So geht Klimaschutz
Nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundene Sorge um die zukünftige Energieversorgung steht fest, dass die deutsche Energiewende nicht ohne Kosten zu haben sein wird. In seinem neuen Buch analysiert Achim Wambach, was die einzelnen Maßnahmen zur CO2-Reduktion und die Vorgaben der europäischen und deutschen Klimapolitik überhaupt bringen. Für ihn ist nicht entscheidend, ob die Klimaziele sinnvoll sind oder nicht. Es geht ihm darum, wie sie erreicht werden können.
Die Energiewende ist nach der Industriellen Revolution, der Automatisierung, Globalisierung und Digitalisierung wohl eine der größten Transformationen von Wirtschaft und Gesellschaft – die allerdings zum großen Teil noch vor uns steht. Die schlechte Nachricht: Jede Transformation hat bisher Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Die Hoffnung: Je besser eine Gesellschaft „auf diese tiefgreifenden Veränderungen vorbereitet ist, desto besser wird es gelingen, alle dabei mitzunehmen“, schreibt Achim Wambach in seinem neuen Buch „Klima muss sich lohnen – ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen“.
Für Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, ist die zentrale Frage: Was hilft, die Energiewende erfolgreich zu machen – und was schadet ihr? Denn aus einer guten Absicht heraus zu handeln heißt für ihn nicht zwangsläufig, auch etwas Gutes zu bewirken. Eine Handlung sei zwar gut, wenn man mir ihr etwas Gutes beabsichtige. Noch besser ist allerdings: „Eine Handlung ist gut, wenn etwas Gutes daraus folgt.“ Um diese Verantwortungsethik (und nicht Gesinnungsethik) dreht sich sein Buch. Es zeigt, wie Politik, Unternehmen, Kommunen, Gemeinden und jeder Einzelne mit ihrem Handeln zum Gelingen der Energiewende beitragen können.
Teure Ineffizienzen vermeiden
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Energiewende enorm kostenintensiv wird. Alles verteuert sich mehr als erwartet: Heizöl und -gas, Benzin, Diesel sowie Strom aus Kohle und Gas. Die Industrie wird sich anpassen und ihre Produktion auf emissionsärmere Technologien umstellen, Verbraucher und Konsumentinnen werden sich bescheiden müssen. Deswegen, meint Wambach, müssten Politik und Wirtschaft bei den Klimaschutzmaßnahmen konsequent darauf achten, dass teure Ineffizienzen vermieden und ineffektive Maßnahmen nicht länger verfolgt werden.
Wambach ist ein großer Befürworter des Emissionshandels. Durch ihn, so erklärt er, würden zum einen die Emissionsziele erreicht, da die Anzahl der Zertifikate so festgelegt sei, dass sie den europäischen Klimazielen entsprächen. Zum anderen vollzöge sich der Rückgang der Emissionen auf effiziente Weise – nämlich dort, wo es am günstigen sei: „Ein Unternehmen, das seine CO2-Emissionen ohne viel Aufwand reduzieren kann, wird eher entsprechende Maßnahmen ergreifen, als sich Zertifikate zu kaufen – und wird sogar überflüssige Zertifikate verkaufen. Diese werden dann von einem Unternehmen gekauft, dem es schwerer fällt, CO2 zu reduzieren.“
„Achim Wambach ist ein großer Befürworter des Emissionshandels.“
Je teurer die Zertifikate seien, desto besser. Der Grund: Hohe Preise fordern die Unternehmen auf, noch mehr in genau solche Technologien zu investieren, die einen hohen CO2-Ausstoß vermeiden. Nur: Bisher geben die Unternehmen die hohen Kosten an die Verbraucher weiter. Wambach fordert daher, dass solche Preisverschiebungen zukünftig von der Politik sozial begleitet werden müssen.
Die konsequente Bepreisung von CO2-Emissionen bleibt für ihn ausschlaggebend: Schmutziges Verhalten müsse zukünftig noch teurer werden, und das entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Dann spüren wir auch in den Preisen bei jedem Einkauf und bei jeder Reise, welche Entscheidungen mehr oder weniger klimafreundlich sind. Gutes Gewissen und günstige Preise fallen zusammen.“ Die soziale Marktwirtschaft, die Staat und Gesellschaft bisher mit großem Erfolg durch die Jahrzehnte getragen hat, werde dadurch zu einem neuen Erfolgsmodell – zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft.
Dass beim Umgang und Handel mit CO2-Zertifikaten nicht immer alles schlüssig läuft, erklärt er am Beispiel des Flugverkehrs. Dort gibt es den scheinbar widersinnigen Effekt, dass Ausgleichszahlungen für Flugreisen umso mehr wirken, je mehr (statt weniger) innereuropäisch geflogen wird: „Für jeden innereuropäischen Flug müssen die Fluglinien Emissionszertifikate kaufen, und zwar in Höhe der CO2-Emissionen, die bei diesem Flug ausgestoßen werden“, erklärt Wambach. Wenn mehr geflogen würde, würden mehr Zertifikate für Flüge benötigt, die dann für andere Bereiche im EU Emissions Trading System (EU-ETS) nicht mehr zur Verfügung stünden. Die Folge: „Mehr Flüge führen somit nicht zu mehr Gesamtemissionen an CO2 und weniger Flüge nicht zu weniger Gesamtemissionen.“ Trotz dieser vernunftwidrigen Wirkung: Ziel des Emissionszertifikate-Handel bleibe es, dass es sich wirtschaftlich lohnt, Anlagen für erneuerbare Energien zu installieren.
