Wie funktioniert Digitalisierung in einer freien Welt?

Die deutsche Wirtschaft ist innovativ und wettbewerbsfähig. Doch das deutsche Modell bekommt erste Risse. Schnell wachsende Technologieunternehmen sind hierzulande selten. Was jetzt getan werden muss. 

Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft hat in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen. Digitale Produkte und Dienstleistungen machen einen immer wichtiger werdenden Teil der Wertschöpfung und des internationalen Handels aus. Neue digitale Geschäftsmodelle, neue Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz oder Quanten-Computing und kürzer werdende Innovationszyklen verändern und verschärfen den internationalen Wettbewerb. Grund genug zu fragen: Wo steht Deutschland im globalen digitalen Wettbewerb, und was können Politik und Wirtschaft tun, um den Standort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten?

Wo steht Deutschland?

Die deutsche Wirtschaft ist innovativ und wettbewerbsfähig, wie eine international vergleichende Studie des IfW Kiel belegt (Dohse et al. 2020). Allerdings zeigt das deutsche Modell erste Risse. Demografisch bedingt wird das Angebot an hoch qualifizierten Fachkräften schon in wenigen Jahren drastisch sinken, wovon nicht zuletzt der IT-Bereich betroffen sein dürfte. Auch die eher geringe Gründungsdynamik und das hohe durchschnittliche Alter deutscher Unternehmen geben Anlass zur Sorge: In alten Unternehmensstrukturen existieren oft nur schwer überwindbare Pfadabhängigkeiten in der Innovationsentwicklung.

Überdies ist das Innovationsumfeld in Deutschland – gerade für junge Unternehmen im Hightechbereich – aufgrund der geringen Größe des Wagniskapitalmarktes und der weit verbreiteten Technologieskepsis in weiten Teilen der Bevölkerung schwierig, so dass disruptive Innovationen und schnell wachsende Technologieunternehmen hierzulande eher selten sind.

Dabei macht die Digitalwirtschaft keine Ausnahme. Auf der Forbes-Liste der 100 weltweit führenden Digitalunternehmen finden sich mit der Deutschen Telekom auf Platz 19 und SAP auf Platz 22 nur zwei deutsche Unternehmen, während Unternehmen aus Nordamerika und Asien dominieren (Abbildung 1).

Überdies haben zahlreiche deutsche Unternehmen den Eindruck, dass Deutschland im Bereich der Digitalwirtschaft weiter zurückfällt und dass die Abhängigkeit von Technologieimporten aus Ländern außerhalb der EU zunimmt, wie aus einer Unternehmensbefragung des Digitalverbandes BITKOM hervorgeht. Der Abstand Deutschlands zur Weltspitze nimmt insbesondere bei digitalen Schlüsseltechnologien wie IT- und Kommunikationshardware, 5G und künstlicher Intelligenz zu (BITKOM 2021).

  • Quelle: Forbes: 2019

Was zu tun ist …

Eine kluge Industriepolitik fokussiert nicht auf bestimmte Sollstrukturen, sondern stärkt die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Markterfordernisse und Rahmenbedingungen. Dies gilt umso mehr, als die zunehmende geopolitische Konkurrenz zwischen China und den USA dazu beiträgt, dass Regierungen massiv in Märkte eingreifen und aus machtpolitischen Erwägungen den Wettbewerb verzerren. Je agiler der eigene Standort aufgestellt ist, desto eher kann er die machtpolitisch motivierte Industriepolitik andernorts für sich nutzen, statt sich an dieser Konfrontation zu beteiligen (Kooths 2019).

Um die Qualität und Flexibilität des Innovationsstandortes Europa zu stärken, bedarf es neben Reformen im Bildungswesen einer proaktiven Anwerbung von Talenten aus aller Welt und eines Mentalitätswandels, um Technologieskepsis und Sicherheitsdenken zu überwinden und ein gründungs- und innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen. Im Hinblick auf den digitalen Wettbewerb sind ein marktgerechter Ausbau der IT-Infrastruktur und der IT-Kompetenzen ebenso notwendig wie geeignete Rahmenbedingungen für digitale Geschäftsmodelle und für das Wachstum junger, technologieorientierter Unternehmen. Hierzu bedarf es einer Stärkung des europäischen Marktes für Wagniskapital, des zügigen Ausbaus des digitalen Binnenmarktes und einer verstärkten, möglichst technologieneutralen Förderung von Forschung und Innovation.

