Was ein Tempolimit bringt - und was es kostet
Entfacht durch die Diskussion um ein mögliches Embargo von Energieimporten aus Russland werden aktuell zahlreiche Maßnahmen zur Energieeinsparung vorgeschlagen, die schnell und einfach umsetzbar seien. Eine besonders kontrovers diskutierte Maßnahme ist die Einführung eines generellen Tempolimits. Diese Maßnahme würde pro Jahr laut Umweltbundesamt rund 1 Million Liter Kraftstoffe und etwa 2 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) einsparen (UBA 2020), so viel wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr. – Was sind die Vorteile eines Tempolimits? Was die Nachteile? Ein Überblick.
Neben der Verringerung des Kraftstoffverbrauchs und der Senkung von Emissionen mit globaler und lokaler Wirkungsweise könnte es in der Tat einige gute Gründe für ein Tempolimit geben. Dazu gehören vor allem die Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Verringerung der Zahl der Unfälle sowie damit einhergehend der Unfalltoten und -verletzten.
Die kausale empirische Evidenz zu den Wirkungen eines generellen Tempolimits ist allerdings äußerst rar, weil die Datenlage dürftig ausfällt (Bauernschuster, Traxler 2021: 86). Daher spricht der Verkehrsclub Deutschland (VCD 2019), ein starker Verfechter eines generellen Tempolimits, zu Recht von einem „forschungspolitischen Loch in Deutschland“: Es existieren kaum belastbare Studien, die die Auswirkungen eines Tempolimits auf Autobahnen quantifizieren (Schmidt 2020).
Aktuell dürftige Datenlage
Fundierte Evidenz hierzu ist für Deutschland sehr veraltet und stammt aus den 1970er-Jahren, als die Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) in den Jahren 1975 und 1976 ein sorgfältig entwickeltes Experiment umgesetzt hat, um die Effekte eines Tempolimits 130 im Vergleich zu einer Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gründlich zu evaluieren (BASt 1977). Die untersuchten Autobahnabschnitte wurden dazu in zwei Gruppen unterteilt: in „Untersuchungsstrecken“, auf denen im Studienzeitraum anfangs ein Tempolimit 130 galt, bevor dann das Tempolimit aufgehoben und die Richtgeschwindigkeit eingeführt wurde; auf „Vergleichsstrecken“ wurde die Anpassung in umgekehrter Reihung durchgeführt. Durch dieses Forschungsdesign konnten sowohl allgemeine Zeittrends als auch zeitkonstante Unterschiede zwischen den Autobahnabschnitten eliminiert werden und so die zentralen Schwachpunkte von einfachen Quer- bzw. Längsschnittuntersuchungen vermieden werden (Bauernschuster, Traxler 2021: 89). Die zentralen Ergebnisse der Studie hinsichtlich der Verkehrssicherheit lauten: Ein Tempolimit von 130 km/h führte im Vergleich zur Richtgeschwindigkeit zu einem Rückgang der Unfälle um circa 10 Prozent und zu einem Rückgang der Schwerverletzten und Getöteten von circa 20 Prozent (BASt 1977).
Dass diese mittlerweile 45 Jahre alten Ergebnisse auch heute noch gelten, muss stark bezweifelt werden, vor allem weil die Pkw von heute im Durchschnitt schwerer und sicherer, aber auch deutlich schneller sind. Im Ergebnis sind dadurch nicht nur die Durchschnitts-, sondern auch die Spitzengeschwindigkeiten stark gestiegen und damit auch die Varianz der Geschwindigkeiten (Bauernschuster, Traxler 2021: 90). Beschleunigungs- und Abbremsmanöver finden dadurch häufiger und in stärkerem Maße statt als früher. Dies verringert tendenziell die Sicherheit im Straßenverkehr. Zudem ist die Verkehrsdichte auf Autobahnen heute ungleich höher als in den 1970er Jahren.
Forderung nach aktueller Studie
Bevor aber nun ein generelles Tempolimit ohne solide Kenntnisse der damit einhergehenden positiven wie negativen Effekte eingeführt wird, sollte entsprechend dem Beispiel des Feldexperiments aus den 1970er-Jahren ein langjähriger, groß angelegter Feldversuch unternommen werden, bei dem mit den modernsten Evaluationsmethoden die Rückgänge in den Durchschnitts- und Spitzengeschwindigkeiten und den Unfallzahlen und -opfern ermittelt werden sowie die Zeitverluste, die mit einem Tempolimit verbunden wären. Gerade in puncto Zeitverluste, welche die positiven Wirkungen eines Tempolimits schmälern, wenn nicht gar konterkarieren könnten, gibt es große Unsicherheiten ob ihres Umfangs und der damit einhergehenden Kosten.
So errechnet Schmidt (2020), dass ein Tempolimit 130 zu einem jährlichen Zeitverlust von insgesamt 65 Millionen Stunden führen würde. Allerdings beruht diese Berechnung auf einer Vielzahl von Annahmen, die den möglichen Zeitverlust massiv über-, aber auch unterschätzen könnten (Bauernschuster, Traxler 2021: 979). Ungeachtet dessen ist es keinesfalls gerechtfertigt zu behaupten, dass mit einem Tempolimit keine nennenswerten Kosten verbunden seien, wie das Umweltbundesamt es tut: „Damit könnte die Einführung eines generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen zur Erreichung des Klimaschutzzieles für den Verkehr im Jahr 2030, wie es im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegt ist, beitragen – und zwar bereits kurzfristig und ohne nennenswerte Mehrkosten.“ (UBA 2020: 10).
„Unter dem Aspekt der Kosteneffizienz ist ein Tempolimit eine vollkommen ungeeignete klimapolitische Maßnahme.“
Besonders wichtig wäre es, dass durch einen groß angelegten Feldversuch zusätzlich zum Geschwindigkeitslimit von 130 km/h auch andere Tempolimits von 140, 150 und 120 km/h evaluiert werden, denn es gibt keine empirische Analyse für Deutschland zur optimalen Höhe eines Tempolimits. Anstatt auf einem Feldexperiment, das tatsächlich kausale empirische Evidenz liefern würde, beruht die Schätzung des UBA (2020) zur CO2-Emissionsreduktion infolge eines Tempolimits von 130 km/h von rund 2 Mio. Tonnen auf einer Querschnittsanalyse zur Geschwindigkeitsverteilung des Leichtverkehrs auf Autobahnen der Bundesanstalt für Straßenwesen (Löhe 2016).
Diese deskriptive Querschnittsanalyse hat offensichtliche Schwächen, vergleicht sie doch die Daten von 41 Messstellen ohne Tempolimit mit denen für lediglich drei Messstellen mit Tempolimit 130 (Bauernschuster, Traxler 2021: 91). Zusätzlich zu der gravierenden Differenz in der Zahl der Messtellen gibt es weitere beobachtbare Unterschiede zwischen den Autobahnabschnitten mit und ohne Tempolimit, etwa hinsichtlich der Fahrbahnsteigung und -krümmung. Hinzu kommen kaum vermeidbare Unterschiede hinsichtlich unbeobachteter Einflussfaktoren, die in Querschnittsanalysen zu Verzerrungen führen, weshalb Bauernschuster und Traxler (2021: 88) solche Querschnittsanalysen zu Recht als wenig aussagekräftige Äpfel-Birnen-Vergleiche bezeichnen.
In Ermangelung besserer empirischer Evidenz benutzt Schmidt (2020: 5) diese Daten und die Schätzungen des Umweltbundesamtes zu den CO2-Einsparungen, um die CO2-Vermeidungskosten eines Tempolimits 130 auf rund 716 Euro je Tonne zu beziffern – ein Vielfaches des aktuellen Preises für Emissionszertifikate, welcher bislang noch nie über 100 Euro lag. Sicherlich kann trefflich über die diesen Vermeidungskosten zugrunde liegenden Annahmen gestritten werden. Nichtsdestotrotz zeigt deren Größenordnung, „dass ein Tempolimit allein aus Klimaschutzgründen ökonomisch wenig Sinn macht“ (Schmidt 2020: 6). Anders ausgedrückt: Unter dem Aspekt der Kosteneffizienz ist ein Tempolimit eine vollkommen ungeeignete klimapolitische Maßnahme.
Fazit
Ob andere Vorteile eines Tempolimits, wie die Verringerung der Zahl der Unfälle und die Erhöhung der Verkehrssicherheit, dazu führen, dass der Nutzen eines Tempolimits die Kosten überwiegt, muss mangels verlässlicher empirischer Evidenz eine offene Frage bleiben. Daher sollte ein Tempolimit nicht vorschnell unter dem Vorwand eingeführt werden, man könne sich damit einfach und kostenlos von russischen Rohölimporten unabhängiger machen. Beides trifft nicht zu: Weder hilft diese Maßnahme, deutlich unabhängiger zu werden, noch ist ein Tempolimit kostenlos. Im Gegenteil: Es könnte viel Zeit kosten und daher hohe Opportunitätskosten mit sich bringen.
Literatur
Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) (1977) Auswirkungen einer Richtgeschwindigkeit im Vergleich zu einer Höchstgeschwindigkeit von 130km/h auf Autobahnen. BASt, Köln
Bauernschuster, S., Traxler, C. (2021) Tempolimit 130 auf Autobahnen: Eine evidenzbasierte Diskussion der Auswirkungen. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 22(2), 86-102.
Löhe, U. (2016), Geschwindigkeiten auf Bundesautobahnen in den Jahren 2010 bis 2014, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach.
Schmidt, U. (2020), Generelles Tempolimit auf Autobahnen: Hohe volkswirtschaftliche Kosten sind zu berücksichtigen, Kiel Policy Brief 145.
UBA (2020). Klimaschutz durch Tempolimit: Wirkung eines generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen auf die Treibhausgasemissionen. Umweltbundesamt, Texte 38/2020. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-06-15_texte_38-2020_wirkung-tempolimit_bf.pdf
VCD (2019). VCD-Hintergrund: Tempolimit auf Autobahnen für Verkehrssicherheit und Klimaschutz. 26.04.2019. Verkehrsclub Deutschland. https://www.vcd.org/fileadmin/user_upload/Redaktion/Themen/Verkehrssicherheit/Tempolimit_auf_Autobahnen/VCD_Hintergrundpapier_Tempolimit_04_2019.pdf.
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Autor:
Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.