Sind unsere Ausschüsse gut besetzt?
Wer im Bundestag Gesetze besser machen will, muss verstehen, worüber er spricht. Dafür gibt es die Ausschüsse. Sie sind das fachliche Rückgrat der Gesetzgebung. Doch wie gut passen die beruflichen Erfahrungen der Abgeordneten zu den Themen der Ausschüsse? Unsere neue datenbasierte Analyse zeigt: Insgesamt ist der Bundestag fachlich gut aufgestellt – doch es bleibt viel Potenzial ungenutzt.
Ausschüsse als Fachinstanzen – Anspruch und Realität
Die Ausschüsse des Deutschen Bundestags sind die zentrale Instanz für die inhaltliche Vorarbeit parlamentarischer Entscheidungen. Sie beraten Gesetzentwürfe, Anträge und Berichte, führen Anhörungen durch und geben Beschlussempfehlungen an das Plenum. In dieser Rolle kommt ihnen eine enorme fachliche Verantwortung zu. Sie sind die Filter für Qualität und Umsetzbarkeit der Gesetzgebung.
Doch wie fachlich kompetent sind die Ausschussmitglieder eigentlich? Die Kritik an mangelnder Qualifikation von Politikerinnen und Politikern ist nicht neu. Häufig wird dabei pauschal argumentiert, etwa anhand kurioser Personalien oder einzelner Fehlentscheidungen. Wir wollten es genauer wissen und haben die 477 ordentlichen Mitglieder von 19 inhaltlich abgrenzbaren Bundestagsausschüssen des derzeitigen Bundestags systematisch analysiert.
Lebensläufe unter der Lupe: KI-gestützte Kompetenzmessung
Die Grundlage unserer Analyse ist ein KI-gestütztes Verfahren zur Auswertung öffentlich zugänglicher biografischer Daten. Dazu haben wir ein Sprachmodell (Llama 3.3, validiert mit GPT-4o) verwendet, das automatisiert Webseiten mit Abgeordnetenprofilen durchsucht, Informationen zur Ausbildung, beruflichen Stationen und Mitgliedschaften extrahiert und hinsichtlich ihrer Relevanz bewertet. Pro Abgeordnetem wurden im Schnitt über acht berufliche Stationen und fast vier Mitgliedschaften identifiziert. Die vollständigen KI-generierten Lebensläufe haben wir bereits vor der Bundestagswahl auf https://kandidatencheck.net/ veröffentlicht.
Nach der Wahl haben wir für jedes Ausschussthema mit KI-Unterstützung ein Set typischer Berufs- und Ausbildungsprofile definiert, das als Referenz für fachliche Eignung dient. Ein Arzt im Gesundheitsausschuss, eine Steuerberaterin im Finanzausschuss, ein Landwirt im Agrarausschuss – solche Kombinationen gelten in unserem Modell als besonders einschlägig. Auch politische Erfahrung (z. B. langjährige Ausschusstätigkeit) wurde, sofern öffentlich dokumentiert, berücksichtigt.
Abgeordnete wurden je nach Passung auf einer Skala von 0 (keine erkennbare Erfahrung) bis 3 (ausgewiesene Erfahrung) bewertet. Es ist jedoch klar, dass dies nur eine Annäherung der wahren fachlichen Erfahrung sein kann. Wer beispielsweise Wehrdienst geleistet hat oder Soldat war, wird allein dadurch nicht notwendigerweise zum Experten für den Verteidigungsausschuss.
Das Ergebnis: Eine positive Bilanz mit Lücken
Die gute Nachricht zuerst: Im Schnitt liegt das fachliche Erfahrungsniveau der Ausschussmitglieder deutlich über dem Durchschnitt aller untersuchten Abgeordneten. Das zeigt: Die Fraktionen achten bei der Besetzung durchaus auf Facheignung.
