Schulische Bildung in Zeiten der Corona-Krise

Ab Mitte März wurden in allen Bundesländern die Kitas und Schulen im Zuge der Corona-Krise geschlossen. An die Stelle des Präsenzunterrichts trat das sogenannte Homeschooling – doch die Digitalisierung in Deutschland sah sich schon vor Corona mit großen Herausforderungen konfrontiert. Um sie erfolgreich in der Fläche umsetzen, ist eine Reihe von Maßnahmen notwendig.

Seit Anfang Mai wird das Homeschooling in vielen Bundesländern durch ein tageweises Präsenzangebot in den Schulen ergänzt. Für den Lernerfolg der Kinder wird damit das familiäre Umfeld deutlich wichtiger.

Bereits die PISA-Studie 2018 machte deutlich, dass der Einfluss des Bildungshintergrunds der Eltern auf die Leistungen der Kinder wieder deutlich größer geworden ist, nachdem der Zusammenhang zuvor nach der ersten PISA-Studie 2000 verringert werden konnte.

Um eine Obergrenze für die möglichen negativen Auswirkungen des Homeschoolings zu ermitteln, können zunächst empirische Untersuchungen zu Phasen längeren Unterrichtsausfalls herangezogen werden. Solche Ereignisse gab es beispielsweise im französischen Teil Belgiens von Mai 1990 bis November 1990 durch einen Lehrkräftestreik, einen Streik chilenischer Schülerinnen und Schüler im Jahr 2011 und einen Lehrerstreik an Grundschulen in Argentinien. Die Studien zeigen, dass in Belgien die Wahrscheinlichkeit von Klassenwiederholungen stieg und niedrigere Bildungsabschlüsse die Folge waren, in Chile sich die Testergebnisse in Mathematik verschlechterten und die Wahrscheinlichkeit einer Einschreibung an Universitäten verringerten und in Argentinien die Streiks während der Grundschulzeit sogar negative Effekte auf den Arbeitsmarkterfolg der betroffenen Grundschüler im späteren Alter von 30 bis 40 hatten. Empirische Studien zeigen ferner, dass durch einen Unterrichtsausfall im Umfang von einem Drittel eines Schuljahres mit dauerhaften Gehaltseinbußen von etwa 3 bis 4 Prozent zu rechnen ist.

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Auch Studien zum Summer Gap, also einer langen Phase ohne Schule während des Sommers, zeigen deutlich, dass vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten während dieser Phase in ihren Kompetenzen hinter die Kinder aus bildungsnahen Haushalten zurückfallen. Dies verdeutlicht, dass vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten stärker durch eine fehlende institutionelle Förderung in Bildungseinrichtungen betroffen sind. Untersuchungen aus den USA zeigen ferner auf Basis von Projektionen, dass die Schulschließungen infolge der Corona-Krise zu großen Einbrüchen bei den mathematischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler führen dürften. Die Effekte sind dabei bei Drittklässlern und Viertklässlern deutlich größer als in Klasse 8 oder 9.

Die Effekte der Schulschließungen während der Corona-Krise sind dabei umso besser zu kompensieren, je besser das Homeschooling die Lücken des fehlenden Präsenzunterrichts füllen kann. Während der Schulschließungen wurde vor allem auf Aufgaben zurückgegriffen, die Schülerinnen und Schüler selbstreguliert erfüllen sollen. Selbstreguliertes Lernen erfordert bei Schülerinnen und Schülern Kompetenzen wie Selbststeuerung, Zeitmanagement und Verantwortungsübernahme, Priorisierung der Aufgaben, Sammeln von Lernmaterialien etc. Die notwendigen Strategien für dieses Arbeiten müssen Kinder vermittelt bekommen, dies gehört bei den wenigsten Schulen in Deutschland jedoch zum „Lehrinhalt“.

Auch der zeitliche Umfang des Homeschoolings macht deutlich, dass diese Form des Unterrichts bisher keinen gleichwertigen Ersatz für den normalen Unterricht darstellt. Eine Befragung von Schülerinnen und Schülern der Klassen 11 und 12 an gymnasialen Oberstufen allgemeinbildender Schulen zeigt, dass an einem typischen Homeschooling-Tag rund 37 Prozent der Schülerinnen und Schüler nur im Zeitumfang von unter zwei Stunden etwas für die Schule tun. Mit der aktuellen Beschulungssituation wird häufig auf Digitalisierung gesetzt, digitale Lehr-/Lernkonzepte fehlen in Deutschland jedoch weitgehend und auch Erfahrungen mit diesen Unterrichtsformen liegen kaum vor.

Aktuelle Untersuchungen aus den USA zur Nutzung des Online-Mathematik-Programms Zearn während der Corona-Krise zeigen, dass der Lernfortschritt selbst bei Schülerinnen und Schülern, die schon vor der Schulschließung die digitalen Matheprogramme nutzten, nach der Schulschließung einbrach. Der Leistungseinbruch ist dabei bei Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien besonders groß und hält über den gesamten Zeitraum der Schulschließungen an.

Auch um der Verschärfung der Ungleichheit bei den Bildungschancen entgegenzutreten, planen die Kultusminister, dass die Schulen nach den Sommerferien wieder zum Regelbetrieb zurückkehren sollen. Durch die Corona-Krise hat zugleich die Digitalisierung der Schulen an Bedeutung gewonnen. Die Notwendigkeit bzw. der Vorteil der Digitalisierung zeigt sich dabei an drei Punkten:

  • Auch wenn nach den Sommerferien der reguläre Schulbetrieb wieder aufgenommen werden soll, ist für ein Szenario regionaler oder temporärer Schulschließungen Vorsorge zu treffen. Ferner könnte es aufgrund von Engpässen bei in Präsenz einsetzbaren Lehrkräften sinnvoll sein, auch auf Blended-Learning-Formate zu setzen.
  • In der Zeit bis zu den Sommerferien dürften sich bei den Schülerinnen und Schülern in unterschiedlichem Maße Rückstände bei der Kompetenzentwicklung ergeben, die durch zusätzliche digitale Lernangebote kompensiert werden können.
  • Auch im Normalmodus ergeben sich durch die Digitalisierung an Schulen große Potenziale, die Qualität des Unterrichts zu verbessern.

Die Voraussetzungen für die Digitalisierung sind zum Zeitpunkt vor der Corona-Krise vergleichsweise ungünstig. Die International Computer and Information Literacy Study (ICILS-2018) zeigt, dass ein Drittel der Achtklässler in Deutschland nur geringe computer- und informationsbezogene Kompetenzen aufweist. Auch wenn die Kompetenzen nicht in ausreichender Breite vorhanden sind, zeigen zumindest aktuelle IW-Auswertungen, dass eine hohe Motivation bei den Schülerinnen und Schülern besteht, digitale Formate zum Lernen einzusetzen.

Noch ungünstiger sind die Voraussetzungen bei Schulen und Lehrkräften. Nur ein Viertel der Lehrkräfte setzte vor der Corona-Krise täglich digitale Medien im Unterricht ein. PISA 2018 zeigt, dass nur bei 20 Prozent der Neuntklässler digitale Geräte im Schulunterricht während des letzten Monats gemeinsam von Lehrkräften und Schülern eingesetzt werden – in Dänemark liegt der entsprechende Anteil bei fast 90 Prozent. Ebenso kritisch sind in Deutschland die Computerausstattung, die Verfügbarkeit von WLAN, die Teilnahme der Lehrkräfte an digitalisierungsbezogenen Fortbildungen oder gegenseitige Unterrichtshospitationen zu bewerten.

Während der letzten Monate haben viele Schulen einen digitalen Aufbruch erlebt. Um die Digitalisierung erfolgreich in der Fläche umsetzen, ist eine Reihe von Maßnahmen notwendig:

  • Zunächst ist es wichtig, den Prozess der
    Digitalisierung weiter voranzubringen. Der Wandel bleibt notwendig, da es bei
    steigenden Infektionszahlen regional und temporär wieder zu Schulschließungen
    kommen kann und die Digitalisierung auch bei Rückkehr zum Präsenzunterricht
    gute Möglichkeiten bietet, die Qualität des Unterrichts zu erhöhen und
    entstandene Lernrückstände zu schließen.
  • Aktuelle Befragungen zeigen, dass ein Teil der Lehrkräfte in der jetzigen Situation die Chance sieht, digitale Lernangebote zu etablieren und auszubauen. Der Nutzen von digitalen Medien für die Unterrichtsgestaltung wird insgesamt von den befragten Lehrkräften eher positiv eingeschätzt. Bei der Einschätzung zum Zeitaufwand durch digitale Medien zeigt sich hingegen eher ein gemischtes Bild. Die Bildungsverwaltung sollte zusammen mit den Schulleitungen und Lehrkräften gemeinsam eine Vision entwickeln und transparent kommunizieren, wie die Digitalisierung der Bildung in der Zukunft aussehen, wie Lehrkräfte unterstützt und welche Ziele damit erreicht werden sollen.
  • Die Ausstattung der Schulen und Zeitressourcen bei Lehrkräften sind für die digitale Weiterentwicklung des Unterrichts sicherzustellen. So sollten Schülerinnen und Schüler ohne eigenes Equipment leihweise mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Positiv ist zu bewerten, dass Mittel durch den Bund in Höhe von 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, um digitale Endgeräte anschaffen zu können. Darüber hinaus sollten die Schulen als Arbeitgeber auch die Beschäftigten verstärkt mit dienstlichen Geräten ausstatten. Zeiten für zusätzliche Fort- und Weiterbildungsangebote für digitale Lernformate sind sicherzustellen. Einen wichtigen Punkt zur Unterstützung der Lehrkräfte stellen die IT-Anforderungen dar. In den Schulen sollten rund 20.000 IT-Kräfte zur Administration eingestellt werden, um hierdurch die Lehrkräfte zu entlasten. Die Aufstockung des Digitalpakts für IT-Administration durch den Bund ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, reicht jedoch nicht, da allein für die Personalkosten jährliche Zusatzausgaben für 20.000 IT-Kräfte im Umfang von etwa knapp zwei Milliarden Euro notwendig sind.
  • Wichtig für den Prozess ist es ferner, kurzfristige Erfolge sichtbar zu machen. So sollten Beispiele guter digital gestützter Lernansätze gebündelt und zugänglich gemacht werden. Beispiele finden sich bereits heute durch die Auszeichnungen von MINT-Schulen, MINT-EC-Schulen, Smart Schools oder digitalen Schulen durch verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure. Wichtig ist es auch, positive Erfahrungen von Modell- und Netzwerkschulen zu nutzen.
  • Um den Prozess zu verstetigen, ist es wichtig,
    das multiprofessionelle Personal an Schulen dauerhaft zu finanzieren und den
    Digitalpakt durch die Länder dauerhaft sicherzustellen. In der Ausbildung der
    Lehrkräfte sollte der Einsatz digitaler Formate in allen Bundesländern
    verankert werden. Die weitere Entwicklung von digitalen interaktiven Lerntools
    oder Lernplattformen bietet gewaltige Skalierungspotenziale. Zusätzliche Mittel
    für die Fixkosten der Entwicklung sind zur Verfügung zu stellen.
  • Für den langfristigen Erfolg der Digitalisierung ist es wichtig, die Kultur an den Schulen dauerhaft weiterzuentwickeln. Diese Veränderungen beziehen sich auf die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams (IT-Abteilungen an Schulen) und dem Teilen von entwickelten Lehrinhalten über digitale Plattformen. Gegenseitige Unterrichtshospitationen ermöglichen eine weitere Steigerung der Lehrqualität und Unterstützung der Lehrkräfte. Mehr Schulautonomie stärkt die Verantwortung vor Ort.

Dieser Blogbeitrag basiert auf der auf dem Paper “Bildung in Zeiten der Corona-Krise” (Download als PDF)

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Autor:

Prof. Dr. Axel Plünnecke ist stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik und Leiter des Kompetenzfelds Humankapital und Innovationen beim Institut der deutschen Wirtschaft.

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