Rentenversicherung taugt nicht als Krisenabsicherung

Die gesetzliche Rentenversicherung lässt Rentnerinnen und Rentner an der Steigerungen des gesamtwirtschaftlichen Wohlstands partizipieren. Das hat sich bewährt und war und ist über die lange Frist zum großen Vorteil dieser Gruppe. Die Rente sollte deshalb nicht an die Inflation gekoppelt werden. Auch nicht einmalig.

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland kann mit dem Bild eines Bootes auf hoher See beschrieben werden. Vorne sitzen die Erwerbstätigen, hinten die Leistungsbezieher, also die Rentnerinnen und Rentner. Fährt nun das Boot die Konjunkturwelle hinauf, steigen erst Löhne und Beschäftigung und dann, mit etwas Verzögerung, auch die Renten.

Geht es von der Welle wieder runter, sollte das Prinzip eigentlich auch gelten, aber hier schont die Politik die Leistungsbezieher etwas mit der sogenannten Schutzklausel, durch die Renten nicht sinken können. Jedoch soll der Effekt bei späteren Steigerungen (Stichwort Nachholfaktor) nachgeholt werden, das heißt, es geht also bei der nächsten Welle für Rentnerinnen und Rentner auch nicht ganz so steil nach oben.

Dieses System, das Rentnerinnen und Rentner grundsätzlich an Steigerungen des gesamtwirtschaftlichen Wohlstands partizipieren lässt, hat sich bewährt und war und ist über die lange Frist zum großen Vorteil dieser Gruppe. Andere Länder wie etwa Österreich oder Frankreich lassen Bestandsrenten beispielsweise „nur“ mit der Inflation wachsen. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2018 war der durchschnittliche Unterschied zwischen Lohnwachstum und Inflation etwa 1,3 Prozentpunkte, die Renten wären bei einem reinen Inflationsausgleich heute also mehr als 10 Prozent geringer.

Inflationsausgleich für Renten?

Nun aber, in Zeiten sehr hoher Preissteigerungen, werden die ersten Stimmen laut, die nicht mehr darauf warten wollen, ob und wie die Tarifpartner die Inflation in ihren Lohnverhandlungen in den nächsten Monaten abbilden wollen und diese Lohnsteigerungen dann, wahrscheinlich 2024, die Renten erhöhen würden. Nein, ein Inflationsausgleich müsse gleich her. Das Ziel ist zwar hehr, allerdings ist das Instrument vollkommen falsch und die langfristigen Auswirkungen sind – wieder einmal – nicht bedacht. Wenn man ärmeren Rentnerinnen und Rentnern helfen möchte, lässt sich dies auch in dieser Krise ordnungspolitisch sauber und treffsicherer machen als über die Gesetzliche Rentenversicherung.

„Es schlägt jetzt die Stunde der Angebots- und nicht die der Gießkannen-Sozialpolitik.“

Benutzt man die Gesetzliche Rentenversicherung nun auch als Mittel zur Bekämpfung der aktuellen Krise, lässt sich leicht vorstellen, wie ein solcher „Krisenausgleich“ politökonomisch in den nächsten Jahren ein Eigenleben entfalten würde. Denn die Inflation ist leider gekommen, um zu bleiben.

Nehmen wir Maßnahmen gegen den Klimawandel ernst und schauen auf den demografischen Wandel, so dürften die Zeiten absolut niedriger Inflation vorbei sein. Das bedeutet nicht, dass wir jedes Jahr nun mit hohen Preissteigerungen rechnen müssen, denn Inflation kommt in Wellen. Aber es bedeutet, dass es immer wieder beispielsweise höhere Tarifabschlüsse aufgrund von Fachkräftemangel geben dürfte, die dann auch ihren Weg in die Preise für Produkte und Dienstleistungen finden. Auch dann steigen die Renten erst mit einer, manchmal recht langen, Verzögerung.

Wenn man jetzt einen Einmalausgleich macht, warum dann nicht noch mal in fünf Jahren? Und würde man wirklich diesen Einmalausgleich mit zukünftigen Lohn(beziehungsweise Renten-)steigerungen verrechnen, oder bekommen dann Rentnerinnen und Rentner zweimal einen Inflationsausgleich – jetzt und 2024?

Am politisch opportunsten käme dann wahrscheinlich eine Maximierungsregel heraus, also man nehme jedes Jahr den höheren Wert aus Inflation oder Lohnsteigerung und passe so die Renten an. Tragen müsste dies der Beitragszahler – oder wir verlassen noch mehr den Versicherungsgedanken der Gesetzlichen Rentenversicherung, bauen diese immer weiter zu einem Fürsorgesystem um und bürden diese Last dem Steuerzahler auf.

Abstimmung mit den Füßen

Solche Ideen sind jedoch hochgefährlich, denn sie sägen nicht nur am Boot Rentenversicherung, sondern am gesamten Gesellschaftsvertrag. Wenn jüngere Erwerbstätige immer mehr ihres Erwerbseinkommens in Form von Beiträgen oder Steuern für die ältere Generation aufwenden müssen, werden sie das Boot zu neuen Ufern verlassen beziehungsweise den Vertrag einseitig aufkündigen.

Will heißen: Gut ausgebildete, junge Fachkräfte wechseln das Land – Voting by feet. Übrig bleiben diejenigen, die weniger flexibel sind und eigentlich genau die Unterstützung der ersten Gruppe brauchen – insbesondere Rentnerinnen und Rentner. Dabei müssen wir im demografischen Wandel genau in die entgegengesetzte Richtung steuern – nicht in eine größere Beitrags- oder Steuerlast, sondern jede Überstunde muss sich richtig lohnen, sodass sie mit Elan angegangen wird. Es schlägt somit die Stunde der Angebots- und nicht die der Gießkannen-Sozialpolitik.

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Autor:

Prof. Dr. Christian Hagist ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Otto Beisheim School of Management Vallendar.

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