One Size Fits All? – Wie die OECD Steuersysteme durcheinanderbringt

Die OECD will globale Standards der Besteuerung schaffen. Das ist eine gute Idee. Ob die Organisation allerdings die selbst aufgestellten Prinzipien von Effizienz, Einfachheit, Transparenz und Stabilität einhalten kann, ist fraglich.

Der OECD Unfähigkeit in ihren Vorschlägen zur internationalen Unternehmensbesteuerung vorzuwerfen ginge wohl zu weit, dennoch bewegt sie sich fernab kluger ökonomischer Gesetzgebung.

Warum bin ich dieser Meinung?

Mit Pillar I und Pillar II können Länder einerseits Firmen auf Basis ihres Kundenstamms besteuern und andererseits eine globale Mindeststeuer durchsetzen. Pillar I ermöglicht es Regierungen, Firmen dort zu besteuern, wo ihre Kunden sitzen, und somit die Steuerbasis vor allem im digitalen Bereich zu erweitern – damit gilt es als Alternative zu Digitalsteuern. Pillar II definiert eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent auf Unternehmensgewinne weltweit. Solange der effektive Steuersatz für Unternehmen auf ihre weltweiten Profite geringer ist, dürfen sie zu einem höheren Satz besteuert werden. Diese Ansätze sollen helfen, internationale Steuerschlupflöcher zu schließen.

Das Ziel der Initiative ist klar: aggressive Steuerplanung und Steuerflucht vor allem von internationalen Konzernen zu verhindern.

„Die momentanen Vorschläge lassen Prinzipien guter Besteuerung vermissen.“

Doch wie viele multilaterale Abkommen ist auch dieses eher ein politischer Kompromiss als gute Wirtschaftspolitik: Die OECD wirft ihre eigenen Prinzipien über Bord und verpasst es, sich bessere Systeme und Wettbewerbsdynamiken zunutze zu machen.

Das Beispiel Estland zeigt, wie es sich die OECD gleichzeitig zu einfach und zu kompliziert macht, eine passgenaue und einheitliche internationale Besteuerung zu formulieren. Zu einfach, weil funktionierende Lösungen durch die neuen Regeln verhindert werden; und zu kompliziert, weil neue Regeln hinzugefügt werden, anstatt bestehende Regeln zu nutzen.

Länder haben ihre eigenen Steuersysteme, welche alle unterschiedlich aufgebaut sind. Der International Tax Competitiveness Index der Tax Foundation zeigt jährlich, wie die Steuerwettbewerbsfähigkeit zwischen Staaten variiert. Seit jeher führt er Estland an der Spitze. Das Land ist hoch kompetitiv, mit einer Flat-Tax auf Einkommen von 20 Prozent, einer einheitlichen Mehrwertsteuer von 25 Prozent und das alles auf einer sehr breiten Basis. Eine Besonderheit ist, dass Unternehmenssteuern nur auf tatsächlich ausgeschüttete Profite fällig werden. Und genau hier liegt das Problem: Da die meisten Profite reinvestiert werden, liegt der effektive Steuersatz (gemessen am Nettogewinn vor Steuern) bei weniger als 15 Prozent.

Die globale Mindeststeuer unter Pillar II wird aber genau auf diesen Nettogewinn fällig. Das Dilemma Estlands: Entweder es macht sein Steuersystem weniger wettbewerbsfähig durch Steuererhöhungen beziehungsweise Änderungen der Steuerbasis, oder es droht Steuereinnahmen an das Ausland zu verlieren.

Diese Überlegungen geschehen vor den Augen von Bürgern, Firmen und Regierung in Estland, die laut Estonian Tax and Customs Board (EMTA) zufrieden mit ihrem einfachen Steuersystem sind. Insofern macht es sich die OECD zu einfach, Länder über einen Kamm zu scheren, um eine optimale internationale Besteuerung zu erreichen.