Im digitalen Wettbewerb geht es aber letztendlich um mehr als um unternehmerische Effizienz oder die Effizienz staatlichen Handelns, sondern darum, welche Gesellschaftsordnung und welche Werte sich langfristig durchsetzen werden. Genauso wichtig wie das „Update“ der allgemeinen innovationsrelevanten Rahmenbedingungen ist es daher, dass die Demokratien des Westens ihre Werte und ihre Art zu leben in der neu zu gestaltenden digitalen Weltordnung verteidigen. Dies beinhaltet das offensive Eintreten für Menschenrechte, Freihandel, Multilateralismus, für Datenschutz und für das Recht des Einzelnen auf digitale informationelle Selbstbestimmung.

… und was besser unterbleiben sollte

Die große Bedeutung des digitalen Wandels sollte nicht dazu führen, wichtige ordnungspolitische Prinzipien über Bord zu werfen. So sollte sich auch die Bereitstellung von Breitbandanschlüssen an der Zahlungsbereitschaft der Nutzer orientieren und nicht einfach à la „Viel hilft viel“ dem Land steuerfinanziert übergestülpt werden. Breitbandanschlüsse werten den immobilen Faktor auf – damit würden auf lange Sicht vor allem die Bodeneigentümer von subventionierten Netzen profitieren. Umgekehrt gilt: Sind Breitbandanschlüsse ein wichtiger Standortfaktor, drücken sich die gegenüber Ballungsräumen höheren Bereitstellungskosten im ländlichen Raum in den Bodenpreisen aus – nicht anders als bei anderen Agglomerationseffekten.

Auch sollten sich die Europäer bei der Chipproduktion nicht an einem Subventionswettlauf mit der übrigen Welt beteiligen. Unternehmen, für die Halbleiter wichtige Vorprodukte darstellen, werden von sich aus ihre Beschaffung diversifizieren. Wenn andere Länder bereit sind, die Börsenkurse der hoch profitablen Chiphersteller mit Subventionen in die Höhe zu treiben, sollen sie das tun.

Die Länder der EU können derweil mit den Qualitäten ihres Standortes wuchern – etwa der Rechtssicherheit, friedlichen Verhältnissen sowie persönlichen und unternehmerischen Freiheiten. Hierzu gehört auch, dem freien Meinungsaustausch auf digitalen Plattformen breiten Raum zu lassen und die Regulierung darauf zu beschränken, Straftaten verfolgen zu können. Der freie Fluss von Ideen ist die eigentliche Stärke der westlichen Ökonomien. Diese im Digitalisierungszeitalter zu beschneiden, wäre ein krasser Rückschritt für die wirtschaftliche Dynamik. Ein digitaler Überwachungsstaat, der individuelle Freiheitsrechte negiert, ist weder erstrebenswert noch effizient.

Literatur

BITKOM (2021). Deutsche Wirtschaft strebt nach mehr digitaler Souveränität. Pressemitteilung vom 18.02.2021. (https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Wirtschaft-strebt-nach-mehr-digitaler-Souveraenitaet)

Dohse, D. Bachmann, M., F. Bickenbach, E. Bode, R. Gold, R. Grimmeiss, A. Hanley, J. Kirchherr, J. Klier, J. Lettner, W.-H. Liu, S. Pfülb, B. Saß, F.-O. Semrau, N. A. Sönmez, S. Stern, U. Stolzenburg, J. Vehrke, und M. Wenserski (2020). Analyse der industrierelevanten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich. (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/industriestudie.pdf?__blob=publicationFile&v=4).

Kooths, S. (2019). Offene Märkte zum Schutz der inneren Wettbewerbsordnung – Ein Plädoyer für unilateralen Freihandel. LI-Paper, Liberales Institut, Zürich. (https://kooths.de/download/publications/2019-kooths_LI-Paper-Unilateraler)

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Autor:

Prof. Dr. Dirk Christian Dohse und Prof. Dr. Stefan Kooths Prof. Dr. Stefan Kooths ist Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) sowie Direktor des dortigen Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum und Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School Berlin/Hamburg. Prof. Dr. Dirk Christian Dohse ist Direktor des Forschungszentrums Innovation und Internationaler Wettbewerb am Kiel Institut für Weltwirtschaft und außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

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