Besonders gut besetzt ist der Rechtsausschuss – hier liegt der durchschnittliche Erfahrungswert bei 2,6 (von maximal 3). Das ist wenig überraschend, da Juristen schon immer stark im Bundestag vertreten sind: Viele Abgeordnete haben ein juristisches Studium oder waren als Anwältinnen, Richter oder Justiziarinnen tätig. Auch im Finanzausschuss (u. a. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) und im Gesundheitsausschuss (u. a. Ärztinnen, Pflegepersonal) ist die Passung hoch.
Am anderen Ende der Skala steht der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Für das recht spezifische Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit finden sich wohl kaum Ausschussmitgliedern mit relevanter Vorerfahrung. Ähnlich niedrig ist der Wert im Ausschuss für Arbeit und Soziales, was auch an der Breite des Themenfeldes liegt.

Optimierung: Mehr aus dem vorhandenen Wissen machen
Die entscheidende Frage lautet: Könnte der Bundestag seine Ausschüsse besser besetzen? Unsere Antwort: Ja, und zwar deutlich. Mithilfe eines Optimierungsalgorithmus haben wir simuliert, wie die Ausschüsse aussehen könnten, wenn man die vorhandene Facherfahrung maximal ausschöpfen würde – ohne den Parteienproporz oder die Ausschussgrößen zu verändern.
Das Ergebnis: Das durchschnittliche Erfahrungsniveau steigt um rund die Hälfte, von 1,5 auf 2,3 Punkte. Besonders stark ist der Effekt im Ausschuss für Arbeit und Soziales – hier ließe sich das Erfahrungsniveau von 0,7 auf 2,3 verdreifachen. Auch der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung könnte deutlich zulegen. Auch auf Parteiebene zeigt sich Spielraum: Die CDU/CSU könnte ihr durchschnittliches Erfahrungsniveau durch gezielte Allokation um 0,9 Punkte erhöhen.
Was folgt daraus?
Unsere Analyse versteht sich nicht als Plädoyer für technokratische Gremien. Politik ist mehr als Expertise. Regionale Repräsentanz, innerparteiliche Balance, oder persönliche Interessen spielen zu Recht eine Rolle bei der Besetzung politischer Ämter. Außerdem kann ein Schuss Interdisziplinarität nicht schaden! Aber: Fachliche Erfahrung ist ein knappes Gut. Sie verdient mehr Gewicht – nicht nur bei der Kandidatenaufstellung, sondern auch bei der Arbeitsteilung im Parlament. Mithilfe einer Optimierung, wie wir sie durchgeführt haben, könnten die Fraktionen ihre fachliche Schlagkraft erhöhen.
Ein Appell an die Institution
Wenn Politiker für sich in Anspruch nehmen, gute Politik machen zu wollen, sollten sie sich an der Qualität ihrer Entscheidungen messen lassen. Gute Entscheidungen entstehen nicht allein aus Bauchgefühl oder parteipolitischer Taktik. Sie brauchen Fachverstand. Wer die Diskussion um das vermeintlich mangelnde Niveau der Politik versachlichen will, muss auch dort ansetzen, wo Entscheidungen vorbereitet werden: in den Ausschüssen.
Unsere Analyse liefert dafür eine objektive Grundlage. Sie zeigt, dass die fachliche Eignung durchaus eine Rolle spielt. Aber auch, wie viel mehr möglich wäre. Der Bundestag muss kein Think-Tank sein. Aber ein bisschen klüger dürfte er schon sein.
Autor:

Dr. Jochen Andritzky und Steffen Issleib Jochen Andritzky ist Mitinitiator der Zukunft-Fabrik.2050, einer Initiative für langfristige Wirtschaftspolitik, Autor des Buches „Visionen braucht das Land“ und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen. Zuvor war er Generalsekretär des Sachverständigenrates Wirtschaft und Ökonom beim Internationalen Währungsfonds. Steffen Issleib promovierte in Mathematik an der London School of Economics. Sein Forschungsschwerpunkt liegt an der Schnittstelle von Sprachverstehen, Wissensrepräsentation und lernenden Systemen. Heute ist er Gründer eines Unternehmens für die Automatisierung zentraler Geschäftsprozesse mit KI.