Während es sich die OECD in Bezug auf Länder wie Estland zu einfach macht, macht sie es sich beim Regelwerk unnötig kompliziert.

Erstens ist die Ratifizierung nicht rechtlich bindend. Die EU hat sich bereits für die Einsetzung von Pillar II entschieden und berät über Pillar I, andere Nationen befinden sich ebenfalls in diesem Beratungsprozess. Die USA haben schon angekündigt, Pillar I nicht zu ratifizieren, da sie es als Angriff auf US-Tech-Konzerne ansehen. Pillar I fällt außerdem nicht unter die geltenden internationalen Steuerrichtlinien, sondern wird darüber hinaus fällig. Damit kann es zu Fällen der Doppelbesteuerung kommen, wenn einige Staaten der Richtlinie folgen und andere nicht.

Daher wird es zweitens komplizierter, welche Regularien für welche Länder gelten, wann Steuerzahlungen unter Pillar I angerechnet werden können und welche Berichtsvorschriften eingehalten werden müssen.

Drittens stehen sich die Vorgaben der Country-by-Country-Regularien und Pillar I diametral gegenüber: Das eine unterstellt eine Aufteilung nach physischen Assets, das andere stellt diese als nicht mehr zeitgemäß dar.

Viertens, auf einen Blick zu sehen, wann welche Einnahmen auf Basis der Ansässigkeit der Nutzer besteuert werden und für welche Länder wann wie eine Strafbesteuerung gilt, wenn sie die Mindeststeuersätze nicht erfüllen, bleibt fraglich. Dass die Komplexität weiter ansteigt durch diese Regelungen, ist daher offensichtlich. Damit machen wir es uns zu kompliziert und fangen am falschen Ende an.

Das heißt nicht, dass man Steuern verringern oder das internationale Steuersystem auf seinem heutigen Stand belassen sollte. Internationales Steuerrecht mit all seinen Abkommen und Transfers zwischen Steuersystemen ist hochkomplex. Daher ist die Initiative der OECD, globale Standards zu schaffen, durchaus der richtige Ansatz. Jedoch dürfen die von der OECD selbst aufgestellten Prinzipien von Effizienz, Einfachheit, Transparenz und Stabilität nicht außer Acht gelassen werden. Für ein effizientes, einfaches, transparentes und stabiles Steuersystem braucht es regulatorischen Raum, um von guten Beispielen wie Estland zu lernen. Weltweit gibt es funktionierende Steuersysteme, und Möglichkeiten für die dezentrale Entwicklung dieser Systeme braucht es weiterhin. Pillar I und II verhindern diesen Lernprozess durch ihre zentralistische Komplexität zugunsten eines undurchschaubaren Regelwerks. Pillar I und Pillar II halten die eigenen Prinzipien der OECD nicht ein. Doch könnte die OECD sie einhalten, wenn sie sich explizit um Vereinfachung, Stabilität und Transparenz bemüht und es nicht nur bei Lippenbekenntnissen belässt.

Fazit

Internationale Kooperation ist und bleibt unerlässlich auf dem Weg zu optimaler internationaler Besteuerung. Die momentanen Vorschläge sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, um aggressive Steuervermeidung und Compliance-Kosten zu vermindern, lassen jedoch Prinzipien guter Besteuerung vermissen. Die Balance aus zielgerichteter Kooperation und einem dezentralen steuerpolitischen Experimentierfeld ist entscheidend. Um optimale Besteuerung zu gewährleisten, müssen wir Unterschiede in den Funktionsweisen von Volkswirtschaften betrachten und gleichzeitig Einfachheit und Effizienz steigern. Gute internationale Besteuerung braucht Vielfalt und Autonomie, ohne Einfachheit und internationale Effizienz außer Acht zu lassen.

Autor:

Joost Haddinga studiert Economic History an der University of Oxford und arbeitet am Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft. Seine Forschungsinteressen liegen in der Finanz- und Organisationsgeschichte sowie der Finanz- und politischen Ökonomie.

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