rechnen. Stagnation dagegen ist weiterhin ein Problem. Wenn uns die Stagflation erspart bleibt, dann wird dies voraussichtlich aufgrund sinkender Inflation passieren, aber nicht aufgrund eines stark beschleunigten langfristigen Wachstums über kurzfristige konjunkturelle Aufholphasen hinaus.

„Es ist höchste Zeit, die vergessenen Potenziale auf der Angebotsseite zu heben.“

Ähnlich wie in den 1980er-Jahren in Deutschland, den USA und dem Vereinigten Königreich aus der Stagflation heraus eine Kehrtwende zu einer wachstumsorientierten, angebotsseitigen Reformpolitik folgte, gibt es auch heute gute Gründe für eine Renaissance der Angebotspolitik. Dabei ist das Ziel nicht nur eine Überwindung der aufgrund der demografischen Entwicklung und des verlangsamten Produktivitätswachstums bestehenden Wachstumsschwäche. Auch das Risiko einer länger als erwartet wirkenden Inflationsphase kann verringert werden, indem das Produktionspotenzial ausgebaut wird. Denn die Preissteigerung ist zumindest zu einem Teil mit negativen Angebotsschocks zu erklären.

Arbeitsanreize verbessern

Was wäre also zu tun? Ein erstes Problem betrifft das Arbeitsangebot in Deutschland, das ohne weitere Gegenmaßnahmen demografisch schrumpfen wird. Neben einer notwendigen Zuwanderung von Arbeitskräften besteht in Deutschland verglichen mit anderen OECD-Ländern auch noch Spielraum, um das bereits vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser zu mobilisieren. Insbesondere die Partizipationsrate von Frauen kann noch verbessert werden, aber auch die Zahl der jährlichen Arbeitsstunden pro Kopf ist im internationalen Vergleich niedrig. Beides reagiert auf steuerliche Anreize. Die Abgabenlast auf den Faktor Arbeit ist hier bisher hinderlich, und zwar nicht nur am unteren Rand der Einkommensverteilung, sondern auch bei den qualifizierten Arbeitskräften.

Investitionen statt Konsum

Wir diskutieren in Deutschland sehr viel über öffentliche Investitionen. Ob diese substanziell wachsen sollen, ist diskutabel. Über mögliche Finanzierungsoptionen auch: Vor dem Reflex, über höhere öffentliche Verschuldung nachzudenken, sollten auch Umschichtungen von öffentlichem Konsum zu Investitionen erwogen werden. Wichtiger ist aber, dass bei dieser Diskussion die privaten Investitionen oft in den Hintergrund treten, obwohl gerade diese für die Ausweitung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials besonders wichtig sind.

Steuerlast senken

Schon hier greifen verschiedene angebotspolitische Maßnahmen ineinander. Eine Verbesserung des qualifizierten Arbeitskräftepools würde auch Investitionen ankurbeln – und umgekehrt. Es spricht aber auch viel dafür, dass eine Senkung der Körperschaftsteuer helfen würde. Die kombinierte Steuerlast aus Körperschaft- und Gewerbesteuer auf Unternehmensgewinne ist im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch. Simulationsrechnungen haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass eine Absenkung deutlich positive Investitionseffekte hätte und über eine höhere Kapitalintensität der Produktion auch die Löhne steigen lassen würde.

Bürokratie abbauen

Aber auch sonstige Investitionshemmnisse spielen eine Rolle, die man teils ohne fiskalische Kosten beseitigen könnte, oder sogar mit Einsparungen für den Staat durch Bürokratieabbau. Das Entschlacken investitionshemmender Regulierungen ist zwar ein politischer Evergreen, aber tatsächlich hat sich trotz aller Lippenbekenntnisse der Politik in der Vergangenheit hier wenig zum Guten verändert.

Wettbewerbsfähigkeit verbessern

Damit hängt eng die Standortattraktivität insgesamt zusammen. In Indizes für internationale Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert sich in den letzten Jahren die Position Deutschlands tendenziell. Das gilt für die mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital insgesamt. Sowohl in der Abgabenlast auf Arbeit als auch bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen nimmt Deutschland Spitzenplätze ein. Während die Politik sich lange eingeredet hat, dass der Status eines Hochsteuer-, Hochabgaben- und Hochregulierungslandes durch öffentliche Infrastruktur, ein stabiles Sozialsystem und hervorragende sonstige Standortbedingungen gerechtfertigt sei, gilt dies im internationalen Vergleich tatsächlich immer weniger. Will man Arbeitskräfte und Investitionen anlocken, dann wird es höchste Zeit, von der arroganten politischen Prämisse abzurücken, dass es mobile Produktionsfaktoren ohnehin nach Deutschland zieht.

Finanzen konsolidieren

Auch solide öffentliche Finanzen sind ein Standortvorteil. Sie erhalten Spielräume, in echten Notsituationen wie der Corona-Krise flexibel und schnell zu handeln. Sie stabilisieren auch Erwartungen der Marktteilnehmer, dass nicht schon bald exorbitante Erhöhungen der Steuerlast auf sie zukommen werden. Auch erwartete hohe Zinslasten in zukünftigen Budgets, die dann den Spielraum für sinnvolle Staatsausgaben einengen würden, spielen mit soliden öffentlichen Finanzen keine Rolle. Tendenzen, die Schuldenbremse offen oder informal außer Kraft zu setzen und zu umgehen, sollten daher schnell wieder gestoppt werden.

Dies gilt auch für die Neigung, eine immer interventionistischere Industrie- und Innovationspolitik zu betreiben, die letztlich durch ein staatliches picking winners und den besonderen politischen Schutz „nationaler Champions“ die Dynamik einer freien Marktwirtschaft reduziert. Der permanente Prozess der schöpferischen Zerstörung, der dafür sorgt, dass Produktionsfaktoren effizient eingesetzt werden, wird bewusst politisch verlangsamt. Dabei hat gerade die Wachstumstheorie der letzten Jahrzehnte gezeigt, dass technisch weit fortgeschrittene Volkswirtschaften viel stärker von intensivem Wettbewerb profitieren als von einer anmaßenden staatlichen Steuerung.

Fazit

Mit einer Rückkehr zu wachstumsorientierter Angebotspolitik fände man in Deutschland ein umfangreiches Arbeitsprogramm vor. Die Bedingungen für langfristiges Wachstum wurden in der deutschen Politik über längere Zeit weitgehend vernachlässigt. Jeder ernsthafte Reformeifer ließ spätestens mit dem Ende der Nullerjahre nach, der lange Aufschwung nach der Finanzkrise verschleierte manche strukturelle Verschlechterung. Wenn nun aber eine Phase schwächeren Wachstums bevorsteht, ist es höchste Zeit, die vergessenen Potenziale auf der Angebotsseite zu heben.

Dieser Blogpost basiert auf dem Paper „Wachstum statt Stagflation: Vorschläge für eine Rückkehr zur Angebotspolitik

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook, Instagram und Twitter, und abonnieren Sie unseren RSS-Feed sowie unseren Newsletter.

Autor:

Prof. Dr. Jan Schnellenbach ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU Cottbus).

Datum:
Themen:

Das könnte Sie auch interessieren