Kritisch sieht Wambach auch die „Solaranlagen-Pflicht“, die viele Länder eingeführt haben oder einführen wollen. Die Idee, die die Gemeinden und Länder dabei verfolgen, nämlich selbst klimaneutral zu werden und ihre eigenen Emissionen zu reduzieren – unabhängig von EU-Verordnungen –, verurteilt er nicht. Im Gegenteil: Jede Maßnahme, die Gemeinden, aber auch Einzelpersonen unternähmen, gegen den Klimawandel anzugehen, bleibe ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept. Dennoch meint er, es müsse sich eben auch rechnen. Denn Solaranlagen verteuern zunächst einmal nur das Bauen. Hilfreicher als eine gesetzliche Verpflichtung zur Solaranlage wäre für ihn, „wenn Kommunen und Länder dafür öffentliche Flächen ausweisen und Bauordnungen so anpassen würden, dass die Integration von Solarstrom erleichtert wird“.
Verteidigung des Elektroautos
Auch dass das Elektrofahrzeug nicht der Weisheit letzter Schluss im Kampf gegen Ressourcenabbau und Luftverschmutzung ist, stehe fest. Manche Forscher, schreibt Wambach, zweifelten sogar daran, ob Elektrofahrzeuge überhaupt klimafreundlicher als Benzin- und Dieselfahrzeuge seien. Denn der Strom, den die Elektrofahrzeuge benötigten, werde den Kritikern zufolge ebenfalls klimaschädlich produziert. Wambach erwidert: „Ein Mehrverbrauch von schmutzigem Strom durch Elektrofahrzeuge führt nicht zu einem Anstieg der Emissionen, weil die Zertifikate durch den Cap [zentraler Baustein, der die Klimaschutzambitionen der EU-ETS bestimmt] gedeckt sind.“ Mehr Emissionen bei der Stromerzeugung für Elektroautos führten zu weniger Emissionen an anderer Stelle. Ob allerdings der „Cap“ auch die zusätzlichen Emissionen, die durch die Batterieherstellung entstehen, deckelt, schreibt er nicht.
Kein hektischer Abschied von der Kohle
Dass lautstark um einen möglichst frühen Kohleausstieg gerungen wurde und wird, wundert den Autor. Denn der Zeitpunkt, so meint er, sei nicht entscheidend. „Der extrem teure Kohleausstieg lässt sich mit dem Klimawandel nicht begründen, er ist vielmehr ein Instrument, um den Strukturwandel abzufedern“, erklärt Wambach. Da der Strom aus Kohle Teil des EU-ETS ist, gelte hier einmal mehr, dass ein Kohleausstieg den Bedarf an Zertifikaten in Deutschland verringert, die dann an anderer Stelle genutzt würden. Die Gesamtemissionen gingen nicht zurück, weil der sogenannte Wasserbetteffekt wirke [Wasserbetteffekt: Frei werdende ETS-Zertifikate werden nicht gelöscht, sondern Emittenten übertragen]. Gerade in Hinblick auf den Russland-Ukraine-Krieg und den deutschen Versuch, sich vom russischen Gas komplett zu lösen, um vermehrt teures Flüssiggas zu kaufen, werde der Kohleausstieg wie auch die Atomkraft noch eine entscheidende Rolle spielen.
Klimaclub für den weltweiten Klimawandel
Um den weltweiten Klimawandel in den Griff zu bekommen, schlägt Wambach in Anlehnung an den Wirtschaftsnobelpreisträger William Nordhaus die Bildung eines Klimaclubs vor. Das bedeutet: Mehrere Länder und Weltregionen einigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen und einen einheitlichen CO2-(Mindest-)Preis. Die Grundidee von Nordhaus: Ein solcher Club soll gegenüber Ländern, die keine Anstrengungen zur Emissionsreduktion vornehmen, Zölle erheben. Nordhaus versteht diese Zölle vor allem als Sanktionsinstrument und weniger als Instrument zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen. Für Wambach müsste dieser Klub einfacher aufgestellt sein: „Wenn es gelingen würde, zum Beispiel die USA, China und Europa für eine effektive Klimapolitik zusammenzubringen, dann wäre bereits viel erreicht.“
Fest steht: Die Klimapolitik wird zulegen müssen, um das Ziel der Klimaneutralität in Europa bis 2050 und in Deutschland bis 2045 zu erreichen. Für Wambach wird die soziale Marktwirtschaft ein großer Helfer sein. Denn sie „hat nie auf den kurzfristigen Erfolg gesetzt, sondern auf ein langfristiges Bestehen aller Beteiligten im Markt stets hingearbeitet“. Das Ökologische soll für ihn essenzieller Bestandteil des wirtschaftlichen Handelns werden. Wambach rechnet vor: In den vergangenen 30 Jahren stieg die Wirtschaftsleistung in den 27 EU-Ländern um über 60 Prozent. Gleichzeitig gingen die CO2-Emissionen in diesen Ländern um über 20 Prozent zurück. „Es geht uns heute besser als vor 30 Jahren – und das bei weniger Emissionen.“ Der Autor ist sich sicher: „Die sozialökologische Marktwirtschaft, bei der das Ökologische der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg in den Märkten ist, ist im Entstehen.“
Fazit
Wambachs Essays kommt zur richtigen Zeit, ist informativ, thesenstark und verständlich geschrieben (dafür sei vor allem der Herder-Lektorin Wera Reusch gedankt). Wer sich mit Energiepolitik beschäftigt, sollte es gelesen haben. Der Autor liefert einen prägnanten und konstruktiven Beitrag zu einer Debatte, die uns das nächste Jahrzehnt intensiv beschäftigen wird.
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Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.