Pro&Contra: Industriestrompreise sind der falsche Weg

Ist ein Industriestrompreis der richtige Weg? Die Herausforderungen internationaler deutscher Unternehmen sind enorm. Staatliche Subventionen für Industriestrompreise sind hier eine mögliche Lösung. Doch, ob sie helfen die Standortattraktivität zu erhöhen ist mehr als fraglich. Die Notwendigkeit eines grundlegenden Umdenkens in der Energiepolitik wird intensiv diskutiert. Christoph M. Schmidt zeigt alternative Wege zur Bewältigung der komplexen Problematik.

International tätige deutsche Unternehmen stehen in einem intensiven Wettbewerb – das dürften auch wirtschaftskritische Akteure mittlerweile erkannt haben. Der Druck ist vor allem für energieintensiv produzierende Unternehmen hoch, da sie im Vergleich mit vielen ihrer Konkurrenten im Ausland hohe Strompreise stemmen müssen. Schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb heraus müssen sie daher ernsthaft Standortverlagerungen prüfen. Die Stromkosten am Standort Deutschland zu reduzieren, erscheint also zwingend notwendig. Doch die entscheidende Frage ist, wie dies gestaltet wird.

Nach der gescheiterten Strategie, russisches Gas als Brückentechnologie zu nutzen, verfolgt die Bundesregierung nun ein neues Narrativ, das sich aber bei näherem Hinsehen als ebenso fragil herausstellt: Ein staatlich subventionierter „mittelfristiger Brückenstrompreis“ von 6 ct je kWh soll binnen weniger Jahre den Weg zu einem sich ohne direkte staatliche Unterstützung ergebenden „langfristigen Transformationsstrompreis“ ebnen. Doch dieser Ansatz greift zu kurz: Wir benötigen statt eines Industriestrompreises ein grundsätzliches Umdenken in der Energiepolitik.

Krankheit heilen, statt Symptome zu behandeln

Erstens überzeugt das Narrativ eines vermeintlich temporären Industriestrompreises nicht. Das Versprechen auf strikte zeitliche Begrenzung beruht auf der Erwartung, dass der schnelle Hochlauf von erneuerbaren Energien binnen weniger Jahre niedrige Strompreise ermöglichen wird. Nicht zuletzt das Wegfallen russischen Gases verdeutlichte, wie teuer es werden kann, unerwartete Hemmnisse vollkommen auszublenden. Überdies ist diese Erwartung noch nicht einmal realistisch. Andernfalls würden gerade energieintensive Unternehmen wohl kaum Standortverlagerungen erwägen, denn sie denken in langen Investitionszyklen.

Diese Einsicht wirft ein Schlaglicht auf die gesamte Energiewende- und Wirtschaftspolitik: Investoren für den Standort Deutschland zu gewinnen, wäre wohl kein sonderlich großes Problem, wenn schon in wenigen Jahren verwirklichte sinkende Stromkosten – oder andere attraktive Standortbedingungen – auskömmliche Renditen versprechen würden. Eine Subventionierung der Strompreise wäre dann heute überflüssig.

Deutschland hat vielmehr ein strukturelles Problem, das sich nicht in zeitweise hohen Strompreisen erschöpft: die zunehmend mangelnde Standortattraktivität für unternehmerisches Handeln. Ein staatlich subventioniertes Pflaster namens Industriestrompreis kann den Symptomen dieses Problems im Stromsektor zwar ein wenig entgegenwirken, aber das massive Angebotsdefizit in diesem Bereich bleibt bestehen.

Zweitens verlagert ein staatlicher Eingriff in die Preisgestaltung die Lasten lediglich von einem ausgewählten Teil der Unternehmen, also den großen Industriebetrieben, auf andere Stromverbraucher oder die Steuerzahler, sie werden ja nicht weggezaubert. Doch die Zeiten, in denen der Staat problematische Baustellen durch die großzügige Zuweisung von Finanzmitteln zuschütten konnte, sind vorbei. Die Transformationsaufgabe ist zu umfassend, die Wachstumsaussichten sind angesichts des demographischen Wandels zu gering.

Anstatt in den Preismechanismus einzugreifen, sollten alle – ökologisch vertretbaren – Hebel in Bewegung gesetzt werden, um das Stromangebot zu erhöhen. Denn hohe Preise spiegeln nicht zuletzt ein geringes Angebot bei hoher Nachfrage wider. Die heimische Stromerzeugung aus Wind und Sonne wird jedenfalls nicht ausreichen, um für niedrige Strompreise zu sorgen. Die kompromisslose Außerbetriebnahme der Kernkraftwerke passt schlichtweg nicht zu der gleichzeitig geäußerten Sorge um die Standorttreue der Industrieunternehmen.

Drittens setzen subventionierte Preise deren Signalwirkung zum Teil außer Kraft – und damit den wirkungsvollsten Knappheitsindikator, der in einer Marktwirtschaft zur Verfügung steht. Preissignale setzen Anreize für Verhaltensänderungen und Investitionsentscheidungen. Die angestrebte Ausgestaltung des Industriestrompreises wirkt dem Wegfallen von Anreizen zwar zum Teil entgegen, aber wenn immer unternehmerische Risiken auf den Staat verlagert werden, fallen damit auch Anreize weg, nach noch besseren Lösungen zu suchen. Als Ersatz werden dann dirigistische Eingriffe unvermeidlich.

Es gibt somit eine Reihe gewichtiger Gründe, dieses erneute Drehen an der aktuell so stark bemühten Interventionsspirale abzulehnen. Stattdessen ist auf Lösungen hinzuwirken, Deutschland als Standort für unternehmerisches Handeln insgesamt attraktiver zu machen. Eine marktwirtschaftlich geprägte Energiewende wäre ein wichtiger Baustein, inklusive eines Bekenntnisses zu der Einsicht, dass Strompreise wohl länger hoch bleiben werden. Diese Entwicklung sollte daher mit einer möglichst umfassenden Ausweitung des Stromangebots beantwortet werden, vor allem durch eine massive und technologieoffene Förderung der Forschung und Entwicklung von Energieerzeugungs- und -speichertechnologien – und durch einen pragmatischen Einstieg in den umfangreichen Import des Energieträgers Wasserstoff.

Autor:

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt ist seit 2002 Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen und zugleich Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Angewandte Ökonometrie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war Schmidt im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von 2013 bis 2020 als dessen Vorsitzender